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Studie: Mehr Corona-Infektionen durch Pollen?

Katja Sterzik
11. März 2021

Wenn mehr Pollen fliegen, infizieren sich mehr Menschen mit Corona. Das zeigt eine neue Studie der TU München. In Zukunft also Spaziergänge mit Maske und Taucherbrille?

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BdT - Pollenflug
Bild: picture-alliance/dpa/W. Kumm

Laufende Nase, Kratzen im Hals, geschwollenen Augen - sichtbare Anzeichen, dass die Pollensaison wieder begonnen hat. Zu allem Übel haben Forschende in einer kürzlich im Fachmagazin PNAS veröffentlichten Studie herausgefunden: Mehr Pollenflug führt zu mehr Infektionen mit dem Coronavirus. Unabhängig davon, ob eine Person allergisch auf Pollen reagiert oder nicht. Diese Studie wird seit ihrer Veröffentlichung in den Medien und unter Fachleuten stark diskutiert. Was ist also an den Behauptungen wirklich dran? Müssen wir in Zukunft mit Maske und Taucherbrille spazieren gehen?

Was wurde genau untersucht?

Im Zeitraum von Januar bis April 2020 sammelte das internationale Forscherteam, angeleitet von Forschenden der Technischen Universität München (TUM) und des Helmholtz Zentrums München, Daten von 130 Pollen-Stationen in 31 Ländern.

Symbolfoto Frau nutzt Nasenspray
Histamine und Nasensprays zur Linderung: Wenn Pollen fliegen, dann läuft die Nase, die Augen jucken und der Hals kratzt.Bild: Florian Gaertner/photothek.net/Imago Images

Diese Pollenflug-Daten verglichen die Forschenden mit den Wetterdaten und den Infektionszahlen in den Monaten März bis April 2020. Wir erinnern uns: In diesem Zeitraum erreichte die erste Coronawelle Europa und Nordamerika. Ebenfalls in der Studie berücksichtigt wurden die getroffenen Coronamaßnahmen, wie beispielsweise der Lockdown.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

"Je mehr Pollen da ist, desto mehr Effekt ist da", fasst Dr. Traidl-Hoffmann, Umweltmedizinerin und Mitglied der Forschungsgruppe die Ergebnisse zusammen. Schon 100 Pollenpartikel mehr pro Kubikmeter Luft führten im Schnitt - ohne Lockdownmaßnahmen - zu einer Erhöhung der Infektionszahlen um 4%, so die Forschenden. Nimmt man alle Umweltfaktoren für den Studienzeitraum zusammen, also auch die Temperatur oder Luftfeuchte, könne das sogar zu einem Anstieg der Infektionszahlen von bis zu 44% führen.

Im Lockdown jedoch halbiere sich die Zahl der Neuinfizierten um die Hälfte, bei der gleichen Menge Pollen, die durch die Luft schwirrten, heißt es in der Studie. 

Warum stiegen die Infektionszahlen bei hohem Pollenflug? 

Menschen mit Allergien ist klar: Wenn Pollen fliegen, dann läuft die Nase, die Augen jucken und der Hals kratzt. Es gibt allerdings schon länger Untersuchungen dazu, dass Pollen noch einen anderen Nebeneffekt haben könnten: Sie lähmen vermutlich die antivirale Immunantwort unserer Schleimhautzellen, egal ob wir allergisch sind oder nicht.

Wenn wir Pollen oder Viren einatmen, gelangen sie auf die Nasenschleimhaut. Normalerweise bilden die Zellen bei Kontakt dort körpereigene Proteine, die unser Immunsystem aktivieren, um das Virus zu bekämpfen: sogenannte Interferone. 

Die Infografik zeigt schematisch das Abwehrsystem des Menschen, das in die erworbene und angeborene Immunantwort unterteilt wird.
Bei Viruskontakt: Körpereigene Proteine, die Interferone, kurbeln unser Immunsystem an

Treffen nun Pollen und Viren gleichzeitig in der Nase ein, wird dieser Abwehrmechanismus gehemmt und es werden weniger Interferone gebildet. Dadurch kann sich das Virus einfacher vermehren. Dieser Mechanismus konnte bereits für Rhinoviren nachgewiesen werden, die uns die altbekannte, meist aber harmlose Erkältung bescheren. 

Um das Virus SARS-CoV-2 erfolgreich abzuwehren, braucht unser Körper die selben Interferone, wie bei den Erkältungsviren. Deshalb könnte es sein, dass der gleiche Mechanismus für den Anstieg der Corona-Infektionen verantwortlich ist.

