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"Mentale Erkrankungen sind keine Muskelverletzungen"

10. April 2025

Mentale Erkrankungen sind in der Sportwelt keine Seltenheit. Darüber zu sprechen ist oftmals noch ein Tabu. Säbelfechterin Léa Krüger macht ihre Bulimie-Erkrankung öffentlich und fordert Veränderungen.

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Säbelfechterin Lea Krüger hält ihre Fechtmaske in der Hand
Säbelfechterin Léa Krüger spricht sich für mehr Offenheit beim Thema "Mentale Gesundheit" ausBild: Aleksandar Djorovic/imago

Konzentriert beobachtet Léa Krüger ihre Gegnerin, sie atmet einmal tief durch und dann beginnt in der Trainingshalle am Olympiastützpunkt in Dormagen das Gefecht. Es dauert nur wenige Sekunden, dann landet die Säbelfechterin ihren ersten Treffer.

Nach fünf Punkten und wenigen Minuten ist Schluss, Krüger zieht ihre Maske ab und bedankt sich bei ihrer Trainingspartnerin. Ihre Augen strahlen, sie lächelt und ist sichtlich zufrieden. "Das war schön, das war einfach ganz toll."

Die 29-Jährige hat wieder Spaß am Fechten, an dem Sport den sie seit ihrem zwölften Lebensjahr erfolgreich betreibt. "Es ist aus einem Kindheitstraum entstanden. Ich wollte als Kind immer Ritterin werden", erzählt sie im DW-Interview. "Das Fechten hat eine Leidenschaft und ein Brennen entfacht, was ich sonst aus keinem anderen Bereich meines Lebens kannte", so die Sportlerin. Doch genau diese Faszination bringt Krüger 2022 an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit - körperlich und psychisch.

Zwanghaftes Streben nach Perfektion

Krügers Karriere nimmt früh an Fahrt auf. Sie wird schnell Teil der deutschen Säbel-Nationalmannschaft, nimmt an internationalen Wettkämpfen, Welt- und Europameisterschaften teil. "Ich bin dann aber auch immer wieder in Phasen gekommen, wo meine Leistung stagnierte", erinnert sie sich. "Und dann kam der Druck."

Säbelfechterin Lea Krüger bei einem Gefecht mit Fechtmaske in den Farben schwarz-rot-gold
Säbelfechterin Lea Krüger (Foto) ist schnell fester Bestandteil der Deutschen Damensäbel NationalmannschaftBild: Aleksandar Djorovic/imago

Die festen Strukturen, die der Leistungssport bietet, geben ihr Halt. Trainingspläne, ihr Jura-Studium, Regenerationszeiten und Ernährungspläne bestimmen Krügers Alltag und werden immer wichtiger. "Es wurde alles sehr genau getaktet, und ich habe es auch sehr genau eingehalten. Ich wollte meine Leistung in allen Bereichen perfektionieren."

Dieses Streben nach Perfektion entwickelt sich mit der Zeit zu einem Zwang. Es habe sich ein Gefühl entwickelt, nicht mehr gut genug zu sein. "Im Fechten auf der Bahn, im Eins-gegen-Eins-Kampf, wo jeder Treffer über Sieg oder Niederlage entscheidet, haben sich so starke Gefühle entwickelt, mit denen ich nicht mehr klargekommen bin", sagt die Fechterin. "Um diese Gefühle wieder loszuwerden, habe ich dann angefangen, mich zu übergeben."

Krüger: "Ich habe es unter Kontrolle"

Rückblickend sagt die Sportlerin, dass die Bulimie bei ihr wohl 2022 bei der Säbel-Europameisterschaft in Antalya angefangen habe. Verlorene Gefechte steigerten das Gefühl, nicht gut genug zu sein und ließen ihre Versagensängste weiter wachsen. "Nach dem Wettkampf bin ich dann auf Toilette gegangen, um das alles erstmal rauszubekommen."

Für Krüger wird das Übergeben zur "Normalität" und zum Ventil - nicht nur im Wettkampf, sondern auch im Training und im Alltag. Schließlich ist es etwas, das sie selbst kontrollieren kann. Zudem sei es - in ihren Augen - etwas Gutes gewesen, denn die negativen Gefühle seien danach nicht mehr da gewesen. "Außerdem bekam ich dann noch das Gefühl, das ich wenigstens noch dünn bin, wenn ich alles andere schon nicht hinbekomme", sagt die Fechterin. 

Ein Gespräch öffnet Krüger die Augen

Ihre sportliche Leistungsfähigkeit nimmt in dieser Zeit stark ab, Krüger kann nur noch schwer mit den anderen Fechterinnen mithalten. Die Gründe dafür liegen damals auf der Hand, denn das Bewusstsein für ihre Krankheit sei dagewesen, so Krüger. Doch die Emotionen hätten komplett dagegengesprochen, etwas zu verändern.

Exklusiv: Die deutsche Fechterin Léa Krüger spricht mit der DW über ihre Bulimie

Schlechte Leistungen auf der Fechtbahn triggern immer wieder negative Gefühle, die sie nur durch den Gang zur Toilette glaubt, kontrollieren zu können. "So bin ich dann in diese Spirale reingekommen."

