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PolitikEuropa

Straßburg: Serbiens Studenten fordern EU-Unterstützung

18. April 2025

Die "Tour nach Straßburg" ist zu Ende. 1.400 Kilometer haben Studierende aus Serbien per Fahrrad zurückgelegt, um ihren Appell für Gerechtigkeit persönlich der EU zu präsentieren. Wird Europa sie ernst nehmen?

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Ein Mann hebt sein Fahrrad in die Luft, im Hintergrund sind weitere Menschen auf Fahrrädern zu sehen, die auf einem roten Teppich fahren. Um sie herum applaudieren viele Menschen
Studierende aus Serbien beenden am 16. April 2025 ihre Protest-Fahrradtour in StraßburgBild: Antonin Utz/AP/picture alliance

Triumphierend heben rund 80 Studentinnen und Studenten aus Serbien ihre Fahrräder in die Luft - so endete nach 1400 Kilometern und 14 Tagen die "Tour nach Straßburg" auf dem zentralen Platz der nordfranzösischen Stadt. Das Ziel der Studierenden aus dem EU-Kandidatenland auf dem Westbalkan: Sie wollten den Europarat und das Europäische Parlament (EP) aus erster Hand über ihren monatelangen Kampf gegen die Korruption in ihrer Heimat informieren und ihnen ihre Forderungen an die serbische Regierung vortragen.

Die Radtour war Teil der Massenproteste, die Serbien seit November 2024 nicht zur Ruhe kommen lassen. Seit in der nordserbischen Stadt Novi Sad ein Bahnhofsvordach eingestürzt war und 15 Menschen in den Tod gerissen hatte, geht eine Protestwelle durchs Land.

Die Protestierenden machen Korruption für das Unglück verantwortlich. Mittlerweile wurden fast alle Universitäten in Serbien besetzt, Studierende sind die Haupt-Akteure der Proteste. Ihre Forderungen brachten sie nun per Fahrrad zur Europäischen Union.

Von Budapest bis Stuttgart: In allen großen europäischen Städten, durch die die Tour führte, hatten Tausende von Bürgern die Fahrradkolone aus Serbien als Helden begrüßt - mit Jubel, Pfiffen und Liedern. So wurden sie auch in Straßburg empfangen.

"Die Menschen in Europa wachgerüttelt"

"Zusammenhalt und Ausdauer" sind für Milica Marjanovic von der technischen Fakultät der Universität von Novi Sad die stärksten Eindrücke, die sie von der Fahrt mitnimmt. Sie glaubt, dass sie und ihre Mitstudierenden mit ihrer Aktion sowohl persönliche Grenzen als auch die Grenzen des bisherigen Kampfes der serbischen Studenten überschritten haben.

Frauen auf Fahrrädern fahren auf einem roten Teppich, um sie herum sind applaudierende Menschen zu sehen, im Hintergrund altertümliche Häuser
Studentinnen aus Serbien bei der Ankunft in Straßburg am 16. April 2025Bild: Elyxandro Cegarra/PsnewZ/IMAGO

„Wir haben die europäischen Medien wachgerüttelt, wir haben die Menschen in Europa wachgerüttelt, und jetzt sehen wir, dass die einfachen Leute in den Ländern, durch die wir gereist sind, uns willkommen heißen und anerkennen, was wir tun, und all das erzeugt zusätzlichen Druck", so die Studentin zur DW.

Begrüßung durch EP-Abgeordnete

Die Studierenden wurden im Europaparlament von den Europaabgeordneten Fabijen Keller aus Frankreich, Irena Joveva aus Slowenien und Gordan Bosanac aus Kroatien begrüßt. Ihnen überreichten sie einen Brief, in dem sie die serbische Regierung beschuldigen, bei den Protesten am 15. März 2025 in der Hauptstadt Belgrad Schallkanonen eingesetzt zu haben. "Wir haben Europa ausgerichtet, dass es die Augen vor den Geschehnissen in Serbien nicht verschließen sollte", erklärt die Studentin Milica Marjanovic.

