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PolitikSerbien

Serbien: Präsident geht in die Gegenoffensive

Sanja Kljajic (aus Novi Sad)
14. April 2025

Der serbische Staatschef Aleksandar Vucic verkündet das Ende der "bunten Revolution" - und droht den Protestierenden mit Repressionen. Doch die Studenten und viele andere Menschen im Land wollen den Kampf weiterführen.

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Eine Menschenmenge mit Fahnen, über ihr roter Rauch
Staatlich organisierte Kundgebung in Belgrad zur Unterstützung des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic und seiner regierenden Fortschrittspartei (SNS) am 13.04.2025Bild: Darko Vojinovic/AP Photo/dpa/picture alliance

Ein Meer serbischer Flaggen, Stände mit Pljeskavica, einem Gericht aus gegrilltem Hackfleisch, patriotische Lieder und Parolen zur "Erhaltung des Staates" - Belgrad ist die Kulisse für ein riesiges politisches Spektakel, inszeniert von der regierenden Serbischen Fortschrittspartei (SNS).

Auf einem mehrtägigen "Allserbischen Kongress" verkündet Präsident Aleksandar Vucic das "Ende der bunten Revolution" und wirbt für die neu gegründete "Bewegung für das Volk und den Staat". "Wir werden nicht zulassen, dass diese Leute aus dem In- und Ausland unseren Staat zerstören. Und lassen Sie mich Ihnen sagen: Ihre bunte Revolution ist vorbei. Sie können herumlaufen, so viel sie wollen, dabei wird nichts herauskommen", sagt der Staatschef.

Belgrad an diesem Wochenende (12./13.04.2025): Schätzungen zufolge nahmen mindestens 55.000 Bürger an der staatlich organisierten Kundgebung teil. Einige kamen mit organisierten Bussen, andere zu Fuß - sie ahmten damit die Studentinnen und Studenten nach, die seit Monaten zu Fuß durch Serbien ziehen, um zu protestieren.

Fünf Ansprüche an sich selbst

Vucics Rede wurde am Samstagabend (12.04.2025) zur besten Sendezeit von fast allen wichtigen Fernsehsendern des Landes live übertragen. Der Staatschef stellte dabei fünf Forderungen auf, mit dem Ziel, "die Ordnung wieder herzustellen". "Wir fordern die zuständigen Behörden und Institutionen der Republik Serbien und vor allem die zuständigen Staatsanwaltschaften auf, im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen und rechtlichen Kompetenzen entsprechende Verfahren einzuleiten und alle anderen gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zu ergreifen, um Frieden und Ordnung im Land wiederherzustellen", so Vucic.

Ein Mann (der serbische Präsident Vucic) steht auf einem Podium vor einem Hintergrund in den serbischen Nationalfarben und reckt beide Arme in die Höhe
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic am 12.04.2025 in BelgradBild: Zorana Jevtic/REUTERS

Der Journalist Nedim Sejdinovic von der Wochenzeitung Vreme bewertet das als einen Aufruf zu staatlicher Gewalt und einem harten Vorgehen gegen Demonstranten. Und er sagt: "Vucics Forderungen zeichnen dabei ein völlig verkehrtes Bild der Realität: Diejenigen, die Gewalt propagieren und ausüben, stellen sich als Opfer dar, und diejenigen, die in Wirklichkeit Opfer sind, sind angeblich die Täter. Aber das ist letztlich ja nichts Neues in dieser neuen radikalen Rhetorik."

Kein Respekt für Gewaltenteilung

Ähnlich denkt die pensionierte Juraprofessorin Vesna Rakic Vodinelic. Gegenüber der DW weist sie darauf hin, dass die Forderung nach der Rückgabe der gekaperten staatlichen Institutionen von eben jenem Mann kommt, der sie gekapert hat. "Vucic respektiert die Gewaltenteilung nicht und greift in die Befugnisse anderer staatlicher Behörden, vor allem der Justiz, ein, und er hat keinerlei verfassungsmäßige Grundlage, das von ihnen zu verlangen, was er verlangt", sagt Rakic Vodinelic.

Die große Frage sei nun, fügt sie hinzu, wie die Staatsanwaltschaft auf Vucics Forderungen reagieren werde, ebenso wie die Polizei, bei der die Befugnis liegt, öffentliche Versammlungen zu verbieten. "Vucics Forderung nach einer Normalisierung des Alltagslebens könnte sich auf die Blockaden beziehen, die Studenten und Bürger täglich verhängen. Die Frage ist nun, ob irgendjemand versuchen wird, diese Blockaden zu beenden", fügt sie hinzu.

