Serbiens Kirchenspitze ganz auf Regierungslinie
5. September 2025"Serbien ist eine von Nationalismus verwüstete Gesellschaft", sagt der Belgrader Theologe und Historiker Vukasin Milicevic der DW. Er ist einer von vielen Intellektuellen in Serbien, die die Studentenproteste unterstützen.
Seit rund zehn Monaten gehen hunderttausende Menschen in praktisch allen Städten des Balkanlandes auf die Straße. Sie fordern Neuwahlen und ein Ende der weit verbreiteten Korruption. Anlass der Protestbewegung war ein Ereignis im November 2024. In Novi Sad kollabierte das Vordach eines frisch instandgesetzten Bahnhofs. 16 Menschen starben damals.
Viele Anwohner beschuldigen Vertreter der Staatsmacht, mitschuldig zu sein an dem Unglück. Dem Vernehmen nach sei "Pfusch am Bau" einer der Ursachen der Tragödie. Bislang hat der Apparat des rechtspopulistischen Präsidenten Alexander Vucic die Verantwortlichen nicht vor ein unabhängiges Gericht gestellt. Das erzürnt viele Serben.
Die Demonstrationen, an deren Spitze Studenten und ihre Dozenten an den Universitäten stehen, weiten sich immer weiter aus. Die Protestler fordern inzwischen Neuwahlen. Ob die Regierung die Proteste politisch überleben wird, ist derzeit unklar. Schon nach der Wahl von Vucic im Jahr 2017 bezweifelten viele Menschen im Land, dass die Wahlen frei und fair gewesen seien.
Wer wie Vukasin Milicevic die Studenten öffentlich unterstützt, muss mit Repressionen rechnen. Das Besondere in seinem Fall: Die Spitze der mächtigen Serbisch-Orthodoxen Kirche (SOK) geht gegen ihn vor. Sie macht sich zum Handlanger des Staatschefs. Wenn es um die Unterdrückung Andersdenkender geht, ziehen Patriarch Porfirije und der Präsident oft an einem Strang.
Ein Umstand, den Vukasin Milicevic seit langem beklagt. "Weil es dabei nicht um die Wahrung des öffentlichen Interesses geht, sondern um den Schutz der Interessen korrupter Eliten, die Serbien praktisch gekapert haben", sagt er der DW. Der 64-jährige Patriarch und einige ihm nahestehende Bischöfe wie Irinej Bulovic aus Novi Sad seien Teil dieser Elite.
Vukasin Milicevic, geweihter Priester und Familienvater von vier Kindern, fiel bereits in der Vergangenheit durch öffentliche Auftritte auf. Etwa als sich vor Jahren auch in Serbien das Coronavirus ausbreitete. Damals kritisierte er das - wie er fand - verantwortungslose Verhalten der Kirchenführung während Gottesdienstfeiern. Mehrere Bischöfe, darunter auch der damalige Patriarch Irinej, sowie zahlreiche Priester und Gläubige starben an den Folgen von COVID-Infektionen.
Die Kritik Milicevics an der Kirchenführung hatte Folgen: Inzwischen darf er keine Gottesdienste mehr zelebrieren. Derzeit steht er vor einem sogenannten Kirchengericht. Das kircheninterne Gremium regelt Streitigkeiten innerhalb der Glaubensgemeinschaft. Bischöfe und Priester sind dort Mitglieder. Den Vorsitz hat der für Belgrad zuständige Bischof inne - Patriarch Porfirije. Wird Milicevic "schuldig gesprochen", droht ihm im schlimmsten Fall der Ausschluss aus der Kirche.
Doch Milicevic lässt sich nicht einschüchtern. Im Gespräch mit der DW fordert er, dass auch die Kirchenführung für ihr Handeln - etwa der Willfährigkeit gegenüber dem Staat - zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Er drängt zudem darauf, dass die Veruntreuung öffentlicher Gelder sowie Verstöße von Geistlichen gegen die christliche Moral untersucht werden müssten.
Ähnlich denkt Blagoje Pantelic, der seit Jahren über religiöse Themen publiziert und Chefredakteur des einflussreichsten theologischen Portals auf dem Balkan ist ("theologia.net"). Auf dieser Seite kann weiterhin frei und kritisch veröffentlicht werden.
Pantelic ist kein Priester, er hat aber Theologie studiert und will eigentlich promovieren. Weil er jedoch wie Vukasin Milicevic die Studentenproteste unterstützt, hat ihm die Kirchenführung bereits signalisiert: Daraus wird nichts. Im DW-Gespräch wirft Blagoje Pantelic dem Patriarchen Porfirije vor, sich in den Dienst des Regimes gestellt zu haben. "Das ist inakzeptabel", sagt er.
Chefredakteur Pantelic kritisiert ferner den Besuch von Porfirije und Bischof Irinej im April 2025 in Moskau. Während die russische Armee mit dem Segen des Russisch-Orthodoxen Patriarchen Kyrill in der Ukraine einen mörderischen Angriffskrieg führt, scherzten die serbischen Gäste im Kreml mit Präsident Wladimir Putin. Mehr noch: Sie denunzierten die Proteste daheim in Serbien als vom Westen gesteuerte "Farbrevolution". Der Begriff steht für meist friedliche Regimewechsel in postsozialistischen Ländern.
"Die Maßnahmen gegen Milicevic und Pantelic sind im Kontext zu sehen, den theologischen Diskurs zu kontrollieren", sagt der Münsteraner Theologe Thomas Bremer (67), Experte für Ökumene und Ostkirchenkunde, der DW. Dabei würden theologische Debatten auch außerhalb des von der Kirche kontrollierten Rahmens geführt. "Das zu verhindern, wird nicht möglich sein", so Bremer, einer der angesehensten Orthodoxie-Experten in Westeuropa.
Porfirijes Nähe zu Präsident Vucic steht in einem bemerkenswerten Gegensatz zum Handeln einiger seiner Amtsvorgänger. So hatte sich Patriarch Pavle (1990-2009) in den für Serbien schwierigen 1990er Jahren nie vor den politischen Karren des Nationalisten Slobodan Milosevic spannen lassen.
Falls die jetzige Protestbewegung in Serbien Erfolg hat und das jetzige Regime stürzt, würden auch die Vucic unterstützenden Kader zur Verantwortung gezogen, erwarten Beobachter. Das sei unabhängig davon, ob sie nun Teil der Armee, des Geheimdienstes oder auch der Kirche seien.