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PolitikEuropa

Sind die transatlantischen Beziehungen noch zu retten?

17. Februar 2025

Die USA unter Donald Trump rücken ab von Europa, machen ihre Ukraine-Politik an den Europäern vorbei. Die wollen sich nach dem Schock jetzt auf sich selbst besinnen.

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Bundespräsident Steinmeier neben US-Vizepräsident J.D. Vance vor einer deutschen und einer amerikanischen Flagge
Da war die amerikanisch-deutsche Welt noch halbwegs in Ordnung: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) mit US-Vizepräsident J.D. Vance kurz vor dessen umstrittener Rede in MünchenBild: Guido Bergmann/Bundesregierung/dpa/picture alliance

Das transatlantische Verhältnis ist spätestens seit dem vergangenen Wochenende schwer zerrüttet. Christoph Heusgen, der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, sagte nach der Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance, es müsse befürchtet werden, "dass unsere gemeinsame Wertegrundlage nicht mehr so gemeinsam ist". Heusgen nannte die Konferenz einen "europäischen Albtraum".

Es war nicht nur die Rede von Vizepräsident Vance, die deutsche Politiker irritiert hat. Vance hatte Europa einen Mangel an Demokratie vorgeworfen und die deutschen Parteien indirekt zu einer Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) aufgerufen. Militärischen Schutz Amerikas, so die Botschaft, gibt es nur, wenn die Europäer auf der gleichen politischen Linie liegen wie die neue Regierung in Washington.

Vance traf Alice Weidel, aber nicht Olaf Scholz

"Das gehört sich nicht, erst recht nicht unter Freunden und Verbündeten, und das weisen wir entschieden zurück", ereiferte sich Bundeskanzler Olaf Scholz, als Vance die Konferenz schon verlassen hatte. Auch andere Berliner Regierungsmitglieder zeigten sich empört.

"Diese Sicherheitskonferenz werden wir noch in einigen Jahren als einen tiefen Einschnitt empfinden", sagte Friedrich Merz, Kanzlerkandidat der konservativen Union aus CDU und CSU, der DW. Merz hat nach allen Umfragen die besten Chancen, nach der Bundestagswahl am 23. Februar der nächste Bundeskanzler zu werden. "Die amerikanischen Sicherheitsgarantien werden infrage gestellt, und die Amerikaner stellen demokratische Institutionen infrage", so Merz im DW-Interview. Auch er verbat sich die Einmischung in die Wahl in Deutschland.

Merz: "Amerikaner stellen demokratische Institutionen in Frage"

Schon rein protokollarisch war der Auftritt des US-Vizepräsidenten in München eine Provokation: Vance traf sich zwar mit Oppositionsführer Merz zu einem Vieraugengespräch, aber nicht mit Bundeskanzler Scholz. Ein besonderer Affront sowohl für Scholz, als auch für Merz war, dass Vance in seinem Hotel mit der AfD-Ko-Vorsitzenden Alice Weidel zusammentraf. Die AfD wurde aus politischen Gründen nicht zur Sicherheitskonferenz eingeladen, und sowohl Scholz, als auch Merz, schließen eine Regierungszusammenarbeit mit ihr kategorisch aus.

Ukraine-Verhandlungen ohne die Ukraine

Eine ähnliche Provokation der US-Regierung ist der Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Inzwischen wird deutlich, dass sich Donald Trump allein mit Russlands Präsident Wladimir Putin auf einen Frieden in der Ukraine einigen will. Die Europäer sollen offenbar bei den amerikanisch-russischen Verhandlungen, die diese Woche in Saudi-Arabien beginnen sollen, übergangen werden. "Wir sind zu fragen, weil es ja ohne uns gar nicht geht", sagte Bundeskanzler Scholz bei einer Wahlsendung.

Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reichen sich lächelnd die Hand vor einer ukrainischen, einer deutschen und einer Europaflagge
Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wiederholt Unterstützung "so lange wie nötig" zugesichert, doch bei den Verhandlungen um einen Frieden sollen die Europäer einschließlich der Ukrainer nur noch Zaungäste seinBild: Sven Hoppe/dpa/AP/picture alliance

Das scheinen die Amerikaner anders zu sehen. General Keith Kellogg, Trumps Sondergesandter für Russland und die Ukraine, hat in der DW-Diskussionssendung Conflict Zone in München deutlich gemacht, dass die Europäer bei den Verhandlungen nicht mit am Tisch sitzen werden und bloß einen nicht näher bezeichneten "Beitrag" leisten könnten. Gedacht ist offenbar an die Entsendung von Bodentruppen, um einen späteren Frieden abzusichern - die USA selbst schließen eigene Soldaten dort aus.