"Wir wissen aus anderen Studien, dass Allergiker generell eine niedrigere Interferon-Antwort haben. Das legt die Vermutung nahe, dass der Effekt bei Allergikern größer ist. Bisher ist das aber nur eine Hypothese, die wir untersuchen müssen", sagt Dr. Traidl-Hoffmann. Generell zählen Allergikerinnen und Allergiker jedoch laut Robert-Koch-Institut nicht zur Risikogruppe für das Coronavirus. 

Heuschnupfen - was hilft bei Pollenallergie

 

Grund zu Panik?

Diese Erkenntnisse klingen auf den ersten Blick plausibel. Allerdings ist die Studie ist den Forschenden in den letzten Tagen auch ziemlich um die Ohren geflogen. Die übrige Fachwelt äußerte Zweifel an der Aussagekraft der Studienergebnisse.

Auch wenn die Forschenden in ihrer Studie die besten der verfügbaren Daten verwenden, "lassen sich in einer solchen epidemiologischen Studie nie exakte Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung erklären", beurteilt Professor Dr. Karl-Christian Bergmann von der Charité Berlin die Arbeit. "Die Studie sagt, dass Umweltfaktoren, darunter auch Pollen, möglicherweise für einen Teil der Veränderung der Infektionszahlen im Frühling 2020, verantwortlich sind", zitiert er im Interview mit der Deutschen Welle den Faktencheck der Studienautorinnen und -autoren. "Daran sehen Sie schon, wie vorsichtig hier formuliert wird."

Der Ausbruch der Coronapandemie fiel zudem letztes Jahr zeitlich genau mit dem Start der Pollensaison zusammen. "Hohe Pollenzahlen in der Luft mit stei genden Infektionszahlen in den folgenden vier Tagen können daher auch zufällig aufgetreten sein", merkte Prof. Dr. Ludger Klimek vom Allergiezentrum Wiesbaden in einer Pressemitteilung des Ärzteverbands Deutscher Allergologen an.

Es bestehe kein Grund zur Beunruhigung, findet die Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst. In einer Stellungname heißt es: "Allergiker und Nichtallergiker sollten keine Sorgen oder gar Ängste entwickeln, durch den Kontakt mit Pollen in der Außenluft bevorzugt eine Infektion mit Corona-Viren zu erleiden." 

Epidemiologe André Karch kritisierte gegenüber dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel, dass aus der Studie nicht genau beziffert werden könne, wie groß die Rolle der Pollen bei den steigenden Infektionszahlen tatsächlich sei. Weil einfach zu viele, komplexe Umweltfaktoren, wie Wetterlage und soziales Verhalten der Menschen, zusammenspielten. Das mache es schwierig zu sagen, wie groß der Einfluss der Pollen tatsächlich ist. 

Auch die Autorinnen und Autoren der Studie räumen dies ein. "Die wichtigste Nachricht für uns ist: Pollen sind ein Faktor und nicht der einzige!", betont Dr. Traidl-Hofmann. "Es geht darum, dass wir verstehen, dass wir mit vielen Faktoren in Verbindung kommen und dass sich diese Faktoren natürlich gegenseitig befeuern, aber auch aufheben können. Letztes Jahr im Sommer haben wir ja in der Tat weniger Infektionen mit SARS-CoV-2 gesehen und wir vermuten auch in diesem Jahr, dass dann ein Temperatureffekt durchaus vorhanden ist".

Das Robert-Koch-Institut listet neben der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit auch den Wind und die UV-Strahlung der Sonne als weitere bekannte Umweltfaktoren auf. So kann durch UV-Licht das Virus unschädlich gemacht werden.

Einigkeit herrscht in der Fachwelt darüber, dass nach wie vor zwischenmenschlicher Kontakt der Treiber Nummer Eins in der Ausbreitung des Coronavirus ist. Wer sich also allein oder mit ausreichendem Abstand auch in den kommenden wärmeren Tagen draußen bewegt, ist auf der sicheren Seite.

Schützen mich Masken vor den Pollen?

Dass wir in den wärmeren Tagen mit Pollen in Kontakt kommen, lässt sich schlichtweg nicht vermeiden. Menschen, die der Risikogruppe angehören, sollten deshalb aus Sicht der Forschenden um Dr. Traidl-Hoffmann besonders vorsichtig sein und gerade an Tagen mit starkem Pollenflug eine Maske tragen.

Allergologe Dr. Karl-Christian Bergmann hingegen gibt generell Entwarnung: "Jeder kann weiter rausgehen und kann laufen, kann spazieren gehen, ob Allergiker oder nicht. Niemand muss jetzt drin bleiben." Aus seiner Sicht besteht noch wesentlich mehr Forschungsbedarf und auch ein Bedarf nach eindeutigeren Ergebnissen, um zusätzliche Schutzmaßnahmen in der Pollensaison zu rechtfertigen.

Spaziergänge mit Taucherbrille sind also auch in Zukunft nicht nötig.