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"Rachmonows Reise nach Belgien und Deutschland ist eine PR-Kampagne"

26. März 2003

– Will der tadschikische Präsident vor dem Verfassungsreferendum zeigen, dass er vom Westen unterstützt wird?

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Köln, 26.3.2003, DW-radio / Russisch

Der tadschikische Präsident Emomali Rachmonow besucht Belgien und Deutschland. Presseberichten zufolge ist die Entscheidung, in diese Länder zu reisen, vor dem Hintergrund der Irak-Krise nicht zufällig getroffen worden. Die Position des offiziellen Duschanbe kommt der Anti-Kriegs-Haltung der deutschen und belgischen Regierung sehr nahe. Das bedeutet, dass man gerade von ihnen jetzt die stärkste Unterstützung erwartet, nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische, denn in Tadschikistan haben derzeit die innenpolitischen Prozesse an Dynamik deutlich zugenommen. Es berichtet unser Korrespondent in Duschanbe Nigora Buchari-sade:

"Befürworten Sie, dass die Verfassung Tadschikistans geändert und ergänzt wird?" Auf diese einzige Frage werden die Tadschiken bei einem Referendum am 22. Juni 2003 antworten müssen. Das Datum für das Referendum und der Wortlaut der Frage wurde auf einer der jüngsten Sitzungen des Unterhauses des tadschikischen Parlaments festgelegt. Eine eigens einberufene Koordinationskommission, die sich mit den Verfassungsänderungen befasst, beschloss, insgesamt 55 Artikel der Verfassung zu ändern und zu ergänzen. Der Vorsitzende des Komitees des Unterhauses des Parlaments, Sch. Ismailow, teilte der Deutschen Welle mit, die Kommission habe weniger als drei Wochen gearbeitet und in dieser Zeit seien von Parlamentariern etwa 250 Vorschläge eingegangen, von denen die wichtigsten in den Entwurf aufgenommen worden seien. Die heftigsten Debatten unter den politischen Kräften löste der Vorschlag aus, Artikel 65 zu streichen, der besagt, dass ein und dieselbe Person nicht mehr als ein Mal für das Amt des Staatsoberhauptes gewählt werden darf. Vertreter einer Reihe oppositioneller Parteien kritisierten diesen Vorschlag. Die Abgeordneten entschieden sich schließlich, die Anzahl der Amtszeiten des Präsidenten auf zwei zu beschränken. Ein Kompromiss wurde auch bezüglich des Verfassungsartikels 28 erzielt, der die Tätigkeit politischer Parteien betrifft. Vorgeschlagen wurde, die Begriffe "religiöse", "atheistische" und "demokratische" Parteien zu streichen und sie durch den Begriff "politische" zu ersetzen. Dieser Artikel schuf seinerzeit 1999 die rechtliche Grundlage für die "Partei der islamischen Wiedergeburt Tadschikistans". Verabschiedet wurde der Artikel nach Verhandlungen zwischen der Regierung und der Opposition, die sich damals um nationale Eintracht bemühten. Der Vorsitzende der Koordinierungskommission, A. Dostijew, erklärte: "Wir dürfen die Prinzipien nicht verwerfen, die unsere Gesellschaft zusammengeführt haben und deswegen haben wir einer Änderung des Verfassungsartikels 28 nicht zugestimmt." In den kommenden Tagen wird der Entwurf mit den Verfassungsänderungen in der Presse veröffentlicht und der Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Vertreter tadschikischer politischer Parteien erklären unterdessen, dass die vorgeschlagenen Änderungen eine weitere wichtige Frage unberücksichtigt lassen: Die Trennung und die Umverteilung von Vollmachten zwischen der Exekutive und Legislative.

Zu diesem Thema haben wir den Redakteur der im Ausland herausgegebenen oppositionellen Zeitung "Tscharogi rus", Dododschon Atowulojew, befragt:

Frage:

Welche Reaktion der Öffentlichkeit und des politischen Establishments in Tadschikistan könnte dieses Referendum hervorrufen?

Dododschon Atowulojew:

Dieses Referendum stört den zerbrechlichen Frieden, der bislang in Tadschikistan herrschte. Heute ist in Tadschikistan folgender Spruch sehr beliebt: "Wie kann man die Tadschiken hinters Licht führen? Man muss ein Referendum abhalten." In Tadschikistan hat man gelernt, Demokratie zu spielen. Es ist nicht wichtig, wie das Volk abstimmt, sondern wie die Stimmen ausgezählt werden. Von den 55 Änderungen macht der Öffentlichkeit des Landes vor allem die Änderung des Verfassungsartikels 65 Sorge, der besagt, dass ein und dieselbe Person zum Präsidenten nur für eine Amtszeit von sieben Jahren gewählt werden darf. Die politische Ruhe, die in Tadschikistan herrschte, ist gestört. Viele politische Bewegungen und Parteien verurteilen das Referendum und sie beabsichtigen, es zu boykottieren. Ich muss sagen, dass derzeit die Menschen über die Gründung neuer Vereinigungen nachdenken, um die Verfassung vor der Willkür des "Verfassungsgaranten" zu schützen. Nach Gesprächen, die ich mit einigen bekannten und einflussreichen tadschikischen Politikern geführt habe, bin ich zum Schluss gekommen, dass schon bald, in ein oder zwei Wochen, wir neue Akteure und neue Programme der tadschikischen Politiker sehen werden. Hinter der Kamera und bei ausgeschaltetem Mikrofon sagen viele Politiker, sie hätten gewusst, dass Rachmonow nicht so einfach abtreten werde und das der einzige Weg, das Regime loszuwerden, ein Aufstand oder ein Umsturz sei. Danach werden die demokratischen Werte in Tadschikistan jedoch ihre Anziehungskraft verlieren.

Frage:

Hängt ihrer Meinung nach die jetzige Reise des Präsidenten nach Europa mit der innenpolitischen Lage in Tadschikistan zusammen?

Dododschon Atowulojew:

Natürlich, Emomali Rachmonows Reise nach Belgien und Deutschland ist eine große PR-Kampagne vor dem Referendum, mit der die tadschikische Staatsmacht zeigen will, dass sie von demokratischen Ländern unterstützt wird. Er war erst in den USA und in Frankreich und nun ist er in Belgien und Deutschland. (MO)