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PolitikPolen

Stichwahl in Polen: Proeuropäer und EU-Skeptiker gleichauf

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
30. Mai 2025

Bei der Stichwahl am 1. Juni liefern sich der proeuropäische Rafal Trzaskowski und der rechtskonservative Karol Nawrocki wohl ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Das Ergebnis ist entscheidend für Polens Zukunft und EU-Kurs.

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Menschen mit polnischen Fahnen in der Hand stehen hinter einer Absperrung
Anhänger des polnischen Präsidentschaftskandidaten Rafal Trzaskowski auf einer Wahlkampfkundgebung im zentralpolnischen Ort Pabianice am 29.05.2025Bild: Jakub Porzycki/Anadolu/picture alliance

Vor der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen an diesem Sonntag (01.06.2025) liegen der proeuropäische, liberalkonservative Rafal Trzaskowski und der rechtskonservative EU-Skeptiker Karol Nawrocki fast gleichauf. Nach der neuesten Umfrage des Instituts Opinia24 vom Donnerstag hat Trzaskowski mit 47,4 Prozent einen hauchdünnen Vorsprung vor Nawrocki mit 46,3 Prozent. 3,6 Prozent der Befragten sind noch unentschieden; 2,7 Prozent verweigerten die Antwort. Beim ersten Wahlgang am 18. Mai hatte Trzaskowski mit 31,36 Prozent vor Nawrocki mit 29,54 Prozent der Stimmen gewonnen.

Die Stichwahl entscheidet nicht nur, wer im August in den Präsidentenpalast in Warschau einzieht. Auf dem Spiel steht die Zukunft der Mitte-Links-Regierung des Premiers Donald Tusk sowie Polens Stellung in Europa. Ein Sieg von Nawrocki würde höchstwahrscheinlich die Fortsetzung der bisherigen Blockadepolitik des amtierenden Präsidenten Andrzej Duda bedeuten, der mit seinem Veto die meisten Reformen verhindert, vor allem die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit. Es ist auch zu erwarten, dass Nawrocki die Konfrontation mit Brüssel suchen wird. Er bekennt sich zur Parole "Polen zuerst", lehnt die EU-Klimapolitik und das Migrationspaket ab und ist skeptisch gegenüber der Ukraine-Hilfe.

Ein Mann mit einem Mikrofon in der Hand, der vor einer polnische Fahne steht
Der liberalkonservative, proeuropäische polnische Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski spricht auf einer Wahlkundgebung im zentralpolnischen Ort Pabianice am 29.05.2025Bild: Mikolaj Barbanell/SOPA/ZUMA/picture alliance

Auf der Zielgeraden des Wahlkampfes zog der Kopf der polnischen Rechtskonservativen, der Vorsitzende der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jaroslaw Kaczynski, die antideutsche und antieuropäische Karte. Diese Methode hat ihm in der Vergangenheit manchen Erfolg verschafft.

Angeblicher Souveränitätsverlust

Kaczynski beschuldigte Trzaskowski, eine Änderung der EU-Verträge zu befürworten, was zum "Verlust der Souveränität" Polens führen würde. Eine Erweiterung der EU-Zuständigkeiten sei von Vorteil für Deutschland, sagte der PiS-Chef am Donnerstag in Warschau und bezichtigte das westliche Nachbarland "imperialer Tendenzen".

Wahl in Polen: Auch Polen in Deutschland stimmen ab

"Eine imperiale Tendenz droht vor allem aus dem Osten, in Deutschland ist sie anders, wird mit anderen, milderen Methoden realisiert, aber im Grunde geht es immer um dasselbe - um Hegemonie, um Vorherrschaft und Herabsetzung der Anderen", warnte Kaczynski.

Auch Nawrocki hat seinen Ton gegenüber dem liberalen Herausforderer verschärft. Trzaskowski sei ein "Feigling und Strohmann von Tusk", der den deutschen Stiftungen verpflichtet sei, sagte er am Donnerstag in Kattowitz.

Zwielichtige Vergangenheit von Nawrocki

Unterdessen stellt Trzaskowski, der bis Freitagabend - ab Samstag ist der Wahlkampf verboten - das Land kreuz und quer bereisen will, immer häufiger die Frage: "Wer ist eigentlich dieser Karol Nawrocki?" Denn fast jeder Tag bringt neue sensationelle Informationen über die zwielichtige Vergangenheit des Kandidaten, den Kaczynski selbst zum "Kandidaten der Bürger" erkoren hat.

Der 42-jährige Historiker aus Danzig gab selbst zu, an einer verabredeten Massenschlägerei zwischen militanten Fans zweier Fußballklubs teilgenommen zu haben, und nannte das ein "edle Kampfform". Er steht zudem unter Verdacht, eine Kommunalwohnung von einem mittellosen, alkoholabhängigen Mann erschlichen zu haben.

Ein Mann steht neben einem Auto, winkt und ist umringt von vielen Menschen, einige halten polnische Fahnen in der Hand
Der rechtskonservative polnische Präsidentschaftskandidat Karol Nawrocki bei einer Wahlkampfkundgebung in der südpolnischen Stadt Katowice am 29.05.2025Bild: Beata Zawrzel/Anadolu/picture alliance

Kürzlich berichtete das Online-Portal Onet außerdem, dass sich Nawrocki in seiner Studienzeit als Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes im noblen Grand Hotel im Ostseekurort Sopot (Zoppot) daran beteiligt habe, Hotelgästen Prostituierte zuzuführen. Die Autoren des Berichtes berufen sich auf Aussagen von zwei Zeugen, die sich zwar bereit erklärt haben, vor Gericht auszusagen, aber vorerst anonym bleiben wollten.

PiS steht zu ihrem Kandidaten

Nawrocki hat alle Beschuldigungen zurückgewiesen. Und auch sein politisches Lager hält an ihm unbeirrt fest. Die Medien weisen darauf hin, dass er nicht von der Möglichkeit Gebrauch machte, während des Wahlkampfes gegen Onet gerichtlich vorzugehen. In solchen Fällen fällt das Urteil in der Regel innerhalb von 24 Stunden. Stattdessen hat er eine Zivilklage eingereicht. Bis zum Urteil können Jahre vergehen.

Kaczynski machte Tusk und Trzaskowski verantwortlich für den "abscheulichen und auf Lügen aufgebauten Angriff" gegen seinen Kandidaten. Er spielte die Prügeleien zwischen den Hooligans herunter, indem er sagte, dass auch er und sein Zwillingsbruder Lech als Jugendliche an Schlägereien teilgenommen hätten und deshalb "unzählige Male in der Notaufnahme gelandet" seien.

Trump gibt Nawrocki Schützenhilfe

Schützenhilfe bekam Nawrocki aus Amerika. Er protzt mit einem Foto mit Donald Trump im Oval Office. Um Nawrocki unter die Arme zu greifen, haben die US-Konservativen ihre CPAC-Konferenz diesmal im polnischen Jasionka bei Rzeszow organisiert. Trumps Ministerin für Heimatschutz Kristi Noem beschimpfte dort am Dienstag Trzaskowski als "einen Sozialisten, der mit der Angst regieren wird, um eine gegen die Freiheit gerichtete Agenda durchzusetzen".

Noem empfahl den Polen, einen Präsidenten zu wählen, der mit Trump zusammenarbeitet, weil sie dann "einen mächtigen Verbündeten gewinnen". Sie warb für "starken Leader Karol".

Menschen mit polnischen Fahnen hinter einem Transparent mit der Aufschrift: "Polen zuerst"
Anhänger des polnischen Präsidentschaftskandidaten Karol Nawrocki am 25.05.2025 in Warschau mit einem Transparent, auf dem steht: "Polen zuerst"Bild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

"Die Unterstützung seitens der US-Politiker aus dem Trump-Lager ist als ein Signal zu deuten, dass Alt-Right die Wahl in Polen als einen Teil des globalen Krieges gegen den Liberalismus betrachtet", kommentierte Michal Szuldrzynski in der Tageszeitung Rzeczpospolita.

Was machen die Mentzen-Wähler?

Offen bleibt, was mit fast drei Millionen Stimmen geschieht, die der Kandidat der ultrarechten und wirtschaftslibertären Konfederacja, Slawomir Mentzen, in der ersten Runde bekommen hatte.

Nach Gesprächen mit Nawrocki und Trzaskowski gab der 43-jährige Unternehmer, der Dritter geworden war, keine eindeutige Empfehlung ab, sondern rief seine Anhänger auf, sich von ihrem Gewissen leiten zu lassen. Der antisemitische und rechtsradikale Kandidat Grzegorz Braun, der immerhin mehr als eine Million Stimmen bekam, sprach sich dagegen offen für Nawrocki aus.

Ein Mann in Anzug mit Mikrofon vor einer polnischen Fahne
Der rechtsextreme polnische Präsidentschaftskandidat und Drittplazierte der ersten Wahlrunde, Slawomir MentzenBild: Attila Husejnow/Zumapress/picture alliance

Trzaskowski hofft, wenigstens einen Teil der Mentzen-Wähler auf seine Seite zu ziehen, vor allem Wirtschaftsliberale, die einen schlanken Staat mit niedrigen Steuern wollen. Und er kann mit einer breiten Unterstützung der ganzen Regierungskoalition rechnen. Beim ersten Wahlgang hatten die christdemokratische Partei Polen 2050, die Polnische Bauernpartei (PSL) und die Neue Linke eigene Kandidaten aufgestellt.

Trzaskowski will Abtreibungsrecht liberalisieren

Der liberalkonservative Kandidat präsentiert sich im Wahlkampf als ein Versöhner, der Dialog mit Menschen sucht. "Ich will nicht spalten, sondern verbinden", wiederholt er auf Wahlkundgebungen. Sein Hauptargument ist die Kompetenz. Trzaskowski ist seit 2018 Bürgermeister von Warschau. Er war vorher Parlamentarier, Digital-Minister und Europa-Staatssekretär im Außenministerium. Er werde die Regierung zu schnelleren Reformen "antreiben", kündigt er an und verspricht, das "mittelalterliche Abtreibungsrecht" zu liberalisieren.

"Bis zur Schließung der Wahllokale wird es ein Kopf-an-Kopf-Rennen sein. Der Unterschied zwischen den Kandidaten könnte bei lediglich 200.000 Stimmen liegen", sagte die Politologin Barbara Brodzinska-Mirowska am Freitag dem Fernsehsender TVN. Sie warnte beide Bewerber davor, am Sonntagabend voreilig den Sieg zu verkünden. Am Montagmorgen könne das Ergebnis anders sein als am Wahlabend.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.