So organisiert Serbiens Studentenbewegung ihre Proteste
18. Februar 2025Zuerst ertönt eine Polizeisirene, dann eine Durchsage per Megaphon: "Sehr geehrte Dozenten, wir informieren Sie hiermit, dass die Blockade der Philosophischen Fakultät in Kürze beginnt." So begann am 2. November 2024 die Welle von Besetzungen an der Universität der Stadt Novi Sad im Norden von Serbien.
Olga Pantic, Studentin im ersten Jahr der Kommunikationswissenschaften, arbeitete zu diesem Zeitpunkt gerade in der Cafeteria der Universität. Als sie die Ankündigung hörte, ließ sie alles stehen und liegen und schloss sich ihren Kommilitonen an, um die Uni zu blockieren. Seitdem ist die Fakultät Olgas Zuhause geworden: Sie isst, schläft und lebt dort. "Ich habe mich so daran gewöhnt, dass ich mich hier sogar wohler fühle als zu Hause", sagt sie der DW. "Alles dreht sich um die Blockade. Es ist wie ein Job, besonders vor großen Protesten."
Die Studenten stellten von Anfang an klare Forderungen - darunter die nach Übernahme von politischer und strafrechtlicher Verantwortung für den Einsturz des Bahnhofsvordachs in Novi Sad im vergangenen November, bei dem 15 Menschen getötet und zwei weitere schwer verletzt wurden.
Nach und nach öffneten die Besetzer die Türen der philosophischen Fakultät für Studenten anderer Fachbereiche, die lernen wollten, wie sie eigene Blockaden starten können. "Wir haben ihnen erlaubt, unsere Aula und unsere Seminarräume für Treffen zu nutzen, bei denen sie planten, wie sie ihre eigenen Aktionen starten und eigene Versammlungen organisieren können. Einige hielten dann sogar ihre ersten Plenumssitzungen an unserer Fakultät ab", sagt die Studentin Tatjana Rasic. So brachten die Studenten innerhalb weniger Wochen fast die gesamte Universität zum Stillstand.
"Wir sind alle synchronisiert"
Drei Monate später funktionieren Studierende, die früher Mühe hatten, pünktlich zu ihren Vorlesungen zu erscheinen und Abgabetermine für ihre Semesterarbeiten einzuhalten, wie eine gut geölte Maschine. Alle Entscheidungen werden auf der Grundlage direkter Demokratie in Vollversammlungen getroffen. Es gibt spezielle Teams für eine Vielzahl von Aufgaben, darunter Logistik, Öffentlichkeitsarbeit oder die Anlieferung von Hygieneartikeln für die Besetzer.
Olga Pantic ist die Vertreterin ihrer Fakultät im "studentischen Sicherheitsteam", das Protestmärsche vorbereitet, den Verkehr während der Aktionen regelt und dafür sorgt, dass alles friedlich bleibt. "Wir haben uns in Koordinatoren und Delegierte aufgeteilt. Jeder Koordinator hat ein Walkie-Talkie, um zu kommunizieren, und er sagt den Delegierten, was sie tun sollen, wann sie sich bewegen und wann sie aufhören sollen. Wir sind alle synchronisiert und hören aufeinander", sagt sie der DW.
Sicherheit und Schutz haben Priorität
Nach mehreren tätlichen Angriffen auf Demonstrierende hat Olgas Sicherheitsteam eine Sondereinheit gebildet, die als "Biber" bekannt wurde. "Die Biber tragen Motorradkleidung und Helme, um sich zu schützen, falls sie von einem Auto angefahren werden. Sie sind die körperlich stärksten Studenten und die ersten, die versuchen Fahrzeuge zu stoppen, wenn es nötig ist", sagte Pantic.
Jeder Fachbereich hat sein eigenes Sicherheitsteam. Mithilfe einer App, die Studierende der Ingenieurwissenschaften entwickelt haben, überwachen die Teammitglieder, wer das Gebäude betritt und verlässt, um ungebetene Gäste zu stoppen. "Es geht um Leute, die Probleme verursacht haben, sei es durch Beleidigung anderer, Ausspionieren oder Verrat von Informationen aus Plenarsitzungen. Wir koordinieren dies in der gesamten Universität: Wenn jemand an einer Fakultät auf die schwarze Liste gesetzt wird, kann er auch andere Fakultäten nicht mehr betreten", erklärt Pantic.
