Südkorea, Japan und die NATO: gemeinsame Herausforderungen
31. Januar 2025Seoul und Tokio - in den beiden Städten fernab der Nordatlantischen Allianz führte Boris Ruge, Beigeordneter Generalsekretär der NATO für politische Angelegenheiten und Sicherheitspolitik, Mitte Januar sicherheitspolitische Gespräche. Beide Male erörterten er und seine Gastgeber die gemeinsamen Sicherheitsinteressen. Alle drei Seiten - die NATO, Südkorea und Japan - sehen die Stabilität der Region durch zwei Faktoren herausgefordert: die nordkoreanische Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sowie das robuste Auftreten Chinas gegenüber seinen Nachbarn. Angesichts dieser Entwicklung wollen die NATO und die beiden ostasiatischen Staaten die ohnehin schon enge Partnerschaft und Zusammenarbeit weiter vertiefen.
Die behandelten Themen reichten von der Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrie bis zur Abwehr hybrider Bedrohungen", heißt es in einer Pressemitteilung der NATO zu den Gesprächen. Konzentrieren wolle man sich jedoch auf vier 'Flaggschiffprojekte': "die Unterstützung der Ukraine (militärische Gesundheitsfürsorge), Cyberabwehr, Bekämpfung von Desinformation und künstliche Intelligenz".
"Aus Sicht der NATO erfordern die globalen Herausforderungen durch China, Russland und andere autoritäre Länder die Zusammenarbeit mit Partnern auf der ganzen Welt", schreibt der Korea-Experte Eric J. Ballbach von der Berliner "Stiftung Wissenschaft und Politik" in einer Studie vom Januar diesen Jahres. Die NATO werte die chinesische Politik hinsichtlich des Krieges in der Ukraine als Unterstützung Russlands. Das gleiche gelte für die Politik Nordkoreas. "Beide gelten der NATO als Ausdruck der sich zunehmend überschneidenden Sicherheitsdynamiken in Europa und im Indopazifik."
Ukraine-Krieg im Fokus
Mehr noch als Japan ist Südkorea angesichts der jüngsten Krise gefordert. Das angespannte Verhältnis zu Nordkorea habe sich durch die nordkoreanische Militärhilfe für Russland in den letzten Monaten noch einmal verschärft, sagt Thomas Yoshimura, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul. "Man fürchtet zum einen, Russland könne - im Austausch für die Unterstützung - zum Ausbau des nordkoreanischen Raketensystems wie auch des Atomprogramms beitragen." Zum anderen habe der Krieg Europa näher an Südkorea herangebracht und Argumente geliefert, dass Südkorea sich noch stärker für die Ukraine einsetzen könnte.
"Zudem nimmt man zur Kenntnis, dass Russland Nahrungsmittel und Energie an Nordkorea liefert und damit auch die Basis für das politische Überleben des dortigen Regimes verbreitert" so Yoshimura weiter. "Denn so wird Nordkorea unabhängiger von China, was das Land natürlich auch politisch autonomer werden lässt."
Pjöngjang hatte seine militärische Unterstützung Russlands Ende 2022 begonnen. Zunächst schickte es Artilleriegeschosse, dann ballistische Raketen und im vergangenen Jahr schließlich Soldaten. Einer Schätzung des Atlantic Council zufolge entsandte das Regime bislang rund 11.000 Militärangehörige an die ukrainische Front.
Weit zurückreichende Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit zwischen Südkorea und der NATO reicht bis in die frühen 2000er Jahre zurück. Seitdem hat sie sich ständig vertieft. 2023 schließlich unterzeichneten Südkorea und die NATO ein "Individuell zugeschnittenes Partnerschaftsprogramm" (Individually Tailored Partnership Programme, ITPP).
Im Rahmen dieses Programms arbeite Südkorea eng mit der NATO zusammen, sagt Yoshimura. "Das gilt derzeit etwa mit Blick auf die Cybersicherheit." Diese gilt in Seoul als gefährdet. So etwa berichtete die Nachrichtenagentur Reuters im Frühjahr vergangenen Jahres von einem mehrmonatigen Angriff gegen Unternehmen der südkoreanischen Rüstungsindustrie.
Für diesen mache Südkorea seinen Nachbarn im Norden verantwortlich. So drangen demnach nordkoreanische Hackergruppen in die Systeme südkoreanischer Finanzinstitute und Nachrichtenagenturen ein. 2014 soll es ihnen außerdem gelungen sein, die Sicherheitssysteme des südkoreanischen Atomkraftwerksbetreibers zu infiltrieren. Auch für Diebstähle von Kryptowährungen werden nordkoreanische Hacker verantwortlich gemacht. "Durch die Zusammenarbeit mit der NATO hofft Seoul, diesen Gefahren effektiv entgegentreten zu können", sagt Yoshimura.
Informationsaustausch und Lagebeurteilung
Mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine stünden derzeit vor allem zwei Aspekte im Fokus, sagt Yoshimura. "Zum einen geht es um den Austausch von Informationen sowie eine gemeinsame Lagebeurteilung - so etwa um die Frage, was die in Russland kämpfenden nordkoreanischen Soldaten zu leisten imstande sind. Auch wird die Frage diskutiert, ob man mit Blick auf China, den Iran und andere Staaten von einer globalen Achse sprechen kann, die sich in diesem Krieg auf Seiten Russlands engagiert."
Der zweite Aspekt bestehe in der Zusammenarbeit im Rüstungssektor. Diesen hat Südkorea stark ausgebaut. Angaben des Stockholmer Internationalen Friedensforschungsinstituts zufolge hat sich der Wert der südkoreanischen Militärexporte von 3,8 Milliarden US-Dollar (3,66 Milliarden Euro) zwischen 2016 und 2020 auf 38 Milliarden US-Dollar (36,6 Milliarden Euro) zwischen 2021 und 2023 verzehnfacht. Im Jahr 2023 belegte Südkoreas Verteidigungsindustrie gemessen an wichtigen Waffenexportverträgen weltweit den zweiten Platz.
"Attraktiver Waffenlieferant"
"Mit Ausbruch des Krieges zwischen Russland und der Ukraine ist Südkorea zu einem noch attraktiveren Waffenlieferanten für europäische Länder geworden", schreibt Eric J. Ballbach. Das gelte etwa mit Blick auf Polen oder Estland, die die Ukraine mit Waffen beliefern und ihre Waffenbestände mit modernen Waffen auffüllen müssen - auch aus Südkorea. So habe das ostasiatische Land im Juli 2022 mit Polen ein Rüstungsabkommen in Höhe von über 12,4 Milliarden US-Dollar (11,95 Milliarden Euro) abgeschlossen.
"Südkorea ist gut darauf vorbereitet, Waffen in der von den europäischen Staaten benötigten Quantität zu liefern", sagt Yoshimura. "Das Land befindet sich seit knapp acht Jahrzehnten im Kriegszustand mit Nordkorea. Dementsprechend hat es massiv in seine Rüstungsindustrie investiert. Das kommt den NATO-Staaten nun zugute."