Syriens Christen: Zwischen Unsicherheit und Aufarbeitung
22. März 2025Das Massaker an alawitischen Zivilisten in Syriens Küstenregion beunruhigt auch die anderen religiösen Minderheiten im Land. Am 6. März hatten dort Assad-Loyalisten Sicherheitskräfte des neuen Regimes angegriffen. In der Folge kam es zu Angriffen auf Alawiten, bei denen auch viele Zivilisten getötet wurden. Christen wurden wohl nicht gezielt angegriffen, doch Falschmeldungen und das Versagen der neuen Regierung befeuerten die Ängste der Minderheit.
Syriens Christen machten vor dem Konflikt seit 2011 rund zehn Prozent der Bevölkerung aus. Wie viele von ihnen heute noch im Land leben, ist nicht sicher. Sie verteilen sich auf insgesamt elf verschiedene Konfessionen, zu den zahlenmäßig stärksten Kirchen gehören die griechisch-orthodoxe und die melkitische, griechisch-katholische Kirche. Sie ist mit dem Vatikan in Rom verbunden. Es gibt aber auch eine kleine protestantische Kirche, die vor 2011 etwa 300.000 Mitglieder zählte.
Seit dem Sturz Assads am 8. Dezember durch die islamistische Gruppe Haiat Tahrir-al-Scham (HTS) hätten viele Christen „Angst vor Islamisierung", sagt der aus dem Libanon stammende syrisch-orthodoxe Theologe Assaad Elias Kattan, der an der Universität Münster lehrt. Zwar habe die neue Führung unter Ahmed al-Scharaa positive Signale an alle Konfessionen in Syrien gesendet, sie wolle Syriens Diversität respektieren. Doch es gebe auch eine "gewisse Schwammigkeit im politischen Programm" der Neuen.
Zweifelhafte Rolle der Kirchenführer
"Wir haben es mit einer chaotischen Übergangslage zu tun. Die Sicherheitslage außerhalb von Damaskus ist nicht überall stabil und es wird eine Zeit dauern, bis Polizei und Armee wieder die öffentliche Ordnung garantieren können", sagt Kattan. Es hat derweil einzelne Vorfälle gegeben. Videos zeigten einen bewaffneten Mann, der in Aleppo einen Weihnachtsbaum zerstörte. Später attackierte eine bewaffnete Gruppe die griechisch-orthodoxe Erzdiözese in Hama, beschädigte ein Kreuz und schoss auf das Gebäude. HTS verurteilte die Taten damals und machte "Unbekannte" dafür verantwortlich, da sie dem Versprechen von Toleranz schadeten.
Doch inmitten dieser fragilen Situation stellen sich syrische Christen im Land und im Exil auch Fragen über die Haltung ihrer Kirchenführer während der Assad-Diktatur. Als die Proteste gegen Baschar al-Assad im Frühjahr 2011 ausbrachen, demonstrierten auch Christen mit ihren muslimischen Landsleuten für Bürgerrechte. Unter den Opfern und Gefangenen in den Folterkellern des Regimes waren sie genauso vertreten.
Die Kirchenleitungen dagegen standen meist an der Seite des Regimes. Die Oberhäupter aller christlichen Kirchen unterstützten das Narrativ des Assad-Regimes, das sich als Beschützer der christlichen Minderheit inszenierte. Diese Propaganda verbreiteten sie auch im westlichen Ausland. Fassbombenangriffe auf Aleppo, Giftgasattacken und das Aushungern ganzer Stadtteile, Zehntausende in den Folterkammern: Kritik daran sucht man bei den Patriarchen vergeblich. Assad sei ein "Opfer gezielter Diffamierung", sagte etwa Patriarch Gregor Laham, bis zu seiner Emeritierung in 2017 höchster Kirchenmann der griechisch-melkitischen Kirche, 2015 gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Wut und Enttäuschung
"Aus heutiger Perspektive ist das mehr als peinlich. Wann werden sich die Kirchenführer eigentlich beim syrischen Volk für ihre Haltung entschuldigen?, fragt Theologe Kattan in einem Beitrag für die libanesische Online-Zeitung Almodon. "Es ist jetzt ihre Aufgabe, diese Zeit kritisch aufzuarbeiten. Sie sollten öffentlich zugeben, 'ja wir haben Fehler gemacht'." Niemand hätte von den Bischöfen Opposition erwartet, sagt Kattan, aber doch mehr Distanz zu einem repressiven Regime.
Viele syrische Christen im Land und im Exil seien zutiefst enttäuscht und wütend angesichts der Haltung ihrer Kirchenoberen, sagt Najib George Awad, ein protestantischer Theologe aus Syrien, der heute an der Universität Bonn lehrt. "Die Kirchenleute haben sich zum PR-Instrument des Assad-Regimes machen lassen und ihm geholfen, in der internationalen Öffentlichkeit ein positives Image aufzubauen", sagt Awad, der von Beginn an auf der Seite der Protestbewegung stand.
Tatsächlich genossen Christen zwar Religionsfreiheit innerhalb der Kirchenmauern, sobald sie aber gegen den Diktator den Mund aufmachten, wurden sie vom Regime verfolgt wie alle anderen Syrer. Nach Einschätzung von Oppositionellen haben nach 2011 auch Tausende meist junger Christen die Gefängnisse bevölkert, weil sie demonstriert oder regimekritische Flugblätter verteilt hatten. Den Kirchenleitungen werfen sie vor, man habe sie im Stich gelassen.
"Es gab auch unter den Priestern oppositionelle Aktivisten, die sich sehr eingesetzt haben", sagt Hind Kabawat. Sie ist als einzige Christin Mitglied der Kommission zur Vorbereitung der Dialogkonferenz für den Übergang in Syrien. "Aber es gab auch die anderen. Es gab Priester, die über christliche Aktivisten an den Geheimdienst berichtet haben und für viele Tote verantwortlich sind." Sie müssten zur Rechenschaft gezogen werden, genauso wie alle anderen Syrer, denen Verbrechen während der Assad-Diktatur zur Last gelegt werden.