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KonflikteSyrien

Syrische Sicherheitskräfte töten mehr als 300 Alawiten

8. März 2025

Die Gewalt in der Region Latakia eskaliert weiter. In Berichten von Aktivisten ist von regelrechten Hinrichtungen die Rede. Zeigt Syriens neue Führung ihr wahres Gesicht oder sind letztlich Assad-Getreue verantwortlich?

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Syrische Soldaten mit zahlreichen Fahrzeugen im Umland der Küstenstadt Latakia
Syrische Streitkräfte rücken mit schweren Waffen in Dörfer im Umland der Küstenstadt Latakia vorBild: Moawia Atrash/dpa/picture alliance

In Syrien haben die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung bei ihren Kämpfen mit Anhängern des gestürzten Machthabers Baschar al-Assad nach Angaben von Aktivisten in den vergangenen Tagen mehr als 300 alawitische Zivilisten getötet. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, die Sicherheitskräfte und mit ihnen verbündete Gruppen hätten bislang rund 340 Mitglieder der religiösen Minderheit in der Region Latakia an der syrischen Mittelmeerküste getötet. 

Beobachtungsstelle: "Ein kollektiver Akt der Vergeltung"

Die Sicherheitskräfte und ihre Verbündeten hätten die Zivilisten regelrecht "hingerichtet", zudem seien "Häuser und Grundstücke geplündert worden". In den vergangenen Tagen hatte die Beobachtungsstelle von mehreren "Massakern" geschrieben, unter den Getöteten seien auch Frauen und Kinder.

Von Aktivisten veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen Dutzende vor einem Haus aufgestapelte Leichen in Zivilkleidung. Daneben waren Blutflecken und weinende Frauen zu sehen. Weitere Aufnahmen zeigen Männer in Militäruniform, die aus nächster Nähe auf Menschen schossen.

Syrische Armeeangehörige bereiten eine Rakete für den Abschuss gegen Anhänger von Ex-Machthaber Baschar al-Assad vor
Syrische Armeeangehörige bereiten eine Rakete für den Abschuss gegen Anhänger von Ex-Machthaber Baschar al-Assad vorBild: Moawia Atrash/dpa/picture alliance

Die Zivilisten seien auf eine Art und Weise getötet worden, "die sich nicht von den Operationen der Sicherheitskräfte des ehemaligen Regimes unterscheidet - ein kollektiver Akt der Vergeltung", heißt es in einem Bericht der Beobachtungsstelle. Die Gesamtzahl der Todesopfer seit Beginn der Kämpfe erhöhte sich angesichts der jüngsten Zahlen auf 524. Darunter seien neben den Zivilisten 120 Kämpfer aufseiten der Assad-Anhänger und 93 Mitglieder der Sicherheitskräfte der neuen Machthaber.

Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bezieht ihre Informationen von einem Netzwerk von Aktivisten in Syrien. Ihre Angaben gelten als durchweg zuverlässig. 

Al-Scharaa: Assad-Unterstützer wollen "neues Syrien testen"

An diesem Samstagmorgen berichtete die staatliche Nachrichtenagentur SANA, Assad-Anhänger hätten das nationale Krankenhaus in der Küstenstadt Latakia angegriffen. Die Regierungskräfte drängten die Attacke derzeit zurück.

In der mehrheitlich von Alawiten bewohnten Region im Westen des Landes hatten am Donnerstag Kämpfe zwischen Assad-treuen Milizen und Truppen der neuen syrischen Machthaber begonnen. Der religiösen Gruppe gehören auch der ins Exil geflohene Assad selbst und seine Familie an.

Der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa bei seiner Ansprache an die Nation
Der syrische Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa bei seiner Ansprache an die Nation Bild: Präsidentschaft Syrien

Am Freitag verkündete die Übergangsregierung dann den Beginn eines "großangelegten" Einsatzes, der auf "die Überreste von Assads Milizen und ihre Unterstützer" zielt. Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa wandte sich später in einer Fernsehansprache an die syrische Bevölkerung und erklärte, Überbleibsel der gestürzten Ex-Regierung hätten mit Angriffen versucht, "das neue Syrien zu testen".

Al-Scharaa lobte die Reaktion der Sicherheitskräfte und rief die Angreifer auf, ihre Waffen niederzulegen. Jeder, der Übergriffe gegen Zivilisten begehe, werde hart bestraft, kündigte der frühere Chef der Rebellenmiliz HTS zugleich an. Berichte über Massaker erwähnte er nicht. 

Assad-Anhänger in Uniformen von Armeesoldaten?

Aktivisten aus der Stadt Idlib machten bewaffnete Unterstützer der Übergangsregierung für die Gewalteskalation verantwortlich. Sie sollen sich Befehlen der neuen Führung in Damaskus widersetzt haben. Dagegen meldete das syrische Staatsfernsehen, dass sich Unbekannte mit Uniformen der Regierungstruppen verkleidet und die Taten begangen haben sollen, um einen Bürgerkrieg anzustiften. 

"Die Überbleibsel des alten Regimes nutzen die begrenzten militärischen und sicherheitspolitischen Kapazitäten der syrischen Regierung aus, um den politischen Übergang in Syrien zu behindern", sagte die Expertin Lina Khatib von der Denkfabrik Chatham House der US-Zeitung "Wall Street Journal". Al-Schaaras Regierung stehe vor dem Dilemma, hart genug gegen Anhänger Al-Assads vorzugehen, um einen ausgewachsenen Aufstand zu verhindern - ohne aber die Alawiten zu verprellen, die um ihre Zukunft bangten und Angriffe erlebten.

Der syrische Geheimdienstchef Anas Chattab machte ebenfals führende Figuren aus dem Militär- und Sicherheitsapparat des gestürzten Ex-Präsidenten für die Zusammenstöße verantwortlich. Diese hätten eine verräterische Operation gestartet, bei der Dutzende Mitglieder von Armee und Polizei getötet worden seien. Sie würden aus dem Ausland gesteuert, so Chattab auf seinem Social-Media-Kanal.

UN: "Glaubwürdiger Übergang in Syrien gefährdet"

Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, zeigte sich "zutiefst besorgt". Er rief in einer Mitteilung alle Seiten auf, von Handlungen abzusehen, "die die Spannungen weiter anheizen, den Konflikt eskalieren, das Leid der betroffenen Gemeinschaften verschlimmern, Syrien destabilisieren und einen glaubwürdigen und integrativen politischen Übergang gefährden könnten". Deutschlands Auswärtiges Amt in Berlin forderte ein Ende der Spirale der Gewalt.

Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen - neben ihm Mitarbeiter sowie eine UN-Flagge
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen (Archivbild)Bild: Andrew Caballero-Reynolds/Pool via REUTERS

Kämpfer unter Führung der islamistischen HTS-Miliz hatten Anfang Dezember Damaskus erobert und die jahrzehntelange Herrschaft von Machthaber Assad in Syrien beendet. Seit ihrer Machtübernahme hat die neue syrische Führung wiederholt versichert, die Minderheiten im Land zu schützen.

Die Alawiten fürchten jedoch Vergeltungsmaßnahmen gegen ihre Gemeinschaft - sowohl wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer religiösen Minderheit als auch wegen ihrer früheren Treue zur Assad-Familie.

sti/AR (afp, dpa, rtr)

Redaktionsschluss: 16.30 Uhr (MEZ) - dieser Artikel wird nicht weiter aktualisiert.