Straßburg: Serbiens Studenten fordern EU-Unterstützung
18. April 2025Triumphierend heben rund 80 Studentinnen und Studenten aus Serbien ihre Fahrräder in die Luft - so endete nach 1400 Kilometern und 14 Tagen die "Tour nach Straßburg" auf dem zentralen Platz der nordfranzösischen Stadt. Das Ziel der Studierenden aus dem EU-Kandidatenland auf dem Westbalkan: Sie wollten den Europarat und das Europäische Parlament (EP) aus erster Hand über ihren monatelangen Kampf gegen die Korruption in ihrer Heimat informieren und ihnen ihre Forderungen an die serbische Regierung vortragen.
Die Radtour war Teil der Massenproteste, die Serbien seit November 2024 nicht zur Ruhe kommen lassen. Seit in der nordserbischen Stadt Novi Sad ein Bahnhofsvordach eingestürzt war und 15 Menschen in den Tod gerissen hatte, geht eine Protestwelle durchs Land.
Die Protestierenden machen Korruption für das Unglück verantwortlich. Mittlerweile wurden fast alle Universitäten in Serbien besetzt, Studierende sind die Haupt-Akteure der Proteste. Ihre Forderungen brachten sie nun per Fahrrad zur Europäischen Union.
Von Budapest bis Stuttgart: In allen großen europäischen Städten, durch die die Tour führte, hatten Tausende von Bürgern die Fahrradkolone aus Serbien als Helden begrüßt - mit Jubel, Pfiffen und Liedern. So wurden sie auch in Straßburg empfangen.
"Die Menschen in Europa wachgerüttelt"
"Zusammenhalt und Ausdauer" sind für Milica Marjanovic von der technischen Fakultät der Universität von Novi Sad die stärksten Eindrücke, die sie von der Fahrt mitnimmt. Sie glaubt, dass sie und ihre Mitstudierenden mit ihrer Aktion sowohl persönliche Grenzen als auch die Grenzen des bisherigen Kampfes der serbischen Studenten überschritten haben.
„Wir haben die europäischen Medien wachgerüttelt, wir haben die Menschen in Europa wachgerüttelt, und jetzt sehen wir, dass die einfachen Leute in den Ländern, durch die wir gereist sind, uns willkommen heißen und anerkennen, was wir tun, und all das erzeugt zusätzlichen Druck", so die Studentin zur DW.
Begrüßung durch EP-Abgeordnete
Die Studierenden wurden im Europaparlament von den Europaabgeordneten Fabijen Keller aus Frankreich, Irena Joveva aus Slowenien und Gordan Bosanac aus Kroatien begrüßt. Ihnen überreichten sie einen Brief, in dem sie die serbische Regierung beschuldigen, bei den Protesten am 15. März 2025 in der Hauptstadt Belgrad Schallkanonen eingesetzt zu haben. "Wir haben Europa ausgerichtet, dass es die Augen vor den Geschehnissen in Serbien nicht verschließen sollte", erklärt die Studentin Milica Marjanovic.
Für die Studentin ist die Europäische Union kein Partner im Kampf - sondern ein Instrument, das Serbiens Studierende bei der Durchsetzung ihrer Forderungen helfen könne, da sie dieselben Werte vertrete. "Unser Kampf betrifft absolut jeden Menschen auf dem Planeten Erde, denn es geht um Meinungsfreiheit, den Kampf gegen Korruption, die Freiheit der Medien und natürlich den Respekt vor Gesetzen und Gerechtigkeit."
Abgeordnete aus Slowenien will Gespräch mit Ursula von der Leyen
Von den EP-Abgeordneten erhielten die Studierenden die Zusage, dass sie ihre Botschaft an das EU-Parlament weiterleiten werden - aber auch den Hinweis, dass sie nicht zu hohe Erwartungen haben sollten. Die Abgeordnete Irena Joveva kündigte zudem an, dass sie sich um ein Gespräch mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, bemühen werde.
"Die Studierenden geben mir Hoffnung. Ich glaube wirklich an sie und an das, wofür sie kämpfen”, so Joveva gegenüber der DW. "Es geht hier nicht um eine Einmischung in die Politik der Republik Serbien, sondern einfach um die Unterstützung der Werte, für die die Studentinnen und Studenten kämpfen. Und genau diese Werte sollte auch die Europäische Union unterstützen."
Hört die EU den Studierenden zu?
Serbiens Studierende hätten in Straßburg offene Türen eingerannt, glaubt Aleksandar Ivkovic, Herausgeber des Webportals European Western Balkans. Im Gespräch mit der DW erinnert er daran, dass das Europäisch Parlament bereits Partei für die Studenten ergriffen und scharfe Botschaften an die serbischen Behörden gesandt habe.
