Schwaches Gerichtssystem und Kriminalität in Bulgarien bedrohen den EU-Beitritt
27. September 2004Sofia, September 2004, WIRTSCHFATSBLATT, deutsch
Bulgarien wurde in einem EU-Bericht als "schwächstes Glied im Kampf gegen die organisierte Kriminalität" in der Region kritisiert. Das Land verfüge nicht über die "notwendige Technik und Ausstattung", hieß es in dem von den bulgarischen Medien veröffentlichen Bericht des britischen Experten Bayron Davies.
Davies rügt in seinem Bericht, der den Namen "Erste Inspektionsmission" trägt, insbesondere den Schmuggel von Menschen und Drogen durch bulgarische Mafia-Angehörige, die "viel Geld durch schwere Verbrechen anhäufen". "Die bulgarischen Behörden sollen dringende und unverzügliche Maßnahmen treffen, um effiziente Strukturen für den Kampf gegen die organisierte Kriminalität zu schaffen... In der ausübenden Gewalt herrscht Mittelmäßigkeit. Es fehlt an einer Datenbank über mögliche Informatoren". Das sind nur einige der Schlussfolgerungen, die Davies in seinen Bericht zieht.
Davies hatte zusammen mit fünf anderen unabhängigen Experten im Auftrag der Europäischen Union Mitte Juli Bulgarien besucht. Ziel der Reise war zu überprüfen, wie das Land seine übernommenen Verpflichtungen umsetzt, die sich aus den Mitte Juni praktisch abgeschlossenen EU-Beitrittsverhandlungen ergeben.
Die Europäische Union erwartet von Bulgarien eine Erneuerung, Effizienz und Ergebnisse beim Kampf gegen die Kriminalität. Allein die Harmonisierung der Gesetzgebung mit den europäischen Normen sei nicht mehr ausreichend. Brüssel verlangt nun auch eine Synchronisierung zwischen den verschiedenen Institutionen – Gericht, Staatsanwaltschaft und Polizei. Auch nach der Veröffentlichung des Davies-Berichts demonstrierten diese Behörden eine unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem. Es existiert Zwiespalt zwischen den verschiedenen Kettengliedern des Justizapparats und den Untersuchungsverfahren, dazugehörend auch die Polizei. Die Institutionen streiten sich in der Öffentlichkeit, weshalb es der Unterwelt gelingt, immer stärker zu werden. Mehr Rechte fordern die Staatsanwaltschaft, die Polizei sowie andere Organe. Man ist der Meinung, dass das Prinzip der Unabsetzbarkeit der Magistrate bedeutend zur Korruption im Gerichtssystem beitrage.
Der Justizminister Anton Stankow und der Innenminister Georgi Petkanow sollen der Europäischen Kommission einen genauen Zeitplan für die Reform im Justizsystem sowie für die zu treffenden Maßnahmen im Kampf gegen die Kriminalität vorlegen. Dies muss während der letzten Besprechungen erfolgen, bevor die Kommission den letzten Jahresbericht über Bulgarien veröffentlicht.
"Eine vorrangige Aufgabe für die regierende Koalition der Nationalen Bewegung Simeon II. und der Bewegung für Rechte und Freiheiten wird die Fortsetzung der Reformen im Justizsystem.
sein", erklärte der Ministerpräsident Simeon Sakskoburggotski bei der Eröffnung der neuen politischen Saison in Sofia. Der Ministerrat wird die Verabschiedung von Novellierungen im Strafgesetzbuch vorbereiten. (...)
Die Schlussfolgerungen im Bericht von Davies sind für die bulgarische Öffentlichkeit nichts Neues. Bis zur Jahresmitte wurden im EU-Beitrittsfavoriten Bulgarien mehrere Unterweltbosse ermordet.
In den letzten Monaten vergeht kaum eine Woche, ohne dass in der bulgarischen Hauptstadt Sofia eine bekannte Figur aus der Unterwelt ermordet wird. Auch demonstrative Vergeltungsaktionen im Stil von Hollywood sind keine isolierte Erscheinung. Allein seit Anfang Juni wurden in Bulgarien neun öffentlich bekannte angebliche Mafiaangehörige erschossen. Analysten sprechen von 40 bis 60 Auftragsmorden innerhalb eines Jahres. (...) (fp)