Syriens Übergangspräsident: Politischer Fahrplan mit Lücken
4. Februar 2025In seiner neuen Rolle als syrischer Übergangspräsident agiert Ahmed al-Scharaa nun auch auf internationaler Bühne: Als erstes besuchte er den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman in Riad, anschließend reiste er weiter in die Türkei - wichtige Besuche bei gleich zwei regionalen Schwergewichten. Zuvor hatte er bereits in Damaskus den Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad al Thani, empfangen. Die drei Treffen geben einen Hinweis darauf, dass al-Scharaa, unter dessen Kommando Anfang Dezember Syriens Diktator Baschar al-Assad gestürzt wurde, trotz bisher fehlender demokratischer Legitimation von führenden Politikern der Region als legitimer Vertreter des Landes gesehen wird.
Einen Tag nach seiner Ernennung zum Übergangspräsidenten Ende Januar umriss der als Chef der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) bekannt gewordene al-Scharaa auch gleich seinen innenpolitischen Fahrplan: Man werde bald mit der Vorbereitung einer Nationalen Dialogkonferenz beginnen, kündigte er an. Priorität sei, das Regierungsvakuum auf legitime und legale Weise zu füllen. Zudem verkündete er das Ende des bisherigen syrischen Parlaments und der aus dem Jahr 2012 stammenden Verfassung. Am Montag (03.02.2025) legte er im syrischen Staats-TV zudem einen Zeitplan für kommende Präsidentschaftswahlen fest: Diese könnten in vier bis fünf Jahren stattfinden. Es brauche Zeit, die entsprechende Infrastruktur aufzubauen, so al-Scharaa. Auch eine einheitliche Armee strebt der Politiker an. Milizen sollen dafür aufgelöst werden.
Was ist mit Minderheiten- und Frauenrechten?
Der Londoner Syrien-Experte Manhal Baresh sieht den eingeschlagenen Weg teils kritisch: "Der Interimspräsident hat weder das Recht noch das Mandat, einen gesetzgebenden Rat zu bilden", so Baresh zur DW. Diese Schritte könnten nur von einer gewählten Regierung initiiert werden, meint er. Die Akzeptanz der syrischen Interimsregierung und ihrer Entscheidungen seitens nationaler und internationaler Akteure sieht er gleichwohl als Akt des guten Willens, um den Übergangsprozess zu unterstützen und ihm die notwendige Legitimität zu verschaffen.
Auch Nanar Hawach, Syrien-Experte der International Crisis Group (ICG), zeigt sich skeptisch. Zwar sei nun die so genannte Nationale Dialogkonferenz in Gang gebracht worden. Doch seien wichtige Fragen weiterhin offen: "Wer wird daran teilnehmen? Wie werden die Mitglieder ausgewählt?"
Hinsichtlich Frauen- und Minderheitenrechten sei er aber zuversichtlich, so Hawach zur DW. "Die Übergangsführung versteht die Komplexität und Vielfalt der syrischen Gesellschaft", so sein Befund. "Sie ist sich bewusst, dass sie ihre eigenen Ansichten der Gesellschaft nicht aufzwingen kann." Offen sei aber, in welchem Ausmaß Syriens neue Machthaber um al-Scharaa diese Einsicht beherzigten.
Sanktionen teils aufgehoben
Unterdessen hat die Ausrufung der neuen Übergangsregierung die internationalen Bemühungen beschleunigt, Syrien finanziell zu stabilisieren.
So wurde kürzlich ein Teil der Sanktionen aufgehoben, die die EU und die USA 2011 gegen Syrien verhängt hatten. Bereits im Dezember hatten die USA eine vor Jahren ausgerufene Belohnung von zehn Millionen Dollar (9,6 Millionen Euro) für die Festsetzung al-Scharaas zurückgenommen. Dieser trug damals noch seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Dscholani. UN und USA haben jedoch vorerst beschlossen, an der Einstufung von HTS als ausländischer Terrororganisation festzuhalten. Die Miliz war früher vor allem mit Al-Kaida eng verwoben.
Hoffnung auf wirtschaftliche Sanierung
Im Inland werden inzwischen Anstrengungen unternommen, um die desolate wirtschaftliche Lage des Landes zu verbessern. So soll die unter dem Assad-Regime gewachsene Korruption bekämpft werden. "Wir haben zwar mit Korruption gerechnet, aber nicht in diesem Ausmaß", sagte Syriens neuer Interimsfinanzminister Mohammed Abasid kürzlich der Nachrichtenagentur Reuters.
Geplant sind zudem weitere Schritte. "Nur 900.000 der 1,3 Millionen Menschen auf der Gehaltsliste des Staates kämen tatsächlich zur Arbeit, sagte Abasid. Absehbar werde man ein Drittel aller Beschäftigten im öffentlichen Sektor entlassen. Auch sollen über 100 unprofitable Industrieunternehmen privatisiert werden, sagte er. "Außerdem wollen wir das Steuersystem mit einer Amnestie für Strafen vereinfachen, Hindernisse beseitigen und Investoren ermutigen, nach Syrien zurückzukehren."
Bedrückend ist nicht zuletzt die humanitäre Lage. Die UN bezeichnen diese als "katastrophal". Im Jahr 2024 hätten 16,7 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigt, erklärte das zuständige UN-Büro kürzlich. Dies sei die höchste Zahl seit Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 2011.
Hinzu kommt die anhaltende Gewalt im Nordosten des Landes, wo kurdische Kräfte und türkisch unterstütze Milizen brutal um Macht und Kontrolle ringen.
Forderungen der UN
Für Geir Pederson, den UN-Sondergesandten für Syrien, ändert die Ausrufung von al-Scharaa zum Übergangspräsidenten nichts an der Ausrichtung der UN-Mission. "Das UN-Sekretariat beteiligt sich nicht an Fragen zur Anerkennung von Regierungen. Dies ist eine Angelegenheit, die die zwischenstaatlichen Gremien zu entscheiden haben", so Pedersons Sprecherin Jenifer Vaughan gegenüber der DW.
"Seit Jahren fordern die UN einen glaubwürdigen, umfassenden politischen Übergang unter syrischer Führung und syrischer Verantwortung, der den legitimen Bestrebungen des syrischen Volkes Rechnung trägt", sagte Vaughan. "Dazu gehören auch die Bildung einer Übergangsregierung, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Abhaltung freier und fairer Wahlen."
Mitarbeit: Mohamed Farhan
Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.