Die Ukraine bleibt anscheinend ebenfalls außenvor. Und nicht nur das. Alles, wofür Präsident Wolodymyr Selenskyj sich seit Kriegsbeginn vor drei Jahren einsetzt und wofür die ukrainische Armee kämpft, hat die Trump-Administration beiseite gewischt: US-Verteidigungsminister Pete Hegseth hat angedeutet, dass die Ukraine weder all ihr verlorenes Territorium zurückbekommen wird, noch dass das Land - in welchen Grenzen auch immer - NATO-Mitglied wird.

Beides - die Wiederherstellung der territorialen Integrität und eine spätere NATO-Mitgliedschaft - waren auch immer die Grundlage der deutschen Unterstützung der Ukraine.

Menschen bei einem stark beschädigten Gebäude
Zerstörungen im ukrainischen Izium nach russischem Angriff: Die Ukraine soll nach amerikanischen Vorstellungen auf Territorium und eine NATO-Mitgliedschaft verzichtenBild: Ukrainian Emergency Service/AP/picture alliance

Dazu kommen noch Trumps imperialistische Drohungen sogar gegenüber NATO-Verbündeten: Kanada würde er gern zu einem neuen US-Bundesstaat machen und die zu Dänemark gehörende Insel Grönland kaufen - oder sogar durch militärischen oder wirtschaftlichen Druck gewaltsam an sich reißen. Auch das hat Bundeskanzler Scholz scharf kritisiert.

Schließlich die drohenden Einfuhrzölle auf europäische Waren, die vor allem das exportorientierte Deutschland schwer treffen würden.

Merz: "Europa muss aufwachen"

Das heißt: Innerhalb weniger Wochen haben Trump und seine Leute den Europäern einen Schlag nach dem anderen versetzt. Gerade in Berlin wurden noch die schlimmsten Befürchtungen übertroffen.

Was bedeutet das für die transatlantischen Beziehungen? Trumps Ukraine-Beauftragter Kellogg versuchte bei der DW-Veranstaltung Conflict Zone, die amerikanische Haltung zu relativieren: "Wir sagen 'Amerika zuerst', aber wir haben nie 'Amerika allein' gesagt. Wir haben nie gesagt, dass wir eine isolationistische Politik betreiben." Trump habe auch klar gesagt: "Wenn eine Nation um ihre Souveränität kämpft, werden wir Euch beistehen."

Keith Kellogg gestikuliert
General Keith Kellogg in Conflict Zone: Wir haben nie gesagt "Amerika allein"Bild: Ronka Oberhammer/DW

Doch in Berlin und anderen europäischen Hauptstädten macht sich die Erkenntnis breit, dass die Europäer in Zukunft weitgehend auf sich gestellt sein werden. Bundeskanzler Olaf Scholz zieht bereits die Konsequenz: "Wir müssen dafür sorgen, dass Europa stark, souverän, mit geraden Rücken die Herausforderungen der Zukunft bewältigt", sagte Scholz am Montag vor einem Treffen europäischer Staats- und Regierungschefs in Paris, eine Reaktion auf das Debakel von München.

Doch Scholz gilt bereits als Kanzler auf Abruf. Sein wahrscheinlicher Nachfolger Friedrich Merz hat schon vor einiger Zeit gesagt, er wolle, falls er Kanzler werde,  Deutschland von einer "schlafenden Mittelmacht", zu einer "führenden Mittelmacht" machen. Jetzt fühlt er sich bestätigt und sagte der DW: "Wir müssen diese Rolle ausfüllen. Wir müssen sie zusammen mit anderen wahrnehmen, mit Frankreich mit Polen. Europa erwartet von Deutschland Führung, und gerade in einer solchen Situation, wo Amerika sich schrittweise zurückziehen wird, vielleicht ganz zurückziehen wird – jetzt ist es wirklich Zeit. Europa muss aufwachen und muss die Verantwortung für die eigene Sicherheit selbst in die Hand nehmen."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik