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PolitikSüdkorea

Südkorea vor den Wahlen: eine gespaltene Gesellschaft

25. April 2025

Sechs Wochen vor den Präsidentschaftswahlen Anfang Juni ziehen sich zahlreiche Risse durch die koreanische Gesellschaft. Sie wieder zu einen, dürfte für den neuen Amtsinhaber eine enorme Herausforderung sein.

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Gegner des ehemaligen Präsidenten Yoon Suk Yeol protestieren in Seoul, Dezember 2024
Gegner des ehemaligen Präsidenten Yoon Suk Yeol protestieren in Seoul, Dezember 2024 Bild: Kim Hong-Ji/REUTERS

Sechs Wochen sind es noch, dann werden die Wählerinnen und Wähler Südkoreas über die Nachfolge des in Ungnade gefallenen Yoon Suk Yeol entscheiden. Im Vorfeld dieses Urnengangs zeigt sich die Gesellschaft tief gespalten. Wenig spricht dafür, dass sie sich nach der Wahl geschlossen hinter die neue Regierung stellen wird.

Am 4. April dieses Jahres hatte das Verfassungsgericht die Amtsenthebung Yoons bestätigt, nachdem dieser im Dezember vergangenen Jahres kurzzeitig das Kriegsrecht ausgerufen hatte. Bereits vor dem Urteilsspruch war es in Seoul zu intensiven politischen Protesten gekommen. Tagelang demonstrierten die Bürger auf Großkundgebungen für oder gegen Yoon. Nur starke Polizeipräsenz konnten die beiden Gruppen voneinander trennen. Inzwischen hat sich die Debatte um die Amtsenthebung Yoons auf die Frage seines Nachfolgers verlagert.

Aus Yoons konservativer People Power Party (PPP) bewerben sich nun vier Kandidaten um das Präsidentenamt. Ähnlich hoch ist die Zahl ihrer liberalen Konkurrenten aus der Demokratischen Partei (DP). Als deren Spitzenkandidat gilt der Parteivorsitzende, Lee Jae-myung.

Massive Polarisierung

Die tiefe politische Polarisierung in Südkorea gründe auf einer Kombination historischer und institutioneller Faktoren, sagt Min Seong-jae, Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaften an der Pace University in New York. "Dazu zählen die jahrzehntelange autoritäre Herrschaft, die darauf folgende rasche Demokratisierung, der wirtschaftliche Wandel sowie die Einstellung zu Nordkorea."

So gespalten wie derzeit sei die Gesellschaft aber nie gewesen, so Min. "Die bestehenden ideologischen Gräben haben sich seit der Verhängung des Kriegsrechts im vergangenen Dezember dramatisch verschärft."

Zunächst seien Yoons Maßnahmen bei seinen konservativen Anhängern nicht gut angekommen, so Min zur DW. Dann aber habe sich eine lautstarke Basis um ihn geschart. Eine parteiische Medienlandschaft und regionale Loyalitäten hätten diese Spaltung zusätzlich verschärft.

Wie angespannt die Lage ist, hatte sich zuletzt bei den Demonstrationen von Yoons konservativen Anhänger während seiner Anhörung vor Gericht am Montag dieser Woche gezeigt. "Aus Sicht seiner Anhänger ist Yoon das beste Bollwerk gegen jeglichen 'progressiven' Einfluss", sagt Min.

"Derzeit gibt es auf der rechten Seite keine klare Alternative, um die sich die konservativen Kräfte scharen könnten. Darum ist Yoon nun zu einer Art Symbol im Kampf gegen das geworden, was seine Anhänger als linken Einfluss in den Bereichen Bildung, Medien, nationale Sicherheit und andere soziale Fragen wahrnehmen."

Je stärker er angegriffen werde, desto mehr werde Yoon von seinen Anhängern als Held verehrt, sagt Min. Yoons angebliche Feinde - protestierende Studenten, Gewerkschaften, feministische Gruppen und liberale Akademiker - bildeten genau das Milieu, dass konservative Hardliner fürchten oder ablehnen.

Noch nie sei die südkoreanische Gesellschaft so sehr im Zwiespalt mit sich selbst gewesen wie heute, sagt die Politologin Lim Eun-jung von der Kongju National University. Die Unruhe gründe auf wirtschaftlichen Ängsten und Sorgen über die wachsende Bedrohung durch Nordkorea.

Spannungen zwischen Süd- und Nordkorea

Spannung zwischen linken und Rechten

"Viele Menschen haben das Gefühl, dass sich das Land in einer Rezession befindet", so Lim zu DW. "Sie machen sich Sorgen über die Preise und die hohen Wohnkosten, die besonders junge Menschen belasten. "Die Frage, wie mit der Situation in Nordkorea umzugehen sei, spaltet hingegen die Anhänger der Linken und der Rechten."

Yoons harte Linie gegenüber Pjöngjang habe dazu beigetragen, dass sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten derart verschlechterten, dass sie keine Gespräche mehr miteinander führten, sagt Lim. Demgegenüber dürfte eine linksgerichtete Regierung zur Politik von Präsident Moon Jae-in zurückkehren und versuchen, Brücken zu Nordkorea zu bauen.

Es gebe eine weitere gesellschaftliche Kluft, so Lim. Diese ziehe sich quer durch die Generationen. Ältere Menschen verfügten überwiegend über ein stabiles Einkommen und einen festen Wohnsitz. Entsprechend neigten sie zu einer konservativen Politik. Die jüngeren Generationen hingegen schauten eher skeptisch in die Zukunft und forderten mehr Unterstützung.

Bedingt seien die unterschiedlichen Sichtweisen durch den unterschiedlichen Medienkonsum, so Lim. So läsen die Älteren weiterhin Zeitungen und verfolgten die TV-Nachrichtensendungen, während die Jüngeren sich vor allem über soziale Medien informierten.

Yoons Anhänger demonstrieren gegen dessen Amtsenthebung, 29.3.2025
Yoons Anhänger demonstrieren gegen dessen Amtsenthebung, 29.3.2025Bild: Ahn Young-joon/AP Photo/picture alliance

Skepsis gegenüber etablierten Medien

"In vielerlei Hinsicht liegen die Dinge hier ähnlich wie in den USA. Viele Menschen stehen den sogenannten 'etablierten' Medien äußerst skeptisch gegenüber. Sie trauen den dort veröffentlichten Informationen nicht und suchen ihre Nachrichten daher auf YouTube."

Hinzu komme, dass junge Menschen, wie sie sie selbst an der Universität unterrichte, keine langen Texte mehr läsen oder verstünden. "Eine ganze Generation schaut nur auf die sozialen Medien. Es ist sehr schwierig, sie dazu zu bringen, sich Texte anzusehen und Argumente zu analysieren."

Ähnlich sieht es Min. "Soziale Medien haben in Südkorea enorm zur Verschärfung der politischen Spaltung in Korea beigetragen", sagt er. Plattformen wie YouTube, KakaoTalk und Facebook böten politisch aufgeladene Inhalte, die oft algorithmisch auf die bestehenden Vorurteile der Nutzer zugeschnitten seien. 

"Insbesondere rechtsgerichtete Online-Gruppen haben Echokammern geschaffen, in denen Verschwörungstheorien, ideologische Memes und aus dem Kontext gerissene Nachrichtenclips viral gehen, ohne dass die Fakten überprüft werden", sagt Min. Vor allem ältere Menschen und junge Männer um die 20 hielten sich oft in diesen Echokammern auf und interagierten nur mit Gleichgesinnten.

Blick auf einen Containerhafen in Südkorea, April 2025
Wirtschaft unter Druck: Blick auf einen Containerhafen in SüdkoreaBild: Ahn Young-joon/AP/dpa/picture alliance

Schwierige Zukunft

Sie gehe nicht davon aus, dass sich diese Situation ändern oder sich die politische Kluft in Südkorea schließen werde, sagt Min. "Solange es keine bedeutenden strukturellen und kulturellen Reformen gibt, dürfte die konfrontative Politik fortbestehen oder sich sogar verschärfen."

In der Politik seien die falschen politischen Anreize gesetzt worden. So messe sich der Erfolg von Politikern und Parteien vor allem daran, inwieweit es ihnen gelingt, ihre eigene Basis anzubinden. Den Dialog zu pflegen, zähle hingegen wenig. Entsprechend dürften die Politiker weiterhin vor allem die eigene Gefolgschaft und weniger die Gesellschaft als ganze im Blick haben.

"Selbst unter jungen Menschen gibt es derart viele Meinungsverschiedenheiten über soziale Fragen, dass die nächste Generation nicht unbedingt in der Lage sein wird, diese Probleme in absehbarer Zeit zu lösen", so Min. "Darum kann man davon ausgehen, dass die zukünftige Lage weiter angespannt  bleibt - zwar nicht ganz und gar düster, wohl aber holprig." 

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Südkorea kämpft um seine Demokratie – wieder einmal

DW-Porträt | Korrespondent Julian Ryall
Julian Ryall Korrespondent und Reporter in Tokio