Quo vadis, SPD? - Sozialdemokraten nach der Bundestagswahl
3. März 2025Verhaltene Freude, das ist am Tag nach der Bürgerschaftswahl in Hamburg in der SPD-Zentrale in Berlin zu spüren. "Das Ergebnis hat uns ein Lächeln ins Gesicht gezaubert", sagte SPD-Co-Chefin Saskia Esken. In dem norddeutschen Stadtstaat Hamburg mit seinen knapp zwei Millionen Einwohnern kann die SPD noch gewinnen - wenn auch nicht mehr so deutlich wie früher. Doch 33,5 Prozent der Stimmen sind meilenweit von dem entfernt, was die SPD bei der Bundestagswahl am 23. Februar erreichte.
Mit 16,4 Prozent fuhr die SPD das schlechteste Ergebnis bei einer nationalen Parlamentswahl seit 1887 ein - damals hieß die SPD noch Sozialistische Arbeiterpartei. Das hallt nach und drückt in der Partei auf die Stimmung. Zumal das Ergebnis einen Trend fortsetzt. Zuletzt bekam die SPD 2005 bei einer Bundestagswahl über 30 Prozent der Stimmen. Von Ergebnissen wie in Hamburg kann sie nur noch träumen.
Ein Sieg, der ein Ausreißer war
Am negativen Trend ändert auch der Sieg bei der Bundestagswahl 2021 nichts. Vor ihrer überraschenden Aufholjagd lag die SPD konstant bei 15 Prozent. Nur weil die CDU den entscheidenden Fehler zu viel machte und mit Armin Laschet einen unpopulären Kandidaten ins Rennen geschickt hatte, änderte sich das. Selbst in der SPD hieß es später: "Wir dachten, wir hätten gewonnen, dabei hatten die anderen nur verloren."
Doch wie konnte es so weit kommen bei der mit mehr als 160 Jahren ältesten Partei in Deutschland? Die über Jahrzehnte neben der konservativen CDU eine der beiden großen Volksparteien war, die bedeutende Kanzler hervorgebracht hat, die die Ostpolitik und andere Wegmarken in der Geschichte der Bundesrepublik maßgeblich mitprägte?
Verluste in alle Richtungen
Blickt man auf Einzelaspekte des Wahlergebnisses, dann fallen mehrere Punkte auf. Einzig in der Altersgruppe ab 60 Jahren hat die SPD bei der letzten Bundestagswahl über 20 Prozent der Stimmen bekommen. In der Gruppe der 18- bis 34-Jährigen waren es nur zwölf Prozent.
Rund 1,7 Millionen ehemalige SPD-Wähler machten ihr Kreuz bei den konservativen Unionsparteien, 720.000 bei der in Teilen rechtsextremen AfD. Die Linkspartei und das von ihr abgespaltene BSW konnten zusammen eine Million Stimmen von ehemaligen SPD-Wählern gewinnen. Der Aderlass ging also in mehrere Richtungen.
SPD ist keine Arbeiterpartei mehr
Es ist offensichtlich, dass sich die Menschen mit ihren Sorgen um Jobs und Zuwanderung im Stich gelassen fühlen. In einer Analyse des Meinungsforschungsinstituts infratest-dimap schreiben nur 14 Prozent der Deutschen der SPD Kompetenz in der Asyl- und Flüchtlingspolitik zu. 52 Prozent sagen, dass die SPD die Interessen der Arbeitnehmer vernachlässige.
"Das Problem ist, dass wir eine falsche Vorstellung von Arbeit haben", sagte der langjährige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der inzwischen nicht mehr in der Politik ist, nach der Bundestagswahl in der ARD-Talksendung Maischberger. "Wir haben den Eindruck vermittelt, diejenigen, die nicht arbeiten gehen, oder nur ab und zu, wären uns wichtiger als die, die arbeiten gehen. Und das ist tödlich für eine sozialdemokratische Partei."
Die infratest-Analyse gibt Gabriel Recht. 55 Prozent sagen, dass sich die SPD mehr um Bürgergeldempfänger kümmere als um Menschen, die hart arbeiten und wenig Geld verdienen. Bürgergeld, vormals Hartz IV, ist die finanzielle Unterstützung für Menschen, die keine Arbeit haben.
