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RechtsstaatlichkeitBrasilien

Bolsonaro-Prozess: Wie stark ist Brasiliens Demokratie?

8. April 2025

Kommt Bolsonaro ins Gefängnis? Der Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsident gilt als historisch. Unklar ist, ob er die Demokratie stärkt oder die Polarisierung weiter anheizt. Warum sich ein Blick auf Brasilien lohnt.

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Bolsonaro äußert sich nach Anklageerhebung vor dem Obersten Gerichtshof. Hinter ihm stehen viele Menschen
Auf der Anklagebank: Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro sieht sich als Opfer der brasilianischen Justiz Bild: Lula Marques/Agência Brasil

Wer geht aus dem Kampf um die Deutungshoheit als Sieger hervor und profiliert sich als Verteidiger der Demokratie? Die Anhänger von Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro, der sich vor dem Verfassungsgericht (STF) wegen eines Putschversuches verantworten muss? Oder die brasilianische Justiz?

Auch in anderen Ländern wird zurzeit über die Zukunft von Politikern vor Gericht entschieden und gestritten. In Frankreich protestieren Anhänger der wegen Korruption verurteilten französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen gegen ein aus ihrer Sicht "politisches Urteil".

Ein Foto des amtsenthobenen Präsidenten Yoon in Ketten und mit Teufelshörnern hängt an einem Gitter
Putschversuch in Südkorea: Nach der überraschenden Verhängung des Kriegsrechtes enthoben Parlament und Verfassungsgericht den Präsidenten Yoon Suk Yeol seines AmtesBild: Philip Fong/AFP/Getty Images

In Südkorea sehen viele Menschen den jüngst vom koreanischen Verfassungsgericht abgesetzten Präsidenten Yoon Suk Yeol als einen "Märtyrer der Demokratie". Yoon hatte im Dezember 2024  überraschend das Kriegsrecht verhängt, um das Land vor "pro-nordkoreanischen staatsfeindlichen Kräften zu schützen".

Polarisierte Justiz?

Für den brasilianischen Politologen Carlos Pereira von der Universität Fundação Getulio Vargas (FGV) ist die Kritik an der angeblich parteiischen Justiz ein Zeichen für ihre Stärke. "Wer auf der Verliererseite steht, wirft der Justiz immer vor, parteiisch und ungerecht zu sein", erklärt er im DW-Interview.

Als Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva 2018 wegen Korruption verurteilt und verhaftet wurde, habe die linke Anhängerschaft von Lula genauso argumentiert. Dies ließe sich nun auch in Frankreich, Deutschland oder in den USA beobachten.

Carlos Pereira im Interview mit der DW
Optimistisch: Politologe Carlos Pereira von der Universität Fundação Getulio Vargas im DW-GesprächBild: A. Prange/DW

Pereira ist einer der Autoren des kürzlich erschienen Buches "Warum ist die brasilianische Demokratie nicht gestorben?". Sein Fazit: "Die Justiz wird aufgrund der Wahrnehmung von Personen, die gerade auf der Verliererseite stehen, nicht schwächer."

Generäle auf der Anklagebank

Der Prozess gegen Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro ist schon jetzt historisch. Denn zum ersten Mal seit dem Ende der Militärdiktatur (1964-1985) stehen in Brasilien hochrangige Militärs vor einem zivilen Gericht. Neben Bolsonaro sind insgesamt 33 weitere Personen angeklagt, darunter ehemalige Minister und Generäle.

Die Anklage lautet gemäß STF: "Gewaltsame Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates, versuchter Staatsstreich am 8. Januar 2023, Beschädigung von Denkmalschutz und Mitgliedschaft in einer kriminellen bewaffneten Organisation."

Porträt des brasilianischen Generals und ehemaligen Verteidigungsministers Walter Souza Braga Netto
Zu den Angeklagten vor dem brasilianischen Verfassungsgericht gehört auch General Walter Souza Braga Netto. Der ehemalige Verteidigungsminister Bolsonaros soll an den Putschplänen mitgewirkt habenBild: picture alliance/AP/E. Peres

"Das Verfahren vor dem STF zeigt, wie robust die Institutionen der brasilianischen Demokratie sind", meint Pereira. Die Gründe für diese Wehrhaftigkeit scheinen allerdings paradox.

Ineffizient, aber demokratisch

Denn obwohl das Zusammenspiel von Justiz, Parlament und Regierung in Brasilien, so Pereira, "teuer und ineffizient ist", hindere es auf der anderen Seite Regierungen genau deswegen daran, Pläne schnell umzusetzen. "Weil der Regierung im Kongress immer die Mehrheiten fehlen, kann niemand alleine durchregieren, es muss verhandelt werden, und dies erhält die Demokratie", erklärt er.

Anhänger des Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro stürmen mehrere Regierungsgebäude in Brasilia (Archiv)
Am 8. Januar 2023 stürmten Anhänger des Ex-Präsidenten Bolsonaro in der Hauptstadt Brasilia mehrere RegierungsgebäudeBild: IMAGO/Fotoarena

In Brasilien gab es seit den ersten freien Wahlen nach dem Ende der Militärdiktatur 1989 keinen Präsidenten, der im Kongress über eine stabile Mehrheit verfügte. Ein Zusammenschluss von Legislative und Exekutive gegen die Justiz wie dies zum Beispiel in den USA möglich wäre, wo Richter vom Parlament nominiert werden, sei deshalb in Brasilien nicht vorstellbar, so Pereira.

Immer wieder Impeachment in Brasilien

Der Politologe weist darauf hin, dass in Brasilien bereits zwei Präsidenten ihres Amtes enthoben wurden. Präsident Fernando Collor de Melo wurde 1992 wegen Korruption vom Kongress in einem Impeachment-Verfahren abgesetzt.

2016 traf es die erste Präsidentin des Landes, Dilma Rousseff, die wegen Steuer- und Haushaltsdelikten abgesetzt wurde. Präsident Lula wurde 2018 der Prozess gemacht. Er verbrachte zwei Jahre wegen Korruption im Gefängnis.

Lula schaut angespannt. Neben ihm geht ein Mann im Anzug, vor ihm ein bewaffneter Soldat
Brasiliens Präsident Lula 2018 vor dem Antritt seiner Haft in CuritibaBild: RODOLFO BUHRER/REUTERS

"Dies zeigt, dass die brasilianischen Institutionen stark und unabhängig und in der in der Lage sind, Fehlverhalten zu bestrafen, egal, ob es sich um eine rechte oder linke Regierung handelt", meint Pereira.

Polarisierung wächst weiter

Allerdings: "Dies bedeutet nicht, dass auch die gesellschaftliche Polarisierung abnehmen wird." Wie stark diese Polarisierung ist, zeigte sich bei den jüngsten Demonstrationen am vergangenen Wochenende in São Paulo.

Auf der Kundgebung offenbarte sich das Weltbild von Bolsonaros Anhängerschaft. Teilnehmerin Ana Oliveira zum Beispiel ist davon überzeugt, dass in Brasilien "alle rechten Politiker als Rechtsextreme verfolgt" würden. "Wir leben in einer Diktatur", sagte sie der brasilianischen Zeitung Folha de S. Paulo.

Jair Bolsonaro spricht bei Kundgebung in Sao Paulo
Halten weiterhin zu ihrem Idol: Rund 55.000 Menschen haben am Sonntag (6.4.2025) an einer Solidaritätskundgebung für Bolsonaro (rechts oben auf dem Wagen) in Sao Paulo teilgenommenBild: Miguel Schincariol/AFP

Eine andere Demonstrantin interpretiert die Ereignisse vom 8. Januar 2023 als einen "Rachefeldzug" von Präsident Lula. "Dies alles ist von Lula arrangiert worden, er war wütend auf Bolsonaro."

Bolsonaros Kandidatur unwahrscheinlich

Auch wenn sich alle befragten Personen auf der Demonstration sicher waren, dass Bolsonaro auch 2026 bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren werde, gilt dies unter Experten als so gut wie ausgeschlossen. Denn der Ex-Präsident wurde bereits wegen Machtmissