Rita Süßmuth spricht sich für EU-Mission im Kosovo aus
21. Juni 2004Bonn, 21.6.2004, DW-radio /Albanisch
Rita Süssmuth, ehemalige Bundestagspräsidentin und Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann-Stiftung äußert sich im DW-Interview zu den Ergebnissen eines Balkan-Forums "Rethinking the Balkans", das vom 17.-18. Juni 2004, in Berlin stattfand. (Incongruities of State and Nation Building, Regional Stabilisation and European Integration)
Frage: Frau Professor Süssmuth, Sie waren maßgeblich und aktiv an der Konferenz "Rethinking the Balkans" beteiligt, bei der zwei Tage lang mit Politikern und Persönlichkeiten der Zivilgesellschaft aus den Ländern Südosteuropa debattiert wurde. Konkret haben Sie eine Diskussion mit serbischen und albanischen Politikern aus dem Kosovo geleitet. Was haben Sie aus der Konferenz mitgenommen?
Antwort: Also zunächst einmal: Es gibt keine einheitliche Sicht, sondern eine sehr unterschiedliche. Das zweite ist: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht, wie wir das schon bei den mittelosteuropäischen Ländern gemacht haben, die so genannten Transformationsländer, dass wir immer unsere Erwartung auf diese Länder projizieren und meinen, sie können das nur so machen, wie man das in den bestehenden demokratischen Staaten macht. Das dritte, was ich mitgenommen habe: Dass oft bei Diskussionen am runden Tisch, aber auch in informellen Gesprächen, dass die Mehrheit ganz heftig widersprach, selbst aus kosovarischer Sicht, dass dies ein ethnischer Krieg war (...). Und viel wichtiger als ständig nach den ethnischen Unterschieden zu fragen, ist nach den Civic Rights, nach den Rechten eines jeden Bürgers, nach den Menschenrechten zu fragen. Weil sie sagen, ihr habt immer die Vorstellung, es sei ein ethnisches Problem. Es ist ein Menschenrechtsproblem, ein demokratisches Problem! Es hat sicherlich auch zu tun mit Erniedrigung, die Ethnien erfahren haben. Sei es, die Kosovaren oder dann später die Serben. Das wird dann von den Ethnien auch ausgedrückt. Was wir außerdem aus dieser Konferenz mitnehmen: Es könnte sehr gefährlich werden, wenn wir nicht bald handeln, also Entscheidungen treffen in der Richtung: Wie geht es weiter mit den Gebilden - auch den staatlichen, die so nicht beieinander bleiben wollen. Wenn wir nichts tun, werden die Gewaltkonflikte zunehmen. Die letzte Sache ist: Sie (die Menschen) brauchen eine Perspektive. Selbst wenn sie morgen nicht zur EU gehören, ist es wichtig, ihnen eine klare Perspektive zu geben und ihnen zu helfen, sich selbst zu helfen.
Frage: Sie haben das auch in der Diskussion pointiert und klar gesagt, dass es unsere Aufgabe ist - im Sinne der EU - dort aktiver zu werden. Können Sie vielleicht das noch einmal konkretisieren?
Antwort: Es ist hochkompliziert, sonst hätten wir ja schon gehandelt. Da war heute viel von (der Verpflichtung der) so genannten 'Internationals' die Rede. Das sind diejenigen, die von außen kommen, die in den Krieg eingegriffen haben, die eine Verwaltung im Kosovo aufgebaut haben und als UNMIK, UNO dort sind. Und (das sind) die Europäer, die gesagt haben, um hier eine stabilere Friedenszone aufzubauen, geben wir ihnen eine EU-Perspektive. Es war heute sehr spürbar, Länder mit einem Kandidatenstatus wie Bulgarien oder Kroatien nehmen ganz andere Positionen ein als die anderen Länder. Das bedeutet, dass die EU nicht umhin kommt, das, was sie in Aussicht gestellt hat, konkreter zu machen. Oder zumindest solange sie nicht dazugehörig sind, ihnen einen Status in Verbindung auf diese EU zu geben, die sie friedlich entwicklungsfähig machen, - sowohl wirtschaftlich als auch politisch. Also zu glauben: Wir halten sie so hin, ist nicht mehr möglich und dazu gehört auch - es war durchgängig heute die Forderung nach einer UNMIK-Reform. Sie wollen sich selbst regieren, auch verwalten. Sie haben ständig von ihren schwachen Institutionen gesprochen. Aber sie wollen nicht unbedingt, dass UNMIK rausgeht, aber nach diesen vielen Jahren seine Funktion ändert. Am häufigsten ist der Begriff gefallen "Beobachten", "Monitoring", (d. h. sie wollen, dass die Internationals) schauen, dass es bei uns (den Kosovaren) in die richtige Richtung geht, auch Druck auf uns machen, aber wir (Kosovaren) müssen es selbst tun!
Frage: Es wird vielfach der Wunsch geäußert im Kosovo selbst, aber auch von EU-Vertretern, dass die UNMIK von einer EU-Mission abgelöst wird. Könnten Sie sich das vorstellen?
Antwort: Das ist durchaus möglich. Sehen Sie: diejenigen Länder, die schnell nach Europa wollen, - nehmen Sie Kroatien - waren sehr erpicht darauf, dass die OSZE dort verschwindet. (...) Ich kann es mir deswegen vorstellen, weil der Balkan, Südosteuropa ein Aufgabengebiet der EU ist. Wir können dankbar sein, dass damals in dieser schwierigen Kriegskonstellation so viele rein gegangen sind, auch hinterher als Polizeiordnungskräfte. Aber ich denke, es ist an der Zeit, dass das entschieden wird. (Interview: Adelheid Feilcke-Tiemann, Sprache: Deutsch) (MK)