Soldatenfamilien spüren das Schweigen der Juntas im Sahel
8. August 2025Fast zwei Jahre ist es her, dass Saratou vom Tod ihres Sohnes, eines Soldaten in der nigrischen Armee, erfuhr. Doch der Schmerz bleibt. "Der Tod lässt sich nicht auflösen", sagt die Frau, als wir sie in Nigers Hauptstadt Niamey treffen. Zu dem Zeitpunkt liegt die Machtübernahme der Militärjunta um Abdourahamane Tiani wenige Monate zurück. Saratou, die wir aus Sicherheitsgründen nur beim Vornamen nennen, sitzt in einem Hof, ein Foto ihres Sohnes in der Hand. "Unsere Gedanken sind immer bei unseren Verstorbenen."
Dazu kommt die tiefe Erschütterung über das, was ihr in jenen Tagen widerfahren ist. In den sozialen Netzwerken erfuhr Saratou Ende September 2023 vom Angriff auf eine Einheit in Kandadji. Damals war auch ihr Sohn, der seit gerade sieben Monaten in der Armee war, in dieser Ortschaft rund 200 Kilometer nordwestlich von Niamey stationiert. Saratou versuchte, herauszufinden, ob er zu den zwölf getöteten Soldaten gehörte. Schließlich bestätigte ein Freund ihres Sohnes das Unfassbare.
Gemeinsam mit der Frau ihres Sohnes machte sich Saratou auf nach Kandadji, um das Grab zu besuchen. Vor Ort stellte sich heraus, dass seine Beisetzung noch bevorstand. Doch die Frauen wurden abgewiesen: "Wir haben nichts gesehen. Seine Frau hat alles versucht, um wenigstens seine Leiche zu sehen, aber sie wurde von den Verantwortlichen des Lagers Kandadji daran gehindert." In der Trauer und Enttäuschung erlitt die Frau, die im zweiten Monat schwanger war, eine Fehlgeburt.
Die Rückkehr nach Niamey gestaltete sich schwierig. Geld hatten sie nicht, das ausstehende Gehalt ihres Sohnes war ihnen noch nicht ausgezahlt worden. Schließlich organisierten dessen Freunde eine Sammelaktion, um auszuhelfen. Eine Woche nach ihrer Rückkehr sei das letzte Gehalt ihres Sohnes per Geldtransfer überwiesen worden, erzählt Saratou. Seitdem hat sie keine Neuigkeiten. Bis heute hat sich kein Vertreter von Armee oder Regierung bei ihr blicken lassen.
Tödlicher Terrorismus
Für Seidik Abba, den Vorsitzenden der Denkfabrik CIRES (Internationales Zentrum für Reflexionen und Studien über die Sahelzone), ist Saratous Geschichte kein Einzelfall: "Die Familien erfahren oft über die Medien oder soziale Netzwerke vom Tod ihrer Angehörigen. Es gibt keinen direkten Kanal oder Mechanismus, um die Familien frühzeitig zu informieren", kritisiert Abba im DW-Gespräch. Er fordert, diese Lücke zu schließen - und verweist darauf, dass in anderen Ländern zum Teil Verteidigungsminister oder gar Regierungschefs persönlich kondolierten.
Im Jahr 2024 war die Sahelzone laut dem Global Terrorism Index mit 3.885 von insgesamt 7.555 Todesfällen das Epizentrum des weltweiten Terrorismus. Schätzungen zufolge könnte die Zahl jedoch deutlich höher sein. Die Kernländer dieser Region - Mali, Niger und Burkina Faso - stehen seit einigen Jahren unter Militärregierungen. In diesen Ländern ist es zurzeit schwer, an genaue Informationen zur Zahl der zivilen und militärischen Opfer zu kommen - aus nachvollziehbaren Gründen, sagen Beobachter wie Seidik Abba: "Als die Militärregime die Macht übernommen haben, haben sie dies mit der Verschlechterung der Sicherheitslage begründet", sagt Abba. "Da ist es offensichtlich, dass es für sie unangebracht wäre, regelmäßig zu kommunizieren. Denn wenn jeder Vorfall kommuniziert wird, würde dies in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, dass sich die Sicherheitslage nicht verbessert hat."
