"Russland hat erstaunlich viel Glück"
25. Juni 2002Moskau, 24.6.2002, MOSKOWSKIJE NOWOSTI, russ., Sergej Karaganow
Der letzte Monat war für die russische Außenpolitik und Diplomatie beispiellos erfolgreich und produktiv. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten brachte konkrete Ergebnisse – den in erster Linie für Russland so wichtigen Vertrag über die Reduzierung strategischer Waffen sowie die Anerkennung Russlands als Land mit Marktwirtschaft.
Die Festigung des Geistes der Zusammenarbeit mit Washington war ein ernster Ansporn für den Dialog zwischen Russland und der Europäischen Union im Mai. Russland ist und, ich glaube, es wird auch nicht prinzipiell von seinem Standpunkt zu Kaliningrad abweichen. Wohl kaum werden es sich die Brüsseler Bürokraten erlauben, zum Gegenstand des Spottes der ganzen Welt zu werden und 15 Jahre nach dem Ende des "Kalten Krieges" ein neues West-Berlin im Zentrum Europas zu schaffen.
Die darauf folgenden Kontakte zur chinesischen Führung, darunter im Rahmen der "Schanghaier Sechs", haben die wichtigste – die chinesische – Stütze unserer Außenpolitik erhalten und gefestigt.
Die Erfolge sind das Ergebnis einer Reihe von Faktoren. Der erste ist natürlich der Putin-Faktor. Rational, biegsam, äußerlich freundlich, jedoch nicht familiär, ruft er Vertrauen hervor. Über ihn wird das Vertrauen auf Russland projiziert.
Außerdem hat Russland erstaunlich viel Glück. Durch die lange währende Zuspitzung des arabisch-israelischen Konflikts halten sich die hohen Preise für Erdöl, werden die Positionen der proamerikanischen arabischen Regime unterhöhlt. Das verschiebt mögliche Zusammenstöße wegen des amerikanischen Überfalls auf den Irak. Der indisch-pakistanische Konflikt hat die Notwendigkeit einer gemeinsamen Strategie zur Vorbeugung der Weiterverbreitung von Atomwaffen noch offensichtlicher gemacht. Die Widersprüche in Handel und Wirtschaft sind unter den westlichen Verbündeten scharf wie nie zuvor. Europa hat das Gefühl für ein Ziel verloren, es ist hin und her gerissen. All das macht Russland zu einem viel wichtigeren und einflussreicheren Staat, als es seinem Gewicht in der Weltwirtschaft entspricht.
Dieser wirtschaftliche und soziale Flügel ist es, der uns noch lange nicht ermöglichen wird, würdig dem Kreis der führenden Großmächte anzugehören. Über den "Sicherheitsflügel" können wir viel früher in diesen Kreis gelangen, um so mehr da die neuen Umstände Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Sicherheit aus einem Problem, das hauptsächlich trennte, zum Instrument der Zusammenarbeit und Annäherung wird.
Unter diesen Umständen kann das, was im letzten Monat erreicht worden ist, nur als Stufe zum großen Ziel betrachtet werden – der Schaffung eines vollwertigen Sicherheitsbündnisses mit den führenden Staaten für die Abwehr neuer Gefahren und der zunehmenden Instabilität.
Ende Juni findet in Kanada ein Treffen der "G-8" auf höchster Ebene statt. Dessen Tagesordnung ist - wie immer - von entsprechenden Bürokraten bereits aufgestellt worden. Die Staatsführer haben jedoch das Privileg, von der Tagesordnung abweichen zu dürfen.
Im Zusammenhang damit unterstütze ich den Vorschlag der ständigen Vorbereitungskonferenz der "G-8", einer Gruppe ehemaliger Außenminister, Minister, Vorsitzender von Zentralbanken und führender Experten, deren Mitglied zu sein auch ich die Ehre habe.
Das ist in erster Linie die Ausübung von Druck auf die USA und andere Staaten, damit sie aufhören, protektionistische Barrieren zu errichten, die die immer brüchiger werdende Weltordnung erschüttern.
Das ist die Wende zur Bildung einer gemeinsamen Politik bei der Gewährleistung der Sicherheit und der Unversehrtheit von atomarem Material, Stoffen, die bei der Herstellung von chemischem und bakteriologischem Material angewandt werden können. Allein das atomare Material ist in hunderten Labors in über einhundert Staaten zerstreut, von denen viele instabil sind.
Das ist die qualitative Festigung der Zusammenarbeit zwischen den Diensten der Zivilverteidigung, der Notstandsministerien mit dem Ziel, effektiver dem Megaterrorismus zu widerstehen. (...)
Und letztendlich noch mein Lieblingsvorschlag. Die "G-8" muss institutionalisiert werden, wenigstens auf dem Gebiet der Sicherheit, es muss auf ihrer Basis ein neues Sicherheitsbündnis mit späterer Aufnahme anderer wichtiger und verantwortlicher Staaten, vor allem Chinas, gebildet werden.
Russland braucht dieses Bündnis. Dieses brauchen jedoch auch alle anderen, sowohl um neue Gefahren wirksamer zu bekämpfen, als auch um das Abgleiten der USA in die Mentalität des Weltherrschers zu verhindern. (lr)