Auf einem Jeep ist ein Gerät befestigt, dass an einen Lautsprecher oder eine Radar-Antenne erinnert
Eine Schallkanone auf einem Fahrzeug der serbischen Polizei in BelgradBild: BETAPHOTO/SIPA/picture alliance

Für die Studentin ist die Europäische Union kein Partner im Kampf - sondern ein Instrument, das Serbiens Studierende bei der Durchsetzung ihrer Forderungen helfen könne, da sie dieselben Werte vertrete. "Unser Kampf betrifft absolut jeden Menschen auf dem Planeten Erde, denn es geht um Meinungsfreiheit, den Kampf gegen Korruption, die Freiheit der Medien und natürlich den Respekt vor Gesetzen und Gerechtigkeit."

Abgeordnete aus Slowenien will Gespräch mit Ursula von der Leyen 

Von den EP-Abgeordneten erhielten die Studierenden die Zusage, dass sie ihre Botschaft an das EU-Parlament weiterleiten werden - aber auch den Hinweis, dass sie nicht zu hohe Erwartungen haben sollten. Die Abgeordnete Irena Joveva kündigte zudem an, dass sie sich um ein Gespräch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bemühen werde.

Eine blonde Frau steht hinter einem Rednerpult und spricht mit ernsthaftem Gesichtsausdruck, rechts hinter ihr ist eine blaue Fahne mit gelben Sternen darauf zu sehen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei einer Pressekonferenz in Brüssel im April 2025Bild: Virginia Mayo/AP/picture alliance

"Die Studierenden geben mir Hoffnung. Ich glaube wirklich an sie und an das, wofür sie kämpfen”, so Joveva gegenüber der DW. "Es geht hier nicht um eine Einmischung in die Politik der Republik Serbien, sondern einfach um die Unterstützung der Werte, für die die Studentinnen und Studenten kämpfen. Und genau diese Werte sollte auch die Europäische Union unterstützen."

Hört die EU den Studierenden zu?

Serbiens Studierende hätten in Straßburg offene Türen eingerannt, glaubt Aleksandar Ivkovic, Herausgeber des Webportals European Western Balkans. Im Gespräch mit der DW erinnert er daran, dass das Europäisch Parlament bereits Partei für die Studenten ergriffen und scharfe Botschaften an die serbischen Behörden gesandt habe.

"Das Problem ist, dass das Parlament nicht über allzu viele formelle Befugnisse verfügt, wenn es um Serbien und die Politik der EU gegenüber Serbien geht”, erklärt Ivkovic. "Es kann keine Entscheidungen fällen, die Serbien zu direkt betreffen. Das liegt in der Verantwortung der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten."

EU wartet auf politische Alternative

Die Europäische Kommission und die Staatschefs der Mitgliedsländer warteten immer noch darauf, dass die Proteste in Serbien zur Bildung einer politischen Alternative zur Herrschaft von Präsident Aleksandar Vucic und seiner Serbischen Fortschrittspartei SNS führen würde.

Ein Mann mit Brille lächelt und reckt dabei beide Fäuste nach oben, rechts neben ihm ist eine  rot-blau-weiße Fahne zu sehen
Serbiens Präsident Aleksandar Vucic begrüßt Anhänger bei einer Pro-Regierungs-Kundgebung im April 2025 in der Hauptstadt BelgradBild: Darko Vojinovic/AP Photo/dpa/picture alliance

"Dann könnte die Kommission ihre Kritik an der Politik der serbischen Regierung lauter äußern und würde mehr Spielraum haben, Druck auf den Präsidenten auszuüben. Solange aber Vucic und die SNS die einzigen Akteure mit politischer Macht in Serbien sind, wird die EU sich bemühen, diese nicht zu weit von sich zu stoßen", sagt Ivkovic.

Brief an Macron

In Straßburg schrieben die Studenten einen Brief an einen der wichtigsten Staatschefs Europas - den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Darin weisen sie diesen darauf hin, dass in Serbien "systematische Verantwortungslosigkeit, Korruption und Zerstörung der Institutionen" herrsche.

