Russland errichtet erste orthodoxe Kirche in der Antarktis
26. Februar 2002Moskau, 22.2.2002, THE MOSCOW TIMES, engl., S. 1, Andrej Solotow Jr.
Holzarbeiter im südsibirischen Altaj-Gebiet haben in diesem Monat ein Projekt von wahrlich globalem Ausmaß in Angriff genommen. Sie fällen Zedern, die im nächsten Jahr dazu verwendet werden sollen, auf dem höchsten, trockensten, kältesten und windigsten Kontinent der Welt - in der Antarktis - die erste orthodoxe Kirche zu errichten.
Die künftige Sankt Nikolaus-Kirche, so die Erbauer, wird nicht nur Seelsorge für die Handvoll russischer Forscher auf der Station Bellinshausen auf der King George Insel leisten, sondern auch ein Denkmal darstellen für die 47 Russen, die in den Jahrzehnten der Erforschung des Kontinents dort beigesetzt worden sind. Außerdem werde die 12 Meter hohe Kirche, eine Mischung aus alter russischer Holzarchitektur und modernen Bautechnologien, auf diesem vergleichsweise milden Teil der Antarktis Touristen anziehen.
Etwa vor 180 Jahren, als Fabian Gottlieb von Bellinshausen die erste russische Seeexpedition in die Antarktis leitete und 45 Jahre nachdem die Sowjetunion ihre erste Station auf dem Kontinent errichtete, stand Russlands Regierung im letzten September vor dem Dilemma, entweder den Kontinent ganz zu verlassen oder die Mittel für die Finanzierung neuer Expeditionen sowie die vier Stationen, die nach der Schließung von zwei weiteren in den Neunzigerjahren verblieben sind, zu erhöhen.
Da ein kompletter Rückzug etwa 120 Millionen US-Dollar kosten würde, zieht es das Kabinett vor, im Haushalt 2002 zehn Millionen Dollar für die Antarktis zu berücksichtigen, die Hälfte davon für die Reparatur eines Forschungsschiffes und die Hälfte für die Forschungsstationen.
Um Russlands Stellung in der Antarktis zu festigen, machte sich der Vizevorsitzende der Staatsduma Artur Tschilingarow, einst selbst Polarforscher, im vergangenen Monat auf den Weg, um auf dem Südpol die russische Flagge zu hissen. Es kam aber zu Schwierigkeiten. Präsident Wladimir Putin beglückwünschte ihn zwar telefonisch, aber Tschilingarows Flugzeug blieb auf dem Südpol stecken, und seine Mannschaft musste mit einem US-Flugzeug evakuiert werden.
Genau zehn Tage später brach eine weitere russische Expedition in die Antarktis auf, diesmal um das Gelände für die geplante Kirche zu segnen und ein Holzkreuz aufzustellen. Zu der Gruppe gehörte der erste orthodoxe Priester, der auf dem Kontinent sein Amt übernehmen soll: Hegumen Georij Iljin, ferner die beiden Förderer der kleinen Kirche - der Geschäftsmann Pjotr Sadirow und Aleksandr Krawzow sowie der Architekt der Kirche Pjotr Anissiforow.
"Es wurde eine große Tat vollbracht", sagte Sadirow vergangene Woche in einem Interview, das er in seinem bescheidenen, mit orthodoxen Ikonen geschmückten Moskauer Büro gab. "Meiner Meinung nach wurde der ganze Kontinent gesegnet. Wir haben in das Fundament des Kreuzes Erde aus Jerusalem gestreut und Wasser aus dem Jordan gegossen." (...)
Mit der Idee, den Bau einer Kirche in der Antarktis zu unterstützen, war Walerij Lukin, Leiter der russischen antarktischen Expedition, an Sadirow herangetreten, nachdem er erfahren hatte, dass Sadirow drei Jahre damit verbracht hatte, in seinem Heimatort im Südural an Stelle der 1928 zerstörten Kirche eine neue zu errichten.
Lukin sagte, die Kirche werde errichtet werden, ohne auf Haushaltsmittel zurückzugreifen. "Wir verfolgen dort weder politische noch ideologische Ziele", erklärte Lukin in einem Telefongespräch aus Sankt Petersburg. "Die orthodoxe Kirche wird in der Antarktis präsent sein ... und wir werden die Möglichkeit haben, auf religiöse Weise unserer Leute, die dort ihr Leben gelassen haben, zu gedenken."
Mit dem Einverständnis des Patriarchen Aleksij II. gründete Sadirow im Juli 2000 eine Stiftung. Ein weiterer Geschäftsmann, Krawzow, schloss sich ihm an, um sich die Kosten des Projekts zu teilen. (...)
Die Sponsoren hoffen, dass die Kirche auch für die Handvoll Russen sehr wichtig sein wird, die isoliert in der Antarktis leben. "Als die Frau eines Forschers in Sankt Petersburg bei einem Unfall ums Leben kam oder ein anderer von seiner Frau verlassen wurde - was hätten sie tun sollen? Sich einen Liter Wodka holen und trinken", sagte Sadirow. "Jetzt bieten wir zumindest eine Alternative an - trink Wodka oder weine dich in der Kirche aus. Die Kommunisten boten eine solche Alternative nicht an."
Während sich die sowjetischen Polarstationen auf "Kulturräume" für Parteiversammlungen beschränkten, bauten andere Nationen Kapellen auf ihren Antarktis-Stationen (...).
Man hofft, dass der Kauf von Kerzen durch Touristen sowie kleine Spenden dazu beitragen werden, die Kirche in einem Gebiet zu erhalten, in dem nur zehn Russen sich im arktischen Winter aufhalten und im Sommer 15 weitere hinzukommen. Nach Worten Lukins halten sich auf den vier russischen Stationen ständig insgesamt 90 Wissenschaftler auf und während der jährlichen Sommerexpeditionen im Dezember kommen weitere 80 hinzu.
10 000 der für den Bau der Kirche geplanten 60 000 US-Dollar sind nach Angaben Sadirows bereits für das Holz verbraucht worden (...). Wenn alles gut geht, wird die kleine Sankt Nikolaus-Kirche im März des kommenden Jahres auf dem Hügel in Nähe der Forschungsstation Bellinshausen stehen. (TS)