Syrien: Deutschlands Rolle beim Wiederaufbau
13. April 2025Lama Ahmad erinnert sich noch gut an ihre Gefühle und die Freude vieler anderer Syrer, als in Syrien Anfang Dezember 2024 das diktatorische Regime des Präsidenten Baschar al-Assad gestürzt wurde. "Wir durften wieder Hoffnung haben", sagt die frühere syrische Diplomatin auf einer Veranstaltung der Denkfabrik Centre for Humanitarian Action und von Caritas International in Berlin.
2013 floh Ahmad nach Deutschland. Sie hat sich gut integriert, arbeitet für eine Stadtverwaltung im Bundesland Brandenburg und tritt als Menschenrechtsaktivistin für Kinderrechte und Chancengleichheit ein. Dennoch denkt sie darüber nach, ob sie nach Syrien zurückkehren sollte, um beim Wiederaufbau des Landes zu helfen.
Keine Heizung, kein Wasser, kein Strom
In ein Land, in dem 90 Prozent der Bevölkerung in Armut leben und 40 Prozent sogar in "prekären Verhältnissen", wie der Leiter der Hilfsorganisation Caritas International, Oliver Müller, schildert. "Die Menschen leben in zerstörten Häusern - ohne Heizung, ohne fließendes Wasser, mit nur zwei Stunden Strom am Tag. Mangelernährung ist weit verbreitet." 70 Prozent der Ärzte und des Gesundheitspersonals hätten Syrien verlassen, 13-jährige Kinder seien noch nie in einer Schule gewesen, berichtet Müller. "Das Land ist ausgezehrt."
Der Caritas-Chef hört nur wenig Positives von seinen Kolleginnen und Kollegen, die in Syrien versuchen, den Menschen zu helfen. "Es muss jetzt ganz massiv auch erstmal das Überleben weiterhin abgesichert werden und ich glaube, das wird selbst bei einer günstigen Prognose noch eine ganze Weile dauern."
Islamisten ohne Regierungserfahrung
Der Pessimismus speise sich auch daraus, dass die Übergangsregierung der Bevölkerung zwar einen Neuanfang versprochen habe, aber nicht handle, sagt Müller. "Vielleicht auch nicht handeln kann, weil die Rahmenbedingungen so schlecht sind", nimmt er an.
"Man muss realistisch sein", dämpft Lama Ahmad allzu hohe Erwartungen an die Rebellengruppen unter Führung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) und ihren Anführer Ahmed al-Scharaa, der Ende Januar zum Interimspräsidenten ernannt wurde. "Sie geben sich Mühe, machen aber viele Fehler. Das ist eine militärische Gruppe, die keine Erfahrung damit hat, ein Land zu regieren."
Knackpunkt Sanktionen
Nach wie vor gelten in vielen Bereichen Sanktionen, die von den USA und der Europäischen Union über Jahre verhängt wurden. "Selbst Kleinunternehmer haben Schwierigkeiten, an Produktionsteile zu kommen, weil sie auf irgendeiner Sanktionsliste stehen", erzählt Müller. "Als Hilfsorganisation erleben wir die Sanktionen vor allem beim Finanztransfer. Er ist umständlich, er ist teuer, er dauert extrem lang."
Bei Überweisungen nach Syrien würden deutsche Banken abwinken, aus Angst, etwas falsch zu machen. Gerade im Finanzsektor ist die Vorsicht groß, seit die USA jeden Verstoß gegen Sanktionen drastisch bestrafen. Dabei sind wichtige syrische Banken inzwischen von den Sanktionslisten gestrichen worden, doch diese Information scheint noch nicht ausreichend verbreitet zu sein.
Weiter Druck auf Assads Schergen
Die Sanktionen seien leider ein "fürchterlich kompliziertes" Thema, sagt der Nahost-Beauftrage des Auswärtigen Amtes, Tobias Kunkel. Sie pauschal aufzuheben, sei nicht ratsam, weil die EU sie auch gegen Personen verhängt habe. Natürlich wolle niemand "Assad und seinen Schergen" wieder Zugang zu den eingefrorenen Finanzmitteln bei den europäischen Banken geben.
Dazu kommt, dass das Vertrauen in die Übergangsregierung in Syrien begrenzt ist. "Wenn es halt dann wieder in die andere Richtung geht, dann muss es auch einen Snapback, einen Mechanismus geben, der aufgehobene Sanktionen wieder in Kraft setzen kann", so Tunkel.
