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Rheingau Musik Festival bringt Klassikfans zum Singen

Gaby Reucher
23. Juni 2025

Bei Popkonzerten ist Mitsingen üblich, in der klassischen Musik aber stimmt das Publikum eher selten mit ein. Das Rheingau Musikfestival 2025 präsentiert opulente Werke - und lädt zu außergewöhnlichen Erfahrungen ein.

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Links von der Bühne ragt ein Kontrabass empor, davor die anderen Streichinstumente sowie ein Teil des Chores.
Ein riesiger Bass: Der "Oktobass" ist eine Leihgabe an das HR-SinfonieorchesterBild: Ansgar Klostermann

Ein fast vier Meter großer Kontrabass im Orchester, ein litauischer Akkordeonist, der gerne in luftigen Höhen musiziert oder ein südafrikanischer Cellist, der das Publikum zum Singen bringt. Das Rheingau Musik Festival stellt besondere Menschen an besonderen Orten vor. "Die Räume sind bei uns ein integraler Bestandteil", sagt Geschäftsführer Marsilius von Ingelheim der DW. "Wir bringen einmalige Konzerterlebnisse an historische und moderne Orte der Region."

Die Region ist das Weinanbaugebiet im hessischen Rheingau. Zu den historischen Orten gehört das mittelalterliche Kloster Eberbach, wo das Festival jedes Jahr im Sommer eröffnet wird. Weltweit bekannt wurde das Kloster 1986 durch die Verfilmung von Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose". Das Rheingau Musik Festival gehört zu den größten Festspielen Europas mit Stars und jungen Talenten überwiegend aus der Klassik, aber auch aus Jazz, Pop und Weltmusik.

Mittelalterliche Kirche von Park umgeben.
Das mittelalterliche Zisterzienserkloster Eberbach im RheingauBild: Gaby Reucher/DW

Tiefer und höher geht es nicht

Die Basilika Eberbach mit ihren dicken Klostermauern ist wie geschaffen für große Orchester und starke Stimmen. Da klang zur Eröffnung die Cäcilienmesse des französischen Komponisten Charles Gounod von 1855 besonders pompös. Das Publikum war beeindruckt vom MDR-Rundfunkchor und dem Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks, das traditionell das Rheingau Musik Festival eröffnet. "Die Kirche hat einen langen Nachhall, das ist nicht einfach für das Orchester, aber passend für das Kirchenwerk von Gounod", sagt der Leiter des Orchesters Alain Altinoglu der DW. "Schwierig wird der Nachhall für die Geigerin, die schnelle virtuose Stücke spielt, da ist die Akustik eine Herausforderung."

Die Geigerin in Großaufnahme in rotem Kleid vor dem Orchester.
Diana Adamyan begeisterte mit virtuosem Spiel und zarten TönenBild: Ansgar Klostermann

Die armenische Geigerin Diana Adamyan spielte zum Auftakt des Konzertes spanische Klänge, unter anderem von Pablo de Sarasate und Filmkomponist Franz Waxman. An den Hall hat sich Adamyan schnell gewöhnt. "Ich hatte das Gefühl, die Wände nehmen die Musik auf", sagt sie der DW. "Es war, als würde die ganze Basilika mit uns vibrieren und tanzen. Ein wunderbares Gefühl." Adamyan begeisterte das Publikum mit ihren zarten virtuosen Tönen in höchsten Lagen. Das Land Spanien und der Tanz in der Musik sind in diesem Jahr zwei der Themenschwerpunkte des Festivals.

Der besondere Kontrabass

Bei Gounods Cäcilienmesse ragte ein riesiger Kontrabass aus dem Orchester hervor. Den sogenannten "Oktobass" konstruierte der französische Geigenbauer Jean-Baptiste Vuillaume Mitte des 19. Jahrhunderts für den Komponisten Hector Berlioz.

