Renten unter Druck - was wird aus der Alterssicherung?
6. September 2025"Kinder bekommen die Leute immer." Diesen Satz soll der erste deutsche Bundeskanzler, Konrad Adenauer - selbst siebenfacher Vater - gesagt haben, als es 1955 darum ging, welches Rentensystem die noch junge Bundesrepublik bekommen sollte. Auf Druck Adenauers entschied man sich für einen Generationenvertrag. Die arbeitende Bevölkerung finanziert durch eine prozentuale Abgabe auf ihr Gehalt die Rentner.
Das System konnte nur funktionieren, wenn die Geburtenrate hoch und die Lebenserwartung niedrig blieb. 1955 brachte noch jede Frau statistisch gesehen 2,3 Kinder zur Welt und es wurden noch mehr. Rechnet man die Geburten in der damaligen Bundesrepublik und der DDR zusammen, dann wurden bis zum Ende der 60er Jahre jährlich deutlich mehr als eine Million Kinder geboren. 1964 waren es sogar 1,35 Millionen. Diese gesamtdeutsche Generation nennt man die "Baby-Boomer".
Deutschland altert gewaltig
Mit Beginn der 70er Jahre wurde der sogenannte "Pillen-Knick" spürbar, weil plötzlich effektive Verhütungsmittel verfügbar waren. 1975 gab es gesamtdeutsch nur noch rund 785.000 Geburten. Deutlich mehr wurden es seitdem nicht mehr und nun bewegen sich die geburtenstarken Jahrgänge auf die Rente zu. Das Statistische Bundesamt rechnet vor, dass bis 2039 ein Drittel aller jetzt noch Erwerbstätigen in den Ruhestand gehen. "Jüngere Altersgruppen werden die Babyboomer zahlenmäßig nicht ersetzen können", heißt es in einer Mitteilung des Amtes.
In der Wirtschaft wird das den Fachkräftemangel verschärfen und nicht nur das. "Dies bringt auf längere Sicht die sozialen Sicherungssysteme unter Druck, weil mehr Menschen von weniger Beitrags- und Steuerzahlern versorgt werden müssen", sagt Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) der Nachrichtenagentur Reuters. "Dies verschärft insgesamt die Verteilungskonflikte."
Erwerbstätige und Unternehmen, die sich die Abgaben in die Rentenkasse teilen, müssten mit steigenden Rentenbeiträgen rechnen. Das, so Kooths, mache den Standort Deutschland für Investitionen und qualifizierte Arbeitskräfte unattraktiver. Es drohe eine Abwärtsspirale aus steigenden Abgabensätzen und Abwanderung der Gutqualifizierten, die typischerweise auch besonders mobil seien.
Nicht mit den (alten) Wählern anlegen
Ideen sind gefragt, wie das Rentensystem stabilisiert werden kann. Schon seit Jahren geht der von Konrad Adenauer begründete Generationenvertrag nicht mehr auf. 1962 finanzierten sechs Erwerbstätige einen Rentner. 2020 waren es 1,8 Erwerbstätige, Tendenz sinkend. Die Renten können nur finanziert werden, weil der Staat jedes Jahr einen wachsenden Zuschuss aus Steuermitteln in die Rentenkasse pumpt. Mit derzeit rund 100 Milliarden Euro jährlich gehört er inzwischen zu den größten Posten im Bundeshaushalt.
Vor dem Kollaps des Systems wird schon lange gewarnt. Doch die Politik tat wenig. Zum einen, weil man sich nicht mit den vielen älteren Wählern anlegen und ihnen Einschnitte zumuten wollte. Zum anderen gab es in den vergangenen zehn Jahren eine Atempause in der Demografie, weil Deutschland eine hohe Zuwanderung hatte. Die Regierung ging sogar so weit, die Quote, nach der sich die Rentenhöhe im Vergleich zum bisherigen Einkommen bemisst, auf rund 48 Prozent festzuschreiben und will dieses Niveau bis 2031 halten.
Die Idee mit dem "Boomer-Soli"
2026 soll eine Kommission damit beginnen, Vorschläge für eine grundsätzliche Rentenreform zu erarbeiten. Gleichzeitig werden aber auch kurzfristig wirkende Ideen gesucht. Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) schlagen dafür einen "Boomer-Soli" vor.
Wohlhabende Rentner und Pensionäre, also nicht mehr arbeitende Beamte, sollen zur Kasse gebeten werden. Eine Sonderabgabe von zehn Prozent auf alle Alterseinkünfte, auch auf Vermögen und Betriebsrenten, würde - bei einem Freibetrag von monatlich rund 1000 Euro - die 20 Prozent der Rentnerhaushalte mit den höchsten Einkommen nur moderat belasten, rechnen die Forscher vor.