Freiheit und Sicherheit für alle Menschen in Syrien
Die jüngsten Gewaltausbrüche gegen die Alawiten haben das Vertrauen nicht wachsen lassen. Im März gab es brutale Kämpfe und Massaker in Küstenstädten, bei denen mindestens 1000 Menschen ums Leben kamen. Die Sorge, dass die Übergangsregierung keine ausreichende Kontrolle hat, dass es weiterhin Keimzellen für Extremismus und Terrorismus in Syrien gibt, ist groß.
Die bisherige Bundesregierung hat Hilfszusagen stets mit der Forderung verbunden, dass es Freiheit, Sicherheit und Chancen in Syrien für alle Menschen geben müsse, auch für Frauen, und Angehörige aller Ethnien und Religionen.
Was wird die künftige Bundesregierung machen?
An der bisherigen Linie wird sich absehbar nichts ändern. Das Auswärtige Amt wird von der konservativen CDU übernommen. Das Entwicklungshilfe-Ministerium wird weiterhin von der SPD geführt. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, dass Syrien "bei der Stabilisierung und dem wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes" unterstützt werden wird. Doch auch die neue Bundesregierung stellt "klare Bedingungen" für Hilfen. "Zentral sind der Schutz sowie die gesellschaftliche und politische Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen und die Wahrung von Menschenrechten, insbesondere Frauenrechten", heißt es.
Der Leiter von Caritas International, Oliver Müller, findet das richtig. "Es leuchtet jedem ein, dass wir weder finanzielle noch politische Hilfe für eine Art Taliban-Regime leisten wollen. Ich halte es für ehrlich, wenn wir klar formulieren, was Ziel unserer Hilfe ist."
Ein ganz klares Ziel der Hilfen ist, "die Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimat" zu ermöglichen. Das haben Union und SPD im Koalitionsvertrag festgehalten. Ebenfalls steht dort: "Nach Afghanistan und Syrien werden wir abschieben - beginnend mit Straftätern und Gefährdern". Das alles wird natürlich einfacher, wenn sich die Lage dort stabilisiert.
Viel Geld ist aus Deutschland nicht zu erwarten
Der Wiederaufbau Syriens wird nach ersten Schätzungen mindestens 250 Milliarden Dollar kosten. Was kann und will Deutschland beisteuern? Die Europäer und damit auch Deutschland sind mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt, Syrien ist schon lange nicht mehr im Fokus. Die Haushaltslage der neuen Bundesregierung ist eng, sie wird sparen müssen. Zuletzt wurden im März 300 Millionen Euro für humanitäre Hilfe gegeben.
Tunkel sieht die Aufgabe der Bundesregierung aber nicht nur darin, Gelder bereitzustellen, sondern vor allem, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, um die Lebensgrundlagen im Land zu verbessern. Es sei an der internationalen Gemeinschaft, die "schützenden Arme um Syrien zu legen", damit der Übergangsprozess von der Bevölkerung selbst gestaltet werden könne, ohne dass sich Akteure von außen einmischen.
"Go and See Visit": Eine Rückkehr auf Probe
Caritas-Chef Müller wünscht sich aber auch ein finanzielles Engagement der Bundesregierung. Eine Anschubfinanzierung, um die Lage im Land zu verbessern. Damit viele aus Syrien Geflüchtete und private Investoren zurückkehren könnten, um beim Wiederaufbau zu helfen.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes wurde in Deutschland schnell darüber gesprochen, dass nun viele Flüchtlinge zurück in ihre Heimat gehen könnten. Doch es wäre eine Reise in die Ungewissheit. Sogenannte "Go and See Visits", also die Möglichkeit, erst einmal Lage zu erkunden und dann zu entscheiden, verbietet das deutsche Asylrecht.
Das müsse geändert werden, sagt der Nahost-Beauftragte Tunkel, der auf die Türkei verweist. Dort können syrische Flüchtlinge, befristet bis Juni, insgesamt dreimal nach Syrien reisen, um entscheiden zu können, ob eine Rückkehr bereits möglich ist.
Syrien steht noch ganz am Anfang
"Die Bedingungen für eine Rückkehr sind dort derzeit nicht gegeben", schätzt Tunkel die Lage ein. So sieht es auch die syrische Aktivistin Lama Ahmad, wenn sie über ihre eigene Zukunft nachdenkt. Sie habe aber Hoffnung und es gebe "kleine Lichtblicke" in Syrien, aber: "Wir sind ganz am Anfang." Es sei ein langer Weg zu Freiheit und Demokratie. "Der erste Schritt führt uns vielleicht nicht ans Ziel, aber wir kommen voran und das ist sehr wichtig für uns."