Sarkozy vor Gericht: Wichtig für Frankreichs Demokratie?
24. Januar 2025Das kleine Kino im Zentrum von Paris ist praktisch ausgebucht: An diesem Mittwochnachmittag läuft der Dokumentarfilm "Keiner blickt mehr durch" (Personne n'y comprend rien) an. Thema: die mutmaßliche Libyen-Affäre von Nicolas Sarkozy, für die Frankreichs Ex-Präsident zurzeit vor Gericht steht. Dutzende Zuschauer gucken sich den Film gespannt an, wundern sich laut und schütteln reihenweise den Kopf.
Nach der Vorstellung des Films bleiben die meisten von ihnen sitzen, um einem seiner Autoren zuzuhören. Fabrice Arfi, Journalist der Investigativ-Webseite Mediapart, erzählt, wie er und sein Kollege 2011 eine E-Mail bekommen haben, mit der alles anfing. Der Absender gab ihnen Zugang zum Archiv von Ziad Takkiedine, einem der angeblichen Mittelsmänner in dem Fall. "Das waren zehntausende Dokumente, Kontoauszüge, handgeschriebene Notizen etc. Uns wurde klar, dass es sich um die größte Staatsaffäre in der Geschichte Frankreichs handeln könnte", meint Arfi.
In dieser werden Sarkozy und zwölf Mitangeklagte beschuldigt, einen sogenannten "Korruptions-Pakt" mit dem damaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi geschmiedet zu haben. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis und jeweils Geldstrafen von bis zu 750.000 Euro. Während die Verteidigung die Anschuldigungen abstreitet, sehen manche in dem Prozess einen Test für Frankreichs Institutionen.
Gaddafi soll Sarkozy, der von 2007 bis 2012 Präsident Frankreichs war, für seine Präsidentschaftskampagne 2007 finanziell unterstützt haben. Dafür soll dieser dem libyschen Herrscher geholfen haben, sein international schwer angeschlagenes Image aufzupolieren. Gaddafi stand von 1969 bis 2011 an der Spitze Libyens. Man warf ihm zahlreiche Verstöße gegen die Menschenrechte und eine Finanzierung des internationalen Terrorismus vor.
Die Gerichtsverhandlung ist das Ergebnis von über zehn Jahren Recherche mehrerer Untersuchungsrichter. Für diesen Fall legten sie eine 557-seitige Anklageschrift vor, in der es um Reisen von Sarkozy-Vertrauten nach Libyen geht, um Treffen mit Mittelsmännern, verdächtige Überweisungen und angebliche Koffer voller Geld - ein Szenario wie in einem Spionagefilm.
Ist Frankreich scheinheilig?
Die Untersuchungsrichter sprechen von einem "Bündel an Indizien", doch davon will Christophe Ingrain, einer der Anwälte Sarkozys, nichts wissen. "Das ist eine Art zu sagen, wir haben keine Beweise", sagt er gegenüber der DW. "Es gibt keine klaren Spuren wie Überweisungen oder direkte Zahlungen, noch weiß man, wie hoch diese angebliche Finanzierung überhaupt gewesen sein soll."
Sarkozy selbst hatte in den ersten Prozesstagen gar von einem Komplott gesprochen. Gaddafi habe sich an ihm rächen wollen, weil Sarkozy an der Spitze der internationalen Koalition stand, die den Diktator 2011 im Zuge des Arabischen Frühlings zu Fall brachte. Auch ein Dokument des libyschen Geheimdienstes, das Mediapart 2012 veröffentlichte, nannte Sarkozy "eine grobe Fälschung". Das Schriftstück war mit ein Grund dafür, dass die Untersuchungsrichter das Verfahren eröffneten. Demzufolge soll Gaddafi zugestimmt haben, Sarkozy 50 Millionen Euro für seine Kampagne zu geben.
Mediapart-Journalist Arfi schüttelt angesichts von Sarkozys Behauptung den Kopf. "Französische Gerichte haben bestätigt, dass das Geheimdienst-Dokument echt ist", sagt er gegenüber der DW.
Inzwischen hat Mediapart um die 160 Artikel zu dem Thema veröffentlicht. Für Arfi zeigen dieser und vorherige Fälle die Scheinheiligkeit Frankreichs: "Wir behaupten immer, wir seien das Land der Menschenrechte. Aber man hat schon zwei unserer ehemaligen Premierminister - Alain Juppé und François Fillon - wegen Korruption verurteilt. Ebenso den Ex-Präsidenten Jacques Chirac und Sarkozy selbst, der in einem anderen Fall definitiv schuldig gesprochen wurde", so Arfi. Sarkozy muss bald ein Jahr lang eine Fußfessel tragen, weil er einen Richter bestochen haben soll, um Informationen über einen anderen Fall zu bekommen, in den er verwickelt war. Auch in jener Verurteilung sah er eine persönliche Vendetta: "Manche Richter führen einen politischen Kampf", sagte er damals.
Ähnliche Behauptungen machen französische Politiker, die man diverser Vergehen beschuldigt, regelmäßig. Cécile Vigour, Soziologin und Politikwissenschaftlerin am staatlichen Forschungsinstitut CNRS, kann das nicht nachvollziehen. "Sie tun so, als seien sie den Gesetzen nicht unterworfen. Dabei gilt das gleiche Recht für alle", sagt sie gegenüber der DW. "Laut unseren Studien ist das Justizsystem den Franzosen wichtig - wir waren erstaunt, wie sehr sie Polizisten, Richtern und Anwälten vertrauen. Jedoch hatten viele auch das Gefühl einer Zweiklassenjustiz, dass die Eliten immer davonkommen." Das könne verheerend sein: "Sinkt das Vertrauen in die Justiz, sinkt auch das in unsere Institutionen und macht die gesamte Demokratie angreifbarer - auch gegenüber Versuchen ausländischer Einmischung."
Kann dieser Prozess ein Zeichen setzen?
Dennoch hätte Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten einiges getan, um das Vertrauen in die Institutionen zu stärken, meint Alina Mungiu-Pippidi, Professorin für Vergleichende Staatswissenschaften an der Universität Luiss Guido Carli in Rom. Sie misst Korruption in 146 Ländern. "Früher war es Tradition, dass französische Regierungsparteien illegale Spenden von afrikanischen Diktatoren erhielten", sagt sie gegenüber DW. "Doch inzwischen sind die Regeln zur Korruption in Frankreich strenger als die der EU." Der ehemalige Präsident François Hollande habe strikte Vorschriften zu Interessenkonflikten eingeführt und die Hohe Behörde für Transparenz im Öffentlichen Leben geschaffen. Außerdem würden unabhängige Medien wie Mediapart Korruptionsskandale aufdecken. "Vor 30 Jahren gab es keine Investigativ-Geschichten über Korruption in Frankreich. Man hatte nicht das Recht, über das Privatleben und Einkommen von Politikern zu berichten - sie waren unantastbar. Heute ist das keiner mehr", betont Mungiu-Pippidi.
Dabei könnte dieser Prozess auch die Standhaftigkeit der Institutionen unter Beweis stellen, meint Vincent Brengarth. Er vertritt den Anti-Korruptions-Verein Sherpa, einen der Zivilkläger, in dem Prozess. "Die beste Reaktion darauf, dass manche die Unbefangenheit unserer Justiz in Frage stellen, ist, sich die Zeit zu nehmen, jedes einzelne Element genau und sachlich zu prüfen. Das tut das Gericht. Die Verhandlung wird vier Monate dauern, was außergewöhnlich für einen solchen Fall ist", sagt er gegenüber der DW. Das Urteil wird für den 10. April erwartet.