Nicht zu Lasten der Jüngeren umverteilen
"Die Babyboomer sollten für ihre Entscheidungen geradestehen", begründet DIW Chef Marcel Fratzscher den Vorschlag in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung. "Sie haben wenige Kinder bekommen, und die Arbeitszeit stieg kaum mit der Lebenserwartung. Deshalb sollten sie einen finanziellen Ausgleich leisten." Zumal auch die Kosten für Gesundheit und Pflege mit der zunehmenden Lebenserwartung massiv stiegen. Das könne nicht zu Lasten der Jüngeren gehen.
Neben der Idee des "Boomer-Soli" stammt aus dem DIW auch der Vorschlag für ein verpflichtendes soziales Jahr für Senioren. Alternativ könnten sie auch bei der Bundeswehr ein Jahr lang ihre technischen Kenntnisse einbringen, bevor sie in Rente gehen.
Kritik von vielen Seiten
Die Vorschläge des DIW stoßen nicht nur bei den Betroffenen auf wenig Gegenliebe. Klar ablehnend äußerten sich Politiker der regierenden konservativen CDU. Ein "Boomer-Soli" raube den Menschen Verlässlichkeit, kritisierte die Mittelstandsbeauftragte der Bundesregierung, Gitta Connemann (CDU) im Sender RTL. "Jemand, der in die Rente eintritt, der sein Portfolio berechnet hat, dem kann ich nicht so mal über Nacht sagen, ich nehme dir davon zehn Prozent weg."
Anja Piel, Vorstandsmitglied beim Deutschen Gewerkschaftsbund, kritisiert, niemand brauche Vorschläge, die den Mangel niedriger Renten nur unter den Rentnerinnen und Rentnern umverteilen. "Ein Soli auf Renten lässt außerdem die größten Einkommen im Land unangetastet: Miet- und Pachteinnahmen, Unternehmensgewinne und Zinsen", so Piel.
Macht Deutschland etwas falsch?
Trotz der widersprüchlichen Ansichten ist es weitverbreiteter Konsens, dass das Rentensystem reformiert werden muss. Zumal immer mehr Rentner von ihren Altersbezügen nicht leben können, weil sich die Rente nach den Einkommen richtet. Wer im Leben wenig verdient hat, bezieht auch eine niedrige Rente.
Könnte sich Deutschland ein Beispiel an europäischen Nachbarländern nehmen? In den Niederlanden und in Österreich gelten die Rentensysteme als stabil - und tatsächlich gibt es dort in einigen Punkten erhebliche Unterschiede zum deutschen System.
In Deutschland müssen nur abhängig Beschäftigte einen Teil ihres Einkommens in die Rentenkasse abführen. Die Quote liegt bei 18,6 Prozent und wird zur Hälfte von den Arbeitgebern übernommen. Beamte, also im Staatsdienst Beschäftigte, Selbständige und einige andere Berufsgruppen sind von dieser Pflicht befreit. Dadurch zahlen nur 79 Prozent aller Erwerbstätigen in die Rentenkassen ein. Bereits nach fünf Beitragsjahren hat man in Deutschland Anspruch auf eine Rente.
In anderen Ländern fließt mehr Geld ins Rentensystem
In Österreich gibt es ein einheitliches Pflichtsystem für fast alle Erwerbstätigen. 94 Prozent zahlen Beiträge, die mit 22 Prozent des Gehalts deutlich höher liegen als in Deutschland. Davon zahlen die Arbeitgeber zwölf Prozent, die Arbeitnehmer zehn Prozent. Die Mindestversicherungszeit für eine Rente beträgt 15 Jahre. Renten müssen voll versteuert werden.
In den Niederlanden hat jeder Einwohner, abhängig davon, wie lange er im Land lebt, einen Anspruch auf eine Grundrente. Dafür müssen Erwerbstätige 17,9 Prozent ihres Einkommens in die Rentenkasse abführen. Zusätzlich zur Grundrente finanzieren 90 Prozent aller Erwerbstätigen mit den Arbeitgebern zusammen eine Betriebsrente. Eine zusätzliche private Vorsorge wird staatlich gefördert, ist aber freiwillig.
In Deutschland ist nur jeder zweite Beschäftigte zusätzlich mit einer Betriebsrente abgesichert. Die Bundesregierung will das ändern. Die steuerliche Förderung von Betriebsrenten soll steigen, außerdem sollen Arbeitnehmer künftig widersprechen müssen, wenn ein Teil des Gehalts nicht automatisch für Betriebsrenten verwendet werden soll.