Esken und Klingbeil wollen weitermachen
Der Schock über das Wahlergebnis sitzt tief in der SPD. Zurücktreten will aber niemand. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken gibt sich stoisch. Schmallippig sagte sie am Tag nach der Wahl, sie habe mehr als fünf Jahre "mit großer Freude" an der Geschlossenheit der Partei gearbeitet. "Das gedenke ich auch weiter zu tun."
Ihr Co-Vorsitzender Lars Klingbeil beeilte sich noch am Wahlabend, seine Macht in der Partei auszubauen. Er ist nun auch Chef der Bundestagsfraktion. Lediglich der noch amtierende Bundeskanzler Olaf Scholz sagte, er trage die Verantwortung für die verlorene Wahl und werde zukünftig nur noch Bundestagsabgeordneter sein. Aber ihm bleibt auch nichts anderes übrig, denn er wird das Kanzleramt ohnehin räumen müssen.
Widerstand gegen die Große Koalition
Man stehe das Kommende gemeinsam durch, heißt es. Übersetzt heißt das: Augen zu und durch. Schließlich sieht es so aus, als werde die SPD weiterhin auf der Regierungsbank sitzen können - wenn auch als Juniorpartner der Union in einer sogenannten Großen Koalition. Die Verhandlungen mit dem Wahlsieger CDU/CSU haben bereits begonnen.
An der enttäuschten SPD-Basis fragen sich jedoch nicht wenige Mitglieder, ob eine erneute Koalition mit der Union gut sein kann. Es wäre das vierte Regierungsbündnis in dieser Konstellation seit 2005. Aus jeder dieser Koalitionen ging die SPD geschwächt hervor.
Erneuern und gleichzeitig regieren
SPD-Chef Klingbeil verspricht seiner Partei, er werde sie in den kommenden Jahren wieder stark machen - als "Volkspartei der linken Mitte". Es werde eine "programmatische, organisatorische und auch personelle Erneuerung" geben. Sich allein darauf zu konzentrieren, kommt für die SPD-Spitze allerdings nicht in Frage.
Das Erstarken der extremen Rechten und die weltpolitische Lage ließen keine Zeit zum Luftholen. "Es ist Aufgabe der deutschen Politik, Europa in dieser historischen Phase stark zu machen und dafür braucht es eine handlungsfähige Sozialdemokratie", so Klingbeil. "Es muss gelingen, Verantwortung für das Land zu übernehmen." Das sei zwar ein "schwieriger Spagat", aber "in der Geschlossenheit, die wir in den letzten Jahren hatten" zu schaffen.
Mitgliederentscheid als Druckmittel
Ein Appell, der nicht von ungefähr kommt. Zermürbende Streitereien zwischen dem linken und dem eher pragmatisch-konservativen Flügel waren in der SPD über Jahrzehnte normal. Die Liste der gestürzten und entnervt zurückgetretenen Parteivorsitzenden ist lang. Erst mit Esken, Klingbeil und Scholz an der Spitze gelang es, die Reihen zu schließen.
Seit der Bundestagswahl sind die innerparteilichen Debatten zwischen den Flügeln wieder lauter geworden. Die Linken warnen davor, in Koalitionsverhandlungen zu viele Zugeständnisse zu machen. Da am Ende die SPD-Mitglieder darüber abstimmen sollen, ob es zu einem Regierungsbündnis kommt oder nicht, sind solche Warnungen durchaus ernst zu nehmen.
Was trennt Union und SPD?
Inhaltliche Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD gibt es reichlich. Ganz oben auf der Liste steht die Frage, wo die Milliardensummen für die Bundeswehr und die Sanierung der maroden Infrastruktur herkommen sollen. Für die SPD ganz wichtig: Es soll nicht auf Kosten von Sozialausgaben gespart werden.
Das Druckpotenzial gegenüber der Union ist groß, denn die braucht die SPD für eine Regierung. Rein rechnerisch würde es zwar für ein Bündnis von CDU/CSU und AfD reichen, doch das hat die Union ausgeschlossen.
Daher kann die neunköpfige SPD-Delegation viel fordern und den politischen Preis für ein Bündnis hochtreiben. Das wird sie auch aus Selbstschutz tun. Würde ein Koalitionsvertrag am Votum der Mitglieder scheitern, wären Klingbeil & Co. ganz sicher schnell Geschichte.