Konsolidierung geht mit Repression einher

Während das Regime versucht, seine eigenen Reihen zu festigen, erhöht es gleichzeitig den Druck auf Studenten und Demonstranten, die seit fast einem halben Jahr auf der Straße sind. Fast täglich gibt es Nachrichten über körperliche Angriffe, Festnahmen, Disziplinar- und Strafanzeigen gegen Demonstranten und kritische Bürger. Sechs Studenten und Aktivisten aus Novi Sad sind seit einem Monat in Haft. Andere sind von kurzzeitigen Auslandsreisen nicht zurückgekehrt, weil ihnen zwischenzeitlich vorgeworfen wurde, "Anschläge gegen die verfassungsmäßige Ordnung und Sicherheit der Republik Serbien vorbereitet zu haben".

Junge Menschen gehen in einem Protestzug durch eine Straße. Viele recken beide Arme in die Luft, andere filmen mit dem Handy, im Hintergrund sind serbische Fahnen zu sehen
Studenten in Belgrad demonstrieren gegen die Regierung am 15.03.2025Bild: Iva Manojlović/DE

Sejdinovic glaubt, dass all dies Teil der "Konterrevolution" sei, die der Präsident angekündigt habe. "Offensichtlich besteht das Ziel darin, die Bürger einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen, denn man geht davon aus, dass die Energie der Proteste etwas nachgelassen hat und es nun Zeit für eine Gegenoffensive ist. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass das Vorgehen der von Vucic geführten Regierung für sie absolut kontraproduktiv ist, da es das repressive Regime weiter bloßstellt", so Sejdinovic.

Widerstand lässt nicht nach

Der Widerstand der Bevölkerung und der Studenten reißt jedoch vorerst nicht ab. An mehreren Orten in Serbien versuchten Gruppen von Studenten und Bürgern am Wochenende, Busse mit SNS-Anhängern daran zu hindern, die Kundgebung in Belgrad zu erreichen. Die Polizei löste die Blockaden jedoch auf. In Novi Pazar, rund 300 Kilometer südlich von Belgrad, fand parallel zur SNS-Kundgebung eine große Studentenprotestaktion statt, bei der erneut Tausende Menschen gegen die Regierung demonstrierten.

Menschen nehmen an Anti-Korruptions-Protesten teil, mancne der Demonstranten halten Schilder hoch, andere schwenken serbische Fahnen
In Novi Pazar gab es am Samstag (12.04.2025) eine Demonstration gegen den serbischen Präsidenten Aleksandar VucicBild: Marko Drobnjakovic/AP/picture alliance

"Die serbische Gesellschaft ist an einem Scheideweg - entweder bewegen wir uns in die Richtung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, was eine verstärkte Repression, die Verhaftung vieler Regimekritiker und die Flucht der Menschen aus dem Land aus Angst vor Repressalien bedeuten würde, oder die Proteste werden weiterhin Druck erzeugen und zum einzig guten oder logischen Ergebnis führen, nämlich zu einem Regierungswechsel", sagt Sejdinovic.

Sinkende Zustimmung für Vucic

Im Kampf um eine Lösung radelt eine Gruppe von Studenten seit zehn Tagen nach Straßburg, wo sie den Europaparlamentariern einen Brief über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Serbien überreichen wollen. Mitglieder der Diaspora heißen sie auf Schritt und Tritt willkommen - manchmal mit Tränen, manchmal mit Jubel.

Junge Menschen in gelben und orangenen Warnwesten und Fahrradhelmen inmitten einer Menschenmenge, die sie begrüßt und fotografiert. Ein Radler hält sein Fahrrad in die Höhe. Serbische Fahnen werden geschwenkt, weiße und blaue Luftballons in Herzform sind zu sehen
Protestierende serbische Studenten kommen auf dem Weg nach Straßburg in Linz in Österreich anBild: IMAGO/Wolfgang Simlinger

Die Machthaber hingegen bereiten eine neue Regierung unter Führung des weitgehend unbekannten Arztes Djuro Macut vor, der kaum über politische Erfahrung verfügt. Einige Analysten werten diesen Schritt als indirektes Zugeständnis an die Öffentlichkeit, die zunehmend eine Regierung mit Sachverstand fordert. Andere wiederum glauben, dass es sich dabei um ein politisches Manöver von Aleksandar Vucic handelt, der eine vorgezogene Parlamentswahl aufgrund seiner sinkenden Zustimmungswerte um jeden Preis vermeiden will.

"Ich denke, Vucic ist sich darüber im Klaren, dass er im Falle einer stärkeren Repression nicht uneingeschränkt auf die Polizei oder die Justiz zählen kann, denn es ist klar, dass es selbst in diesen Institutionen Menschen gibt, die sich weigern werden, seinen Befehlen Folge zu leisten und das Gesetz zu brechen", sagt der Journalist Sejdinovic.

Doch wie die derzeitige Situation ausgehen wird, ist noch lange nicht in Sicht. Sowohl die Regierung als auch die oppositionelle Öffentlichkeit scheinen darauf zu warten, dass die jeweils andere Seite einen Fehler macht.