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Streit zwischen bulgarischen und griechischen Orthodoxen in Istanbul vor Gericht

22. September 2003

- Auch türkische EU-Perspektiven werden von dem Streit berührt

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Bonn, 19.9.2003, DW-radio, Cem Sey

In der Türkei stehen der griechische Patriarch Bartholomeo und der gesamte Synod vor Gericht. Sie wurden von einer anderen Minderheit im Land, von der bulgarischen Gemeinde in Istanbul angezeigt. Vertreter der bulgarischen Gemeinde werfen den griechischen Religionsvertretern vor, ihr Recht auf Religionsfreiheit beschnitten zu haben. Nun verlangt der türkische Staatsanwalt, die griechischen Geistlichen zu bestrafen. Wenn das Gericht diesem Wunsch nachkommt, können sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Weitere Einzelheiten von Cem Sey.

Der Streit zwischen den griechischen und bulgarischen Orthodoxen auf türkischem Boden geht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Damals, 1872, hatte das griechische Patriarchat in Istanbul alle Bulgaren exkommuniziert, weil der damalige türkische Sultan den bulgarischstämmigen Staatsangehörigen religiöse Autonomie gewährte.

Durch die politischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts wurde die Lage noch komplizierter. Die griechischen Orthodoxen haben die Trennung der bulgarischen Glaubensbrüder nie anerkannt. Doch diese genießen sie schon seit über hundert Jahren. Hinzu kommt, dass beide Gruppen in der laizistischen Republik Türkei als Minderheiten mit besonderen Rechten anerkannt worden sind.

Der aktuelle Streit begann mit einem Rundschreiben des griechischen Patriarchats in Istanbul, in dem es bekannt gab, den obersten bulgarischen Priester Konstantin Kostoff seines Amtes enthoben zu haben. "Das hat unsere Gemeinde an der Ausübung ihrer religiösen Pflichten gehindert und verursachte eine Spaltung unter den Bulgaren", sagt Bojidar Cipof, Mitglied des Vorstandes der bulgarischen Gemeinde in Istanbul:

Cipof

: "Das griechische Patriarchat ist eine Institution, die den Griechen Istanbuls bei der Ausübung ihrer Religion hilft. Es hat keine weitere Bedeutung und Kompetenzen. Doch es hat versucht, uns zu sanktionieren. Offiziell hat es sich nicht durchsetzen können, aber durch Tricks hat es uns gespalten. Es hat diejenigen ausgenutzt, die griechische Verwandte haben. Damit hatte es Erfolg."

Die etwa 500 bulgarischen Orthodoxen in der Türkei streiten seitdem auch untereinander. Der damalige Vorstand der Gemeinde trat zurück. Der neu gewählte entließ arbeitsrechtlich den obersten Priester Kostoff. Daraufhin erstattete Cipof Anzeige:

Cipof: "Sie wollen die bulgarische Gemeinde assimilieren. Denn das griechische Patriarchat meint, 'alle Bulgaren sind Hellenen. Die bulgarische Gemeinde ist uns unterstellt, wir verwalten sie. Es wird das getan, was wir beschließen.' Doch das ist gegen die türkischen Gesetze. Das haben wir schon 1996 durch einen Gerichtsbeschluss verhindert."

Damals wurde ein Metropolit der griechischen Gemeinde zu einer halbjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er in einer bulgarisch-orthodoxen Kirche einen Gottesdienst auf griechisch gehalten hatte. Seitdem haben griechisch-orthodoxe Priester keinen Zugang zu bulgarischen Kirchen in der Türkei.

Cipof beklagt sich auch über die Versuche der griechischen Geistlichen, die bulgarischen Geburtsurkunden der bulgarischen Orthodoxen durch griechische zu ersetzen. Dadurch würde die bulgarische Gemeinde irgendwann aufhören zu existieren. Das wäre auch das Ende der bulgarisch-orthodoxen Institutionen und deren Kirchen in der Türkei. Alle würden in den Besitz des türkischen Staates gehen.

Dass dieser Streit nicht im Rahmen theologischer Debatte gelöst werden konnte, bedauert Cipof:

Cipof

: "Wir konnten es nicht lösen. Denn sie haben eine sehr konservative, sehr engstirnige, sehr fundamentalistische Herangehensweise. Sie behaupten, dass das, was sie sagen, Gesetz sei und man dürfe dies nicht missachten. Aber ich lebe im 20. Jahrhundert in einem laizistischen Land. Ich habe Grundrechte. Warum soll ich deren Geistlichen blind folgen?"

Aus Bulgarien erhofft sich Cipof keine Unterstützung. Die Kirche dort sei gespalten. Beide Fraktionen würden für eine Anerkennung durch die griechisch-orthodoxe Kirche kämpfen. Dabei werden die Glaubensbrüder in Istanbul geopfert. Auch die Bestrebung Bulgariens, Mitglied der EU zu werden, würde eine Rolle spielen, meint Cipof:

"Es ist heute bekannt, was die griechische Regierung alles tut, um den offiziellen Status des Patriarchats in Istanbul zu verbessern. Es wird ständig verlangt, es als Ökumene anzuerkennen und ein theologisches Seminar zu eröffnen. Wenn jetzt Bulgarien in die EU will, wird auch Griechenland darüber abstimmen. Natürlich hat es auch damit zu tun."

Das griechisch-orthodoxe Patriarchat in Istanbul hält sich zu diesem Thema in der Öffentlichkeit zurück. Auch zu den Vorwürfen der bulgarischen Orthodoxen und zum Prozess äußert es sich nicht.

Aber bei seiner Vernehmung durch den türkischen Staatsanwalt hat der Patriarch Bartholomeo den Anspruch erhoben, das Oberhaupt aller Orthodoxen in der Türkei zu sein, unabhängig davon, welche ethnische Zugehörigkeit sie haben. Außerdem hat er dem obersten bulgarisch-orthodoxen Priester erneut vorgeworfen, "die heiligen Gesetze und Rituale der orthodoxen Kirche zu missachten."

Nun müssen türkische Juristen klären, wer in der orthodoxen Welt des Landes welche Rechte hat. Keine einfache Aufgabe. Denn das Land klopft selbst an die Tür Europas und die Rechte der christlichen Minderheiten gehören zu den eher heiklen Themen bei den Verhandlungen mit der EU. Voreilige Entscheidungen könnten den türkischen Weg dahin erschweren. (MK)