Ein Berliner Journalist im Fadenkreuz
14. März 2025Eigentlich, sagt Nicholas Potter im Gespräch mit der DW, seien Anfeindungen für ihn "nichts Neues". Der britisch-deutsche Journalist erläutert, er erlebe sie schon seit einigen Jahren wegen seiner Berichterstattung über den Konflikt im Nahen Osten, über Themen wie Rechtsextremismus, Radikalisierung und Antisemitismus. Vor kurzem wurde er wegen eines Artikels über Antisemitismus in der Berliner Techno-Szene angefeindet.
2023 gehörte er zu den Mitherausgebern und Autoren des Buches "Judenhass Underground: Antisemitismus in emanzipatorischen Subkulturen und Bewegungen". Lesungen aus dem Buch finden meist unter Polizeischutz statt.
Drohungen nach Bericht über Russlandnähe eines Portals
Seit Dezember 2024 aber steht der 34-jährige Journalist, der bei der Berliner "tageszeitung" (taz) arbeitet, im Zentrum von massiven Drohungen. Es gehe um Beleidigungen und Rufmord "bis hin zu Todesdrohungen". Hintergrund: Potter hatte über die Russlandnähe des Berliner Medienportals "Red" berichtet.
Das Portal werde vermutlich vom Kreml finanziert und sei Teil von gezielten Desinformationskampagnen, so der Journalist in seinem Artikel. Die Plattform habe Interesse daran, "Kritiker in der Presse zu diffamieren" und verfolge eine sehr autoritäre Agenda. Nach Erkenntnissen des Berliner "Tagesspiegel" ist "Red" direkter Nachfolger des Propagandamediums "Redfish", das sich im Besitz von Russlands Staatsmedien befand.
Hetzkampagne in den sozialen Medien
Am Anfang begannen die Anfeindungen im Netz. Potter erläutert, er selbst habe diese Kampagne in den sozialen Medien recht schnell mitbekommen, weil sie von einigen großen Accounts auf X und Instagram verbreitet worden seien. Und jeder einzelne Beitrag vielfach geliked wurde, weit über tausend Mal. "Das haben viele mitbekommen."
Jede Kritik an einem solchen Portal sei unerwünscht, "sie gehen dann kampagnenhaft dagegen vor". Auf der Plattform X wird er zum Beispiel als "rechtsradikaler Deutschzionist" und "feiger Volksverhetzer" verunglimpft. Von "Red" sei auch die böswillige Vermutung gestreut worden, Potter sei "so gut in Genozid-Propaganda", weil Israel ihn angeheuert habe.
Drohungen schwappen von der virtuellen in die reale Welt
Im Dezember sprangen die Drohungen aus dem Digitalen auch in die reale Berliner Welt über. In der Stadt fanden sich Aufkleber, die Potter persönlich verunglimpften. Der Journalist war zu der Zeit in Israel. Er wurde von Bekannten, aber auch von Leuten, die er gar nicht gekannt habe, darauf hingewiesen, dass die Aufkleber "berlinweit an Straßenlaternen, Litfaßsäulen oder Ticketautomaten geklebt" seien.
Sachliche Kritik sei für ihn "total in Ordnung", sagt Potter der DW. Sie gehöre zum Journalismus und zum demokratischen Diskurs dazu. Aber nun gehe es "um Bedrohungen, Beleidigungen, Diffamierungen. Mit dieser Kampagne werde ich als Feind markiert, das macht mir große Sorgen."
Damit werde der Eindruck erweckt, dass "alle Mittel gegen diese Person zulässig sind". Und mittlerweile schickten ihm "Leute sogar Todesdrohungen". Es besorge ihn, dass ein Portal wie "Red" in Deutschland "auf ein sehr breites Netzwerk von israelfeindlichen Aktivisten und Aktivistinnen zugreifen kann".
Auch Solidarität mit dem Journalisten
Der ein oder andere zeigte sich solidarisch mit Potter. Der Zentralrat der Juden in Deutschland bezeichnete ihn als mutigen Journalisten, der stets an der Wahrheit einer Geschichte interessiert sei. "Wer ihn bedroht und diffamiert, der hat keine Argumente. Wir dürfen das als Gesellschaft nicht zulassen", zitiert die "Jüdische Allgemeine" einen Sprecher des Zentralrats. Der Fall müsse "eine Warnung sein, dass radikale Gruppen unsere Medienöffentlichkeit unterlaufen wollen".
Die Stimmung in den sozialen Medien gegen ihn empfindet Potter als "sehr gefährlich" und verweist auf Erkenntnisse der Extremismusforschung: "Wenn eine bedrohliche Stimmung aufgebaut und gegen jemanden gehetzt wird, dann braucht es am Ende nur eine Person, die die Verantwortung übernimmt und handeln möchte."
Viele Übergriffe auf Journalisten bei Demos
Bei Pro-Palästina-Demonstrationen lasse sich ähnliches beobachten, so Nicholas Potter. Nach Zählung der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) gab es 2024 bei diesen Kundgebungen mindestens 100 Angriffe auf Pressevertreter, die Hälfte davon in Berlin. Sie seien "die praktische Konsequenz von Anfeindungen in den sozialen Medien. Auf diese Worte folgen auch Taten."
Seit dem 7. Oktober 2023, dem Hamas-Terrorangriff gegen Israel mit über 1.200 Toten, sei es "immer gefährlicher" geworden, über "vermeintlich propalästinensische und tatsächlich dezidiert antiisraelische Demos" zu berichten, sagt Potter. Viele Kollegen und Kolleginnen hätten sich zurückgezogen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlten. Das gelte auch bei entsprechenden Veranstaltungen an Universitäten. So sieht es Potter.
Deutscher Journalisten-Verband verurteilt Kampagne gegen Potter
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) teilt die Besorgnis. Vor allem im Umfeld von Pro-Palästina-Demos hätten "Anfeindungen und Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten in jüngster Zeit auf besorgniserregende Weise zugenommen", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster auf Anfrage der DW.
Sein Verband verurteile die Kampagne gegen Potter. "Hier wird ein Journalist angefeindet, allein weil er seine Arbeit macht und über gesellschaftlich relevante Themen berichtet, etwa Rechtsextremismus und Antisemitismus." Dabei sei die Kampagne "leider nicht" überraschend, so Beuster.
Schon vor der Bundestagswahl habe der DJV ausdrücklich vor den Gefahren von Desinformationskampagnen, "etwa durch ausländische Mächte", gewarnt. "Dabei geraten auch Medienhäuser und Journalisten ins Visier."
Unterstützung durch "taz", Kolleginnen und Kollegen
Was rät Potter Journalistinnen und Journalisten, die Drohungen erfahren? Er verweist darauf, dass seine Redaktion der "taz" ihn "voll und ganz" unterstützt habe und "hundertprozentig" hinter ihm stehe. Für ihn seien Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen sehr hilfreich gewesen. Er hoffe, dass das in anderen Redaktionen genauso sei. Und: "Es ist vollkommen legitim und angebracht, dass solche Fälle konsequent strafrechtlich verfolgt werden."
Wer von einer solchen Kampagne mit Drohungen betroffen sei, solle das offene Gespräch im Kollegenkreis suchen und sich auch an eine Beratungsmöglichkeit wenden. Man "muss sich klarmachen: Auch wenn es sich manchmal so fühlt - man ist damit nicht alleine. Dieses Problem betrifft leider sehr viele Kolleginnen und Kollegen. Es ist wichtig, dass wir einander unterstützen."