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Stefan Feller: Schlechte Erfahrungen bei der Kosovo-Polizei sind absolute Einzelfälle

23. Juni 2003

– Police Commissioner der UN lobt multi-ethnische Zusammenarbeit

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Köln, 17.6.2003, DW-radio / Albanisch, Adelheid Feilcke-Tiemann

Stefan Feller (45), Polizeibeamter aus Nordrhein-Westfalen, ist seit März 2002 Police Commissioner der UN im Kosovo.

Frage

: Es sind inzwischen vier Jahre seit dem Kriegsende im Kosovo vergangen. Mehr als in den vergangenen Jahren wird heute die Frage gestellt, wohin geht der Kosovo? Was wurde erreicht und was nicht? Was ist in Ihrem Bereich bisher erreicht im Kosovo?

Feller

: Der erste grundlegende Aspekt ist: im Unterschied zu vielen anderen Missionen der vereinten Nationen hat es für die Polizei hier nichts gegeben, auf dem man hätte aufbauen können. Es hat nicht, wie z.B. in Bosnien eine existierende Polizei gegeben, deren Wirkung hätte man verbessern können, die man auf dem Weg zu einer rechtsstaatlichen Polizei nach europäischen Standards hätte begleiten können. Wir haben 1999 den vollständigen Zusammenbruch der öffentlichen Strukturen im Kosovo gehabt und wir haben dort den vollständigen Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der polizeilichen und der militärischen Kräfte gehabt, alles, was mit öffentlicher Administration, mit Wiederherstellung eines funktionierenden Gemeinwesens verbunden war, musste komplett aus dem Nichts aufgebaut werden. Wir haben die nicht mehr vorhandenen Sicherheitsstrukturen und das Sicherheitsvakuum durch internationale Polizei füllen müssen und zur gleichen Zeit als zweiter eigentlich wichtigster Teil unseres Auftrages, uns damit beschäftigt, einen neuen Policeservice im Kosovo aufzubauen. Wir haben das so, wie ich das immer ausdrücke, wie die verschiedenen Etagen eines sehr komplexen Hauses, Stück für Stück nacheinander aufbauen müssen. Man kann nicht beim Dach beginnen, sondern man muss beim Boden oder beim Fundament beginnen.

Frage

: Herr Feller, bei welcher Etage sind Sie jetzt angelangt?

Feller

: Wir glauben, dass wir auch das Dach dieses Hauses jetzt im Jahr 2003 sicherlich so weit errichtet haben, dass wir sehr, sehr wirkungsvoll geworden sind, wir sind sowohl im Bereich der internationalen Polizisten, das sind momentan immer noch ca. 4.440 internationale Polizisten aus 46 Nationen, als auch zusammen mit unseren kosovarischen Kolleginnen und Kollegen, das sind zur Zeit ca. 5500, glauben wir mittlerweile sehr effizient geworden zu sein und sehr wirkungsvoll geworden zu sein, auch bei der Bekämpfung von schwerer und schwerster Kriminalität.

Frage:

Wie funktioniert die interethnische Zusammenarbeit, d. h. die Integration von Nicht-Albanern in die kosovarische Polizei und umgekehrt auch die Tätigkeit der Polizisten in ethnischen Räumen, wo sie nicht die Mehrheit ausmachen?

Feller:

Es gibt eigentlich im Kosovo insbesondere zwei wirklich multiethnische Formen der Zusammenarbeit: Die eine multiethnische Form der Zusammenarbeit funktioniert in der Kriminalität und die andere Form der multiethnischen Zusammenarbeit, die täglich hier erlebt werden kann, ist die innerhalb des Kosovo Policeservice. Sie ist so extrem positiv ausgeprägt, ich sag mal, dass schlechte Erfahrungen absolute Einzelfälle sind. Das Selbstverständnis des Kosovo Policeservice ist wirklich mit einem Satz zu fassen: Wir wollen anerkannt werden als kosovarische Polizisten, ohne dass unsere Identität oder unsere Ethnie einen Unterschied macht. Die Kolleginnen und Kollegen sind stolz darauf, in gemeinsamen Streifen zu gehen. Sie würden das hier, wenn sie sich das hier ansehen, erleben, dass in einem vorwiegend albanischen Bereich eine gemischte Polizeistreife der kosovarischen Polizisten, den Verkehrsteilnehmer zuerst einmal in Albanisch anspricht und wenn er in serbisch antwortet, wechseln sie automatisch ins Serbische um, das gleiche in einer serbischen Enklave anders herum. Sie stehen füreinander ein und sie vermitteln bei der Bevölkerung auch genau dieses Bild. Überall dort, wo wir die Erfahrung machen, dass ethnische Probleme den Alltag einer kleinen Gemeinde bestimmen, machen wir auch die Erfahrung, dass wenn wir mit gezielten Community-Policing-Konzepten arbeiten, mit multiethnischen Konzepten, dass wir in der Lage sind, Vertrauen in der Bevölkerung zu schaffen.

Frage:

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen internationalen und lokalen Polizisten?

Feller:

Wir arbeiten nicht mit ihnen zusammen, wir sind eine Polizei, wir haben das Empfinden untereinander, dass wir keinen Unterschied machen zwischen internationalen und kosovarischen Kollegen, das heißt: Unser Verständnis ist, wir sind eine Polizeiorganisation, die zur Zeit auch noch zu fast 50 Prozent, oder mittlerweile weniger aus internationalen Kollegen zusammengesetzt ist, aber die zunehmend in eine kosovarische Institution überführt wird. Die Erfahrungen, die wir vom ersten Tag an gemacht haben mit unseren kosovarischen Kolleginnen und Kollegen, sind überragend gut. Die kosovarischen Polizistinnen und Polizisten sind extrem motiviert, sie sind ausgesprochen lernbegierig, sie sind mit großer Freude dabei, sie sind diejenigen, die die Zukunft dieses Stücks der Welt, dieses Kosovo darstellen, wir machen ausgesprochen gute Erfahrungen mit der Qualität ihrer Arbeit. Die Schulung und die Fortbildung dieser Kolleginnen und Kollegen durch die Schule der Polizei, die derzeit von der OSZE, von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geführt wird, genießt internationale Anerkennung.

Frage

: Das klingt alles positiv. Andererseits gilt Kosovo immer noch als ein Raum mit hoher Kriminalitätsrate. Wo liegen eigentlich die Defizite Ihrer Arbeit?

Feller:

Es wird immer wieder gesagt, im Kosovo herrsche ein großes Problem mit Kriminalität oder organisierter Kriminalität oder mit anderen Phänomenen. Auf der einen Seite lassen sich solche Phänomene in Zahlen sehr schwer messen, weil Zahlen meistens Hellfeld- und nicht Dunkelfeldzahlen sind. Mir ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Kosovo sicherlich genauso viel und genau so wenig Probleme mit schwerer und organisierter Kriminalität hat wie die gesamte Region, wir machen dort keine unterschiedlichen Erfahrungen und sicherlich steht die Bekämpfung dieser Phänomene momentan bei uns neben dem Aufbau der kosovarischen Polizei an der ersten Stelle der Prioritäten bezogen auf die internationale Polizeiarbeit.

Frage

: Wie ist die Zusammenarbeit mit den polizeilichen Strukturen und Behörden der Region, in Mazedonien, Serbien, Albanien?

Feller

: Auf der einen Seite im Kosovo arbeiten sämtliche Sicherheitsverantwortlichen, das sind sowohl unsere Freunde vom militärischen Teil KFOR, als auch die Polizei, der örtliche Bereich des Kosovo Policeservice und die internationale Polizei extrem eng zusammen. Auf der anderen Seite existieren Zusammenarbeitsstrukturen mit allen benachbarten Bereichen oder Ländern. Wir haben intensive grenzüberschreitende Zusammenarbeitsbeziehungen, ob das jetzt unsere Grenzpolizei oder Borderpolice ist oder ob das die tägliche Zusammenarbeit in der Kriminalitätsbekämpfung ist, wo wir über Vereinbarungen mit Mazedonien und mit Albanien, die wir permanent weiter ausbauen, zusammen arbeiten. Und wir haben einen gleichermaßen effektiven und ausgesprochen gut funktionierenden Mechanismus der Zusammenarbeit mit Serbien, mit dem wir bis auf tägliche Ebene bei der Bekämpfung von Phänomenen der Kriminalität zusammenarbeiten, die grenzüberstreitend sind. Zu Mazedonien und Albanien hat das Kosovo eine Grenze, zu Serbien eine Verwaltungsgrenze. Und bei der Zusammenarbeit über diese Verwaltungsgrenze arbeiten wir genauso effektiv mit Serbien zusammen - auf der professionellen, auf der Polizeiebene - wie mit benachbarten Staaten, Mazedonien und Albanien. Der Erfolg, den wir häufig natürlich nicht veröffentlichen können, gibt uns dabei Recht.

Frage

: Sie haben die organisierte Kriminalität erwähnt. Welche Phänomene sind es konkret, die Sie besonderes beschäftigen?

Feller:

Organisierte Kriminalität im Kosovo und auf dem Balkan insgesamt ist sehr stark dominiert durch Familien- und Clanstrukturen. Das, was wir heute als organisierte Kriminalität bezeichnen, hat auf der einen Seite eine teilweise sogar jahrhundertealte Tradition der Parallelstrukturen, ob das jetzt Schmuggel oder andere kriminelle Aktivitäten sind. Und auf der anderen Seite muss das, was im Kosovo passiert ist, spezifisch vor dem Hintergrund gesehen werden, dass 1989 die substanzielle Autonomie des Kosovo abgeschafft wurde, vom Milosevic-Regime, und dass die Albaner im Kosovo eine Parallelstruktur aufgebaut haben, die sie auch mit Schmuggelaktivitäten und anderen kriminellen Aktivitäten gefüllt haben. Als 1999 das alles zusammengebrochen ist, sind diese Schmuggelaktivitäten und Parallelaktivitäten nicht zusammengebrochen, sondern sie sind zunehmend profitabel in organisierte Kriminalität überführt worden. Das heißt, wir reden spezifisch von Menschenhandel und Prostitution in das Kosovo hinein, nicht als Transitland, sondern in das Kosovo hinein. Wir reden über Waffenschmuggel, wir reden über Schmuggel und andere Aktivitäten im Bereich des Drogenhandels. Und wir reden über sehr stark verwandte Probleme, die mit organisierter Kriminalität zu tun haben, nämlich über Korruption und über Geldwäsche.

Frage:

Andererseits machen vor allem polizeiliche Maßnahmen, die im ethnischen Bereich sind, oder die Verhaftungen von UCK-Leuten Schlagzeilen. Sind das in Ihrer Arbeit nicht unbedingt die dominierenden Bereiche?

Feller:

Es gibt die veröffentlichte Realität und die Realität. Immer wenn wir jemanden, der eine Straftat begangen hat, festnehmen, der auch gleichzeitig in der Befreiungsphase oder in der Konfliktphase des Kosovo als UCK-Kriegsheld von der Bevölkerung geachtet und auch heute noch verehrt wird, erleben wir eine Instrumentalisierung dieser Festnahme, mit dem Ziel sie zu politisieren und zu sagen, das ist keine Geschichte, die mit Recht und Ordnung zu tun hat, sondern das ist eine politische Maßnahme. Wir fokussieren uns nicht auf die Angehörigen der ehemaligen UCK, sondern wir fokussieren uns auf organisierte Kriminalität und ihre Hintermänner. Und nehmen dabei keine Rücksicht auf ethnische Zugehörigkeit, auf die Gruppenzugehörigkeit zu besonders hier in der öffentlichen Wahrnehmung vorhandenen Gruppen wie der ehemaligen UCK. Wir folgen einfach dem Grundsatz: "No one is above the law", - Niemand steht über dem Recht - und das schließt weder kosovarische noch internationale Beteiligung an Kriminalität aus.

Frage

: Wie sieht die Zukunft Ihrer Mission aus?

Feller

: Die Polizei ist ein Teil eines Polizei- und Justizwesens, das aus Polizei, Staatsanwaltschaft, Gerichten und Strafvollzug besteht. Eine erfolgreiche Übergabe an die Kosovaren hier setzt voraus, dass alle Teile erfolgreich aufgebaut und nach demokratischen Prinzipien übergeben werden. Wir werden sicherlich über die nächsten Jahre hinweg nach wie vor in allen unseren Erfolgen oder Schwierigkeiten maßgeblich zu dem Gesamterfolg dieser Mission hier beitragen. Zur gleichen Zeit fangen wir in diesem Jahr an, in Zahlen, die Internationalen Beteiligungen in der Polizei abzubauen. Je mehr wir unsere Polizei oder das Haus, was ich eben bezeichnet habe, entwickeln, desto mehr haben wir den Bedarf, bei gleichzeitigem Abbau von Zahlen, Spezialisten zu erhalten, weil das genau der Bereich ist, der zur Zeit nur unvollständig vom Kosovo Police Service wahrgenommen werden kann. Das wird unsere Herausforderung in den nächsten zwei, drei Jahren sein, das Haus endgültig zu stabilisieren, die Übernahme des Hausbesitzes durch das Kosovo Police Service kontinuierlich voran zu treiben und in der Zwischenzeit die oberen Etagen erfolgreich mit qualifizierten Kolleginnen und Kollegen zu bewohnen. (MK)