Junge Männer und Frauen blicken ins Bild, im Hintergrund ist ein großer Saal zu sehen, an dessen Stirnseite eine blaue Fahne mit gelben Sternen darauf zu erkennen ist
Studenten aus Serbien, die mit dem Fahrrad nach Straßburg gekommen sind, bei der Übergabe ihres Briefes an die Abgeordneten im Europaparlament in Straßburg am 16. April 2025Bild: Sasa Bojic/DW

"Serbien braucht die Unterstützung Europas - aber nicht in Form von protokollarischen Treffen und diplomatischem Lächeln”, heißt es in dem Brief. Und weiter: "Wir streben keine Sanktionen an, sondern einen Blick auf Wahrheit und Verantwortung. Denn Treffen mit Politikern, die keine Verantwortung gegenüber ihren eigenen Bürgern übernehmen, können ohne kritische Auseinandersetzung als Legitimierung des Autoritarismus interpretiert werden."

Lose Allianzen

Präsident Vucic hatte sich eine Woche vor der Ankunft der Studenten in Straßburg mit Macron getroffen und diesen an ihre enge Freundschaft erinnert. "Emmanuel und ich haben uns bisher 28 Mal getroffen, wir sind Freunde, ich habe ihm sechs Flaschen Wein mitgebracht, die ich selbst ausgesucht habe", so Vucic.

Ein kleiner und ein großer Mann umarmen sich und lächeln sich dabei an, im Hintergrund sind Soldaten in altertümlichen Uniformen zu sehen
Emmanuel Macron (l) und Aleksandar Vucic im Elysee-Palast in Paris am 9. April 2025Bild: Julien Mattia/Le Pictorium/MAXPPP/dpa/picture alliance

Diese Partnerschaften seien aber relativ instabil, da sie vor allem auf Interessen basierten, erklärt Aleksandar Ivkovic. "Abgesehen von Staatschefs wie Viktor Orban in Ungarn oder Robert Fico in der Slowakei, die Vucic als ihren politischen Verbündeten betrachten, können sich andere Beziehungen sehr schnell ändern, wenn klar wird, dass es in Serbien eine klar formulierte politische Alternative gibt - und zwar natürlich eine proeuropäische politische Alternative", meint Ivkovic.

Die Erweiterungskommissarin fährt nach Serbien, serbische Studierende fahren nach Brüssel

Noch während des Besuchs der serbischen Studierenden in Straßburg kündigten sowohl die EU als auch die Protestbewegung und die Regierung in Serbien neue Aktionen an.

EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos soll Ende April in Belgrad eintreffen. Ihre Botschaft: Die Erwartungen der EU an Serbien seien "fast dieselben" wie jene, die Tausende Demonstranten in dem Westbalkanland seit Monaten bei ihren Protesten zum Ausdruck brächten. "Es geht um die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, den Kampf gegen Korruption und Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe", erklärte Kos.

Ein Frau mit schwarzen Haaren und Brille spricht in ein Mikrophon, hinter ihr ist der Schriftzug "European Parliament" zu sehen
EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos im Europa-Parlament in Brüssel im November 2024Bild: Nicolas Tucat/AFP/Getty Images

Präsident Vucic will trotz negativer Reaktionen der europäischen Staats- und Regierungschefs an der Gedenkfeier zum "Tag des Sieges" am 9. Mai 2025 in Moskau teilnehmen. Gleichzeitig bereiten sich die serbischen Studierenden auf einen Staffellauf von Serbien nach Brüssel vor, wo sie am 11. Mai eintreffen sollen.

"Diese Aktion könnte mehr politisches Gewicht haben als die Radtour, denn die Ankunft in Brüssel fällt mit einer Sitzung des Europäischen Parlaments zusammen, wo auch der Bericht über Serbiens Fortschritte vorgestellt werden könnte", meint Aleksandar Ivkovic vom Webportal European Western Balkans.

In diesem Bericht weist das EP auf gravierende Mängel in Schlüsselbereichen wie Rechtsstaatlichkeit, Justizwesen und Harmonisierung mit der EU-Außenpolitik hin. Die Abgeordneten fordern die EU-Kommission auf, gegenüber der serbischen Regierung klarer und strenger vorzugehen. Sie solle die Werte der EU verteidigen, indem sie sich konsequent mit dem "mangelnden Fortschritt und sogar den Rückschritten Serbiens" im Prozess der europäischen Integration auseinandersetze.

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