Die Kommunikationsstrategie der Sahelstaaten
Über militärische Verluste zu berichten, würde bedeuten, ihre Misserfolge klar anzuerkennen, meint auch der togoische Analyst Emery Owolabi. Damit könnte die regierende Junta ihre Machtbasis gefährden: "In Kriegszeiten gibt es eine Kontrolle der Informationen. Diese mangelnde Transparenz zielt auch darauf ab, eine Demobilisierung oder Demotivierung der Truppen und der Bevölkerung zu vermeiden. Die Bevölkerung darf nicht durch die enormen Verluste psychologisch beeinflusst werden. Anstatt die Bevölkerung hinter ihrer Armee zu vereinen, könnten diese Informationen zu einer Spaltung führen."
Die DW versuchte, ein Interview mit dem im Niger regierenden Nationalrat für die Rettung des Vaterlands (CNSP) zu bekommen. Am Telefon verlangte die Pressestelle eine schriftliche Anfrage - diese blieb jedoch bis zum Redaktionsschluss für diesen Artikel unbeantwortet. Doch ein Interview mit Nigers Verteidigungsminister Salifou Mody vom Januar im nationalen Fernsehen scheint die Einschätzung der Experten zu bestätigen. Mody beklagte darin einen "Kommunikationskrieg, in dem alle Mittel eingesetzt werden, um nicht nur unsere Bevölkerung und unsere Sicherheitskräfte zu entmutigen, sondern auch nach außen zu vermitteln, dass im Niger nichts funktioniert." Auch in der Kritik: Westliche Medien.
Burkina Faso bleibt mit mehr als 1500 Todesfällen im Jahr 2024 das am stärksten betroffene Land. Hier hat Junta-Chef Ibrahim Traoré das Schweigen zum Dogma erhoben: Laut dem Chef der Militärregierung würde die Bekanntgabe der Verluste der Armee und der Zivilbevölkerung einer Propaganda für dschihadistische Gruppen gleichkommen. So müssen auch Journalisten mit Verhaftungen rechnen, wenn sie unbequeme Informationen weitergeben.
Héni Nsaibia, Forscher bei ACLED, einer Organisation, die Daten zu Konflikten weltweit sammelt, beklagt einen Mangel an Transparenz: "Die offiziellen Zahlen sind - sofern sie überhaupt veröffentlicht werden - oft unvollständig und widersprüchlich." Nsaibia spricht von einem "Krieg der Narrative": "Auf der einen Seite geben die Militärbehörden ihre Version der Ereignisse vor. Auf der anderen Seite verbreiten dschihadistische Gruppen ihre eigenen, sorgfältig ausgearbeiteten Darstellungen." Die Präsenz russischer Söldner in Mali habe diese Undurchsichtigkeit noch verstärkt.
Zeichen der Anerkennung - doch die Lücke bleibt
Jedoch gehen einzelne Beobachter davon aus, dass sich die Lage verändert habe. Laut dem nigrischen Politologen Abdourahmane Alkassoum sind die nigrischen Behörden insbesondere angesichts des Drucks in den sozialen Netzwerken inzwischen transparenter geworden.
Auch für die Familie des 23-jährigen Moussa, der in den Monaten nach der Machtübernahme im südostnigrischen Diffa gefallen ist, hat der Verlust des Sohnes schmerzliche finanzielle Folgen. Moussa sei das "Fundament der Familie" gewesen, erzählt Mutter Habi, er habe die Schulgebühren für die Geschwister übernommen, Reis gekauft, Krankenhausrechnungen für den chronisch kranken Bruder bezahlt.
Die Nachricht vom Tod des Soldaten bei einem Angriff der Terrormiliz Boko Haram bekam die Familie über einen Freund. Immerhin bekamen sie einige Wochen darauf Besuch von einem Verantwortlichen der Präsidentengarde - und zunächst gab es Unterstützung: "Einige Monate lang haben sie uns Säcke mit Reis geschickt, und wir haben auch eine Entschädigungssumme von 300.000 CFA-Francs (ca. 450 Euro) erhalten." Moussas Vater konnte auf eigene Kosten nach Diffa reisen, um das Grab seines Sohnes zu besuchen. Ein Video von der Beerdigung haben ihm Kameraden aus der Einheit seines Sohnes gezeigt.