Für sein "Te Deum" suchte dieser ein besonders tiefes Instrument. Der Oktobass hat nur drei Seiten und ist mit über dreieinhalb Metern der größte Kontrabass der Welt. Die tiefen Klänge kann man nicht nur hören, sondern am ganzen Leib spüren. Es gibt nur noch wenige Nachbauten. Einen hatte sich das HR-Orchester extra für den Abend geliehen.

Timo Buckow Portrait.
Programmleiter Timo Buckow ist immer auf der Suche nach jungen TalentenBild: Woody T. Herner/Woodworks

Der Raum macht die Musik

Musikalische Abende wird es in diesem Jahr zwischen den Weinreben, in den Schlössern der Umgebung oder in einer alten Scheune geben - und erstmals auch im neuen Reinhard Ernst-Museum. Zwischen abstrakten Bildern spielt der litauische Musiker Martynas Levickis auf seinem Akkordeon. Auch er liebt ungewöhnliche Orte und Klänge. "Ich wollte schon lange etwas mit Produzenten elektronischer Musik zusammen machen", erzählt er im Gespräch mit der DW. "Es wird eine Nachtmusik mit Clubbing-Atmosphäre und viel Improvisation."

Für Programmdirektor Timo Buckow ist Levickis ein Künstler mit Visionen. "Für das Konzert im Museum ist er viermal nach Wiesbaden gekommen, um den Raum auf sich wirken zu lassen, danach hat er die Exponate angeschaut als Inspiration und sich das musikalische Konzept überlegt."

Levickis ist nicht nur in seiner Heimat Litauen für ungewöhnliche Auftritte bekannt. So schwebte er bei einer Konzert-Aktion mit seinem Instrument im Heißluftballon in die Lüfte, verbunden mit dem Publikum via WLAN. "Irgendwann ging die Verbindung verloren und das war das Happening:  Musik, die im Himmel verschwindet", erzählt Levickis.

Akkordeonist Martynas Levickis
Bringt das Akkordeon auf die Klassikbühne: Martynas LevickisBild: Stephan Zwickirsch/Rheingau Musik Festival

Als einer der Fokuskünstler des Festivals tritt er mehrmals im Rheingau auf. Bei seinem Programm "Da Vincis Dream" spielt er Musik aus 400 Jahren Akkordeongeschichte. Für die Anfänge der Akkordeonmusik hat er sich extra ein Instrument aus den Niederlanden besorgt: Das sogenannte Organetto mit Blasebalg und kleinen Orgelpfeifen wurde nach Skizzen des Malers und Erfinders Leonardo da Vinci gebaut.

Auf der Suche nach neuen Talenten

Ein anderer Künstler mit Vision ist Abel Selaocoe aus Südafrika. In seinem Programm "African roots" mit dem Stuttgarter Sinfonieorchester spielt er auf seinem Cello nicht nur klassische und moderne Musik, sondern singt auch dazu. "Man kann sich seiner natürlichen archaischen Herangehensweise nicht entziehen", sagt Timo Buckow. "Er denkt nicht in Genres, er selbst ist die Musik." Mal trampelt Selaocoe auf den Boden, wie es in den traditionellen Tänzen seiner Heimat vorkommt, mal animiert er das Publikum mitzusingen. "Das ist etwas Neues, das kennt man so in unserer Branche gar nicht", sagt Buckow.

Portrait des südafrikanischen Cellisten Abel Selaocoe
Abel Selaocoe weiß, wie man das Publikum in Bann ziehtBild: Christina Ebenezer

Im ersten Augenblick wirke das auf manche vielleicht irritierend und befremdlich, Selaocoe schaffe es aber, "den Saal so mitzunehmen, das die Leute mitsingen und sich auf ihn einlassen. Das ist sehr faszinierend". Für den Programmmacher sind solche Auftritte ein Experiment beim Rheingau Musik Festival. "Aber wir müssen diese Künstler und auch diese Bandbreite zeigen, das liegt in unserer Verantwortung und macht das Festival am Ende aus."