Vollversammlungen: "Ein härterer Weg, aber auch ein fairerer"
Die Studierenden sind sehr stolz darauf, dass ihre Vollversammlungen jeder und jedem offenstehen, die oder der daran teilnehmen möchte. Und darauf, dass alle Entscheidungen der Bewegung dort getroffen werden. "Jede Entscheidung, die die Gemeinschaft hier in der blockierten, besetzten Universität betrifft, wird vor Ort durch Mehrheitsentscheidung getroffen. Nur so funktioniert unsere Gemeinschaft auf legitime Art und Weise", sagt Student und Campus-Besetzer Nemanja Curcic der DW.
Manchmal nehmen Hunderte Besetzer an einem Plenum teil. Die Debatten können stundenlang dauern, da jeder das Recht hat, etwas beizutragen. "Das kann anstrengend sein", erklärt Curcic, "aber wir Studenten glauben nicht an die repräsentative Demokratie. Wir haben ihre Schwächen gesehen. Wenn Einzelpersonen uns vertreten, gibt es immer Raum für Korruption und persönliche Interessen. Das wollen wir nicht. Wir haben uns für einen härteren, aber faireren und gerechteren Weg entschieden."
Wie weiter mit der Protestbewegung?
Anfang Februar postete die US-Sängerin Madonna auf Instagram, Serbien erlebe den größten Studentenprotest seit 1968. Einige politische Beobachter stimmen dem zu - tatsächlich hat die Protestbewegung fast überall in Serbien Aktionen ausgelöst, an denen sich neben Studierenden und Schülern auch Lehrer, Anwälte, Mediziner und Mitarbeiter des IT-Sektors beteiligen. Ihre Demonstrationen haben zum Rücktritt des serbischen Ministerpräsidenten Milos Vucevic und des Bürgermeisters von Novi Sad, Milan Djuric, geführt.
Aber wie geht es jetzt weiter? "Die Studenten sind im Moment die politische Kraft mit der höchsten Legitimität im Land", sagt Ognjen Radonjic, Professor an der Philosophischen Fakultät in Belgrad. "Wenn sie eine politische Plattform - in welcher Form auch immer - bilden oder sich daran beteiligen würden, wäre dies die einzige Plattform, die bei Wahlen eine echte Chance auf Erfolg hätte."
Basisdemokratie gegen Unterwanderung
Vorerst zumindest aber bleiben die Studenten misstrauisch gegenüber der traditionellen Opposition in Serbien - von Aktivistengruppen und NGOs bis hin zu den politischen Parteien. Auch Vorschläge wie die Bildung einer Übergangsregierung, die institutionelle Stabilität und faire Wahlbedingungen gewährleisten soll, haben sie abgelehnt.
"Ich glaube nicht, dass man den Studenten im Moment etwas aufzwingen sollte", so der Belgrader Professor Radonjic gegenüber DW. "Ich glaube, sie werden mit der Zeit reifen. Wir müssen sie gewähren lassen. Sie fürchten äußere Einflüsse und Unterwanderung und zeigen Tendenzen, sich abzuschotten, aber das ist verständlich nach allem, was sie durchgemacht haben."
Radonjic betont, dass die Struktur der Bewegung ihr größter Schutz sei. "Die Regierung hat von Anfang an versucht, die Protestbewegung zu unterwandern, aber solange die Studierenden ihre Entscheidungen kollektiv treffen, kriegen die Unterwanderer keinen Einfluss. Außerdem haben die Studenten keine Anführer, so dass die Regierung niemanden bestechen oder öffentlich diskreditieren kann", sagt er.
In den Versammlungen der Studierenden wird längst auch über mögliche Wege zur Beendigung der Krise diskutiert - und die Beteiligten diskutieren und bewerten sorgfältig alle möglichen Modelle. "Wir sind uns unserer momentanen Macht in der serbischen Gesellschaft voll bewusst. Deshalb überlegen wir uns jeden Schritt, jede öffentliche Erklärung und jedes Thema, das wir auf den Tisch bringen, genau", erklärt die Studentin Tatjana Rasic. Die Studenten erwarten vor allem, dass ihre Forderungen erfüllt werden - denn ohne das, so sagen sie, gibt es keine Hoffnung auf Gerechtigkeit in Serbien.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch.