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Das Recycling-Dilemma: Was ist das Problem mit Plastik?

Anne-Sophie Brändlin
Veröffentlicht 12. August 2025Zuletzt aktualisiert 13. August 2025

Nur zehn Prozent der Kunststoffe weltweit werden wiederverwendet. Was sind die Gründe? Muss man das Recycling von Plastik überdenken?

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Kleines Boot auf dem Wasser umgeben von Plastikmüll
Immer mehr Plastikmüll gefährdet die Gesundheit: Nur wenige Kunststoffe werden recyceltBild: Jurnasyanto Sukarno/epa/dpa/picture alliance

Es wird oft gesagt, dass die Welt die Plastikverschmutzung nicht durch Recycling überwinden kann. Statistiken unterstreichen diese Aussage. Bis heute werden weniger als ein Zehntel aller Kunststoffe wiederverwertet. Und lediglich ein Prozent wird zweimal recycelt.

Der Rest landet auf Mülldeponien und in Verbrennungsanlagen. Oder er gelangt in die Umwelt und verschmutzt Böden, Luft und Meere - in riesigen Mengen, die etwa einer Müllwagenladung Plastik pro Minute entsprechen.

"Nur weil etwas recycelbar ist, heißt das noch lange nicht, dass es auch recycelt wird", sagt Moritz Jäger-Roschko, Kunststoffexperte bei Greenpeace Deutschland. "Derzeit ist es einfach billiger, ein neues Kunststoffprodukt herzustellen, als Plastik zu recyceln."

Nahaufnahme mit Plastikcontainern, einzelnen Badelatschen und Verpackungsmüll, das auf dem Wasser treibt
Mehr Kunststoff, mehr Müll: In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Plastikproduktion mehr als verdoppeltBild: Paulo de Oliveira/IMAGO/Ardea

Einige Kunststoffe sind schlecht für die Weiterverarbeitung

Eines der größten Hindernisse für eine stärkere Wiederverwendung ist die Art des jeweiligen Kunststoffs. Von den Tausenden verfügbaren Kunststoffen lassen sich einige nur sehr schwer weiterverarbeiten. Vernetzte Polymere sind ein Beispiel dafür, sie werden häufig in der Industrie eingesetzt.

"Recycling funktioniert im mechanischen Sinne nicht wirklich, weil man die Materialien nicht zerlegen und in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen kann", erklärt Marc Kreutzbruck, Leiter des Instituts für Kunststofftechnik an der Universität Stuttgart. 

Da in der Luft- und Raumfahrt, der Elektronik und der Automobilindustrie Kunststoffe robust, langlebig und hitzebeständig sein sollen, werden solche Polymere dort eingesetzt. "Alles im Transportwesen, was auf Leichtbauweise ausgerichtet ist, ist auf diese Art von Kunststoffen angewiesen", fügt Kreutzbruck hinzu.

Recyclinganlage für PET und HDPE-Kunststoffe in Hongkong. Mann vor der Verwertungsanlage
Kunststoffflaschen lassen sich leicht recyceln - aber es fehlen die Recyclinganlagen und so werden sie zu Müll Bild: K. Y. Cheng/Newscom/picture alliance

Gefährliche chemische Zusatzstoffe

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass in den meisten Kunststoffen noch zusätzlich Chemikalien enthalten sind. Dadurch werden sie flexibler, stabiler oder billiger in der Herstellung.

Sarah Perreard, Co-Direktorin der globalen Koalition Plastic Footprint Network, sagt, dass die Anzahl der Zusatzstoffe, die in den letzten zehn Jahren entwickelt und verwendet wurden, "drastisch zugenommen hat", bis zu einem Punkt, an dem "wir fast eine Art Monster geschaffen haben, das wir nicht mehr vollständig kontrollieren können".

Die Probleme sind so komplex wie die Kunststoffe selbst. Erstens sind viele Zusatzstoffe sowohl für die menschliche Gesundheit als auch für die Umwelt gefährlich. Sie können während des Recyclings oder sogar während der Verwendung in recycelten Produkten freigesetzt werden. Und mit gefährlichen Zusatzstoffen kontaminierte Recyclingströme können von den Aufsichtsbehörden als Giftmüll eingestuft werden, was die Wiederverwendung erschwert oder sogar illegal macht.

Ebenso können sich diese Zusatzstoffe beim gemeinsamen Recycling auf unvorhersehbare Weise vermischen und die Qualität des Endmaterials beeinträchtigen, was es für Hersteller unattraktiv macht.

Andere Kunststoffarten - wie PET (Polyethylenterephthalat) und HDPE (Hart-Polyethylen), die in Trink- und Waschmittelflaschen verwendet werden - sind leichter zu recyceln, da die Materialien leichter zu identifizieren sind. Dennoch werden sie oft weggeworfen.

"Wenn es technisch recycelbar ist, aber an vielen Orten, an denen dieser Kunststoff auf den Markt gebracht wird, keine Infrastruktur vorhanden ist, wird er nicht recycelt. Er wird nicht einmal ordnungsgemäß entsorgt", sagt Perreard.

Dann gibt es noch Verbundverpackungen - wie Chipstüten oder Kaffeepads - die aus einer Kombination von Kunststoff und Aluminium oder Papier hergestellt werden. Diese sind fast unmöglich zu trennen und die meisten Recyclinganlagen können sie nicht verarbeiten.

Ein Arbeiter schraubt an einer Maschine für Plastikweiterverwertung in Australien
Entwicklung von Mikrofabriken in Australien: Schwer recycelbare Kunststoffe werden hier hier weiter verwendet Bild: UNSW SMaRT Center

Suche nach Lösungen

Experten halten es für entscheidend, die Art und Weise des Kunststoffrecyclings zu überdenken - und einige finden bereits neue Wege, um selbst schwer zu recycelnde Abfälle in etwas Nützliches umzuwandeln.

Veena Sahajwalla, Materialwissenschaftlerin an der Universität in Sydney (UNSW), stellt die Vorstellung in Frage, dass jedes Produkt beim Recycling in genau derselben Form zurückkommen muss. "Für uns begann die Reise an dem Punkt, an dem wir uns fragten: Was meinen die Leute, wenn sie sagen, dass etwas nicht recycelbar ist? Aber was wäre, wenn wir daraus völlig andere Produkte herstellen könnten?"

Sahajwalla ist Vorreiterin bei der Entwicklung von sogenannten Mikrofabriken, die gemischte Kunststoffabfälle wie Elektronikschrott - die normalerweise schwer zu recyceln sind - in hochwertige Materialien umwandeln.

"Wir stellen Kunststofffilamente her, die zu 100 Prozent aus recycelten Materialien bestehen, und zwar aus all den schwierigen Kunststoffen, die in Hardware wie IT-Druckern enthalten sind. Diese recycelten Kunststofffilamente werden dann in einen 3D-Drucker eingespeist."

Die Idee ist, dieses wertvolle neue Material für die Wiederaufbereitung zu verwenden - direkt an der Quelle. "Unsere Mikrofabrik befindet sich beispielsweise in dem Lagerhaus, in dem unser Industriepartner nun diesen Kunststoff entgegennimmt und diese Kunststofffilamente direkt dort im Lagerhaus in Sydney herstellt."

Und so kann beispielsweise ein Teil, das zur Reparatur eines defekten Computers oder Druckers benötigt wird, direkt vor Ort in den 3D-Druckern aus recyceltem Kunststoff hergestellt werden. "Sagen wir also nicht, das Problem liege beim Rohmaterial. Lassen Sie uns darüber sprechen, wie wir unsere Herstellungsprozesse gestalten und neu gestalten können", sagt Sahajwalla.

Ein Mann steht auf einem grossen Haufen Plastikmüll / Indonesien | Umweltverschmutzung durch Plastik
Bei den Verhandlungen zum UN-Plastikvertrag diskutieren in Genf die Länder über ein weltweites Plastikabkommen Bild: Owen Humphreys/PA Wire/empics/picture alliance

Die Rolle der Politik

Laut Jäger-Roschko kann Recycling die Krise jedoch nicht allein lösen, ohne die Produktion zu drosseln. Deshalb ist auch die Politik wichtig. Experten sagen, dass wirksame Vorschriften wirklich notwendig sind.

"Wir brauchen globale Regeln, die für jedes Land gelten", sagt Perreard vom globalen Plastic Footprint Network. "Sogar Unternehmen wollen diese Regeln."

Die Verhandlungsrunde zum UN-Plastikabkommen bietet eine historische Chance, die Probleme der Plastikverschmutzung und des Recyclings anzugehen. Greenpeace fordert laut Jäger-Roschko eine Reduzierung der Plastikproduktion um 75 Prozent bis 2040.

Doch die die Industrie, die das Öl und Gas liefert, aus dem die Kunststoffe hergestellt werden, zeigt daran kein Interesse. "Ölförderländer sind gegen ein strenges Abkommen, weil mit der Umstellung auf erneuerbare Energien nach und nach ein Großteil des Öls wegfallen wird, und Plastik für sie ein wichtiger Absatzmarkt ist", erklärt Perreard.

Sie drängt auf Maßnahmen, die Unternehmen für Verpackungen während ihres gesamten Lebenszyklus zur Verantwortung ziehen.

Experten sagen, dass die großen Unternehmen, die zur Plastikkrise beigetragen haben, nun auch dafür verantwortlich sind, Verpackungen neu zu gestalten, Einwegkunststoffe zu reduzieren und in echte Wiederverwendungssysteme zu investieren.

Adaptiert aus dem Englischen von Gero Rueter.