Erst ein Gespräch mit ihrem besten Freund Calvin öffnet ihr die Augen, und Krüger begreift, dass das, was für sie "normal und kontrollierbar" scheint, eben nicht normal ist. Sie hat Glück und kann bereits 2023 eine Therapie beginnen. Nach der ersten Sitzung bescheinigt ihr der Therapeut Bulimie. "Das war wie ein Brett vor dem Kopf", erinnert sich die Athletin. "Da habe ich das erste Mal realisiert, dass ich irgendwie krank bin."

Die Diagnose hilft Krüger, denn mit Diagnosen könne man als Sportlerin ja umgehen. "Wie oft habe ich schon Muskelverletzungen gehabt? Das waren auch immer Diagnosen", sagt sie. "Aber mentale Erkrankungen sind eben keine Muskelverletzungen." Der Umgang damit sei schwierig gewesen, so Krüger. Mit der Unterstützung des Therapeuten dauert es fast ein Jahr, bis sie für sich akzeptieren kann, dass sie eine Essstörung hat.

Krüger: "Es war eine Überforderung zu spüren"

Krüger spricht mit ihrem Trainer und ihren Teamkolleginnen. Die Reaktionen seien positiv gewesen, doch insbesondere bei ihrem Trainer "war auch eine Überforderung im Umgang mit dem Thema und mit mir zu spüren", erinnert sich die Fechterin.

In der Folge bekommt sie keine Einsätze mehr in ihrem Team, da ihr Trainer sie schützen will - und auch weil ihre Leistungen nicht mehr stimmen. Doch Krüger geht weiter zum Training und versucht, sich wieder zurückzukämpfen.

"Ich habe die Strukturen gebraucht und wollte nicht einfach vor der Essstörung davonlaufen", erklärt die Fechterin. Sie schafft es, kommt wieder ins Team und ist bei einem Weltcup 2024 in Belgien wieder am Start. Doch eine Verletzung im ersten Gefecht zwingt sie zu einer längeren Pause und zu der Entscheidung, ihre Erkrankung Anfang 2025 im Rahmen der Kampagne "'Du zuerst" des Olympiastützpunktes Rheinland öffentlich zu machen.

Das habe in ihr den Gedanken wachsen lassen, dass man viel mehr über mentale Gesundheit reden müsse. "Wir müssen dafür sorgen, dass es unter den Trainerinnen und Trainern, aber auch unter uns Athletinnen und Athleten kein Tabu mehr ist, über mentale Gesundheit zu sprechen", so Krüger. Die Wahrnehmung und der Umgang mit psychischen Erkrankungen im Leistungssport müsse sich stark verändern und verbessern.

Krüger fordert offenen Umgang

Wissenschaftliche Studien belegen, dass zwischen zehn und zwanzig Prozent aller Leistungssportlerinnen und -sportler an Essstörungen leiden. Doch darüber zu sprechen, trauen sich nur die wenigsten, weiß Krüger, die auch beim unabhängigen Verein "Athleten Deutschland e.V." tätig ist. Die Angst vor dem Verlust eines Kaderplatzes sei zu groß. "Es ist eben kein Muskelfaserriss, der in sechs Wochen wieder ausgeheilt ist, sondern es ist im härtesten Fall eine mentale Erkrankung. Und wann so eine Erkrankung geheilt ist, ist ungewiss", sagt die 29-Jährige.

Exklusiv: Die deutsche Fechterin Léa Krüger spricht mit der DW über ihre Bulimie

"Wir müssen es hinbekommen, dass Athletinnen und Athleten offen darüber sprechen können und den Mut finden, das äußern zu können", sagt sie. Zudem müsse der richtige Umgang mit psychischen Erkrankungen in die Ausbildung der Trainerinnen und Trainer verankert werden, um sie so für das Thema zu sensibilisieren.

Krüger: "Ich möchte, dass sich etwas ändert"

Krügers "Wunschliste" ist lang. Sie fordert die bereits in Ansätzen bestehenden Strukturen im Sport zu professionalisieren. Und daneben eine "unabhängige Anlaufstelle für Athletinnen und Athleten, wenn sie Hilfe brauchen, sowie auch für Trainerinnen und Trainer, Betreuerpersonal und auch für Menschen aus dem näheren Umfeld der Betroffenen". Zudem müsse das Netzwerk an Therapeuten und Therapeutinnen ausgebaut werden.

Krüger und einige andere aus ihrem Umkreis sind nach den Olympischen Spielen in Paris einen wichtigen Schritt gegangen und haben unter dem Arbeitstitel "Safe Space" ein Treffen organisiert, bei dem Sportlerinnen und Sportler offen über ihre Probleme und Herausforderungen sprechen konnten.

Denn der Gang in die Öffentlichkeit, so wie es Krüger gemacht hat, ist nicht leicht. "Über meine mentale Erkrankung zu sprechen, ist nichts, was ich besonders gerne mache", räumt die Fechterin ein. "Aber ich möchte, dass wir offen darüber sprechen, also muss ich es auch tun. Es geht um das Thema, und ich möchte, dass sich etwas ändert."

Mehr Informationen zum Thema erhalten sie bei "MentalGestärkt", einer Netzwerkinitiative des Psychologischen Instituts der Sporthochschule Köln in Kooperation mit der Robert-Enke-Stiftung, der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) und der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VDV).