"Das Problem ist, dass das Parlament nicht über allzu viele formelle Befugnisse verfügt, wenn es um Serbien und die Politik der EU gegenüber Serbien geht”, erklärt Ivkovic. "Es kann keine Entscheidungen fällen, die Serbien zu direkt betreffen. Das liegt in der Verantwortung der Europäischen Kommission und der Mitgliedsstaaten."
EU wartet auf politische Alternative
Die Europäische Kommission und die Staatschefs der Mitgliedsländer warteten immer noch darauf, dass die Proteste in Serbien zur Bildung einer politischen Alternative zur Herrschaft von Präsident Aleksandar Vucic und seiner Serbischen Fortschrittspartei SNS führen würde.
"Dann könnte die Kommission ihre Kritik an der Politik der serbischen Regierung lauter äußern und würde mehr Spielraum haben, Druck auf den Präsidenten auszuüben. Solange aber Vucic und die SNS die einzigen Akteure mit politischer Macht in Serbien sind, wird die EU sich bemühen, diese nicht zu weit von sich zu stoßen", sagt Ivkovic.
Brief an Macron
In Straßburg schrieben die Studenten einen Brief an einen der wichtigsten Staatschefs Europas - den französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Darin weisen sie diesen darauf hin, dass in Serbien "systematische Verantwortungslosigkeit, Korruption und Zerstörung der Institutionen" herrsche.
"Serbien braucht die Unterstützung Europas - aber nicht in Form von protokollarischen Treffen und diplomatischem Lächeln”, heißt es in dem Brief. Und weiter: "Wir streben keine Sanktionen an, sondern einen Blick auf Wahrheit und Verantwortung. Denn Treffen mit Politikern, die keine Verantwortung gegenüber ihren eigenen Bürgern übernehmen, können ohne kritische Auseinandersetzung als Legitimierung des Autoritarismus interpretiert werden."
Lose Allianzen
Präsident Vucic hatte sich eine Woche vor der Ankunft der Studenten in Straßburg mit Macron getroffen und diesen an ihre enge Freundschaft erinnert. "Emmanuel und ich haben uns bisher 28 Mal getroffen, wir sind Freunde, ich habe ihm sechs Flaschen Wein mitgebracht, die ich selbst ausgesucht habe", so Vucic.
Diese Partnerschaften seien aber relativ instabil, da sie vor allem auf Interessen basierten, erklärt Aleksandar Ivkovic. "Abgesehen von Staatschefs wie Viktor Orban in Ungarn oder Robert Fico in der Slowakei, die Vucic als ihren politischen Verbündeten betrachten, können sich andere Beziehungen sehr schnell ändern, wenn klar wird, dass es in Serbien eine klar formulierte politische Alternative gibt - und zwar natürlich eine proeuropäische politische Alternative", meint Ivkovic.
Die Erweiterungskommissarin fährt nach Serbien, serbische Studierende fahren nach Brüssel
Noch während des Besuchs der serbischen Studierenden in Straßburg kündigten sowohl die EU als auch die Protestbewegung und die Regierung in Serbien neue Aktionen an.
EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos soll Ende April in Belgrad eintreffen. Ihre Botschaft: Die Erwartungen der EU an Serbien seien "fast dieselben" wie jene, die Tausende Demonstranten in dem Westbalkanland seit Monaten bei ihren Protesten zum Ausdruck brächten. "Es geht um die Achtung der Rechtsstaatlichkeit, den Kampf gegen Korruption und Transparenz bei der öffentlichen Auftragsvergabe", erklärte Kos.
Präsident Vucic will trotz negativer Reaktionen der europäischen Staats- und Regierungschefs an der Gedenkfeier zum "Tag des Sieges" am 9. Mai 2025 in Moskau teilnehmen. Gleichzeitig bereiten sich die serbischen Studierenden auf einen Staffellauf von Serbien nach Brüssel vor, wo sie am 11. Mai eintreffen sollen.
"Diese Aktion könnte mehr politisches Gewicht haben als die Radtour, denn die Ankunft in Brüssel fällt mit einer Sitzung des Europäischen Parlaments zusammen, wo auch der Bericht über Serbiens Fortschritte vorgestellt werden könnte", meint Aleksandar Ivkovic vom Webportal European Western Balkans.
In diesem Bericht weist das EP auf gravierende Mängel in Schlüsselbereichen wie Rechtsstaatlichkeit, Justizwesen und Harmonisierung mit der EU-Außenpolitik hin. Die Abgeordneten fordern die EU-Kommission auf, gegenüber der serbischen Regierung klarer und strenger vorzugehen. Sie solle die Werte der EU verteidigen, indem sie sich konsequent mit dem "mangelnden Fortschritt und sogar den Rückschritten Serbiens" im Prozess der europäischen Integration auseinandersetze.