"Regierung in Taschkent hat mit Demokratie nichts im Sinn"
22. Mai 2002Köln, 19.5.2002, DW-radio, Thomas Kirschning
Bei der Jahresversammlung der Osteuropabank (European Bank for Reconstruction and Development, EBRD), die zur Zeit in Bukarest stattfindet, verschaffen sich auch unabhängige Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen Gehör. Im ersten Artikel der Statuten der Bank ist nämlich sinngemäß zu lesen, dass die Bank nur in solchen Ländern tätig werden darf, in denen deutliche Fortschritte in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft zu verzeichnen sind. In Usbekistan, dem Tagungsort im Jahr 2003, könne von demokratischer Entwicklung allerdings keine Rede sein, moniert unter anderem "Human Rights Watch", eine internationale Nicht-Regierungsorganisation (NGO). Thomas Kirschning berichtet aus der rumänischen Hauptstadt:
"Die usbekische Regierung hat mit Demokratie nichts im Sinn. Die Osteuropabank soll sich zunächst bei den Machthabern in Taschkent für die Respektierung von Menschenrechten einsetzen, bevor sie dort ihre Jahresversammlung abhält". Dies ist - kurz gefasst - die Forderung von über fünfzig Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) aus 24 Ländern, in denen die Entwicklungsbank tätig ist. Zur derzeitigen Jahresversammlung in Bukarest haben sie einen offenen Brief an Bankpräsident Jean Lemierre gerichtet. Bislang stünden die usbekischen Medien unter strenger staatlicher Zensur und Kritiker würden bedroht, verfolgt, gefoltert und ins Gefängnis geworfen. Marie Struthers von "Human Rights Watch":
"Ich habe Beweise dafür, dass in Gefängnissen und Arrestzellen Fingernägel ausgerissen werden. Beweise auch dafür, dass in den vergangenen Monaten Frauen misshandelt, geschlagen und entführt wurden."
So gehörten auch Elektroschocks zu üblichen Verhörmethoden gegenüber Regimekritikern. Das Komitee der Vereinten Nationen gegen Folter hat vor zwei Wochen eine scharfe Kritik an diesen Praktiken veröffentlicht. Es habe seit 1995 Tausende Fälle von Folterungen gegeben, heißt es da. Wenn die Osteuropabank nun im kommenden Jahr in Taschkent die Jahresversammlung ihrer 62 Teilhaberstaaten und -organisationen abhalten wolle, dann würde in der Weltöffentlichkeit der Eindruck erweckt, dass in dem Land die Dinge richtig laufen. Veronika Goldsten von "Human Rigths Watch fordert daher:
"Die Bank muß der usbekischen Regierung in Sachen Menschenrechte sehr konkrete Prüfsteine setzen und ihr klar machen, was sie von ihr erwartet - und zwar im Vorfeld der Tagung. Und wenn sich die Regierung nicht daran hält, dann sollten sie die Tagung absagen."
Zu diesen Prüfsteinen gehört die Erlaubnis, dass NGOs überhaupt erst einmal in Usbekistan tätig werden dürfen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und Religionsausübung gewährt wird und dass vor allem freie Wahlen stattfinden, die von internationalen Beobachtern begleitet werden.
Die usbekische Regierung erlaubt weder Kritik an ihrer Politik noch Informationen über Korruption, Armut oder über die sich ausbreitende Arbeitslosigkeit. Journalisten oder unabhängige Kritiker würden systematisch verfolgt, monieren die NGOs.
Im Gegensatz zu früheren Banktagungen etwa in Kiew, wo Mitglieder von NGOs auf offener Straße verhaftet und abtransportiert wurden, haben sie in Bukarest Zugang zu den ansonsten streng abgeschirmten Tagungsräumen und -sälen im riesigen Parlamentspalast. Die Bank selbst hat offene Ohren für ihre Anliegen und integriert sie zunehmend in ihre Kreditpolitik.
Deshalb richtet sich die Kritik der NGOs nicht so sehr gegen die Bank. Sie bestärken die Bank vielmehr darin, ihrem auch politischen Mandat nachzukommen. Noch einmal Marie Struthers von "Human Rights Watch"
"Wir kritisieren nicht nur die Menschenrechtssituation in Usbekistan. Wir wollen auch den Erfolg der Bank unterstützen. Der Erfolg der Bank, so hat es ihr Präsident Lemierre selbst gesagt, hängt direkt ab von der Entwicklung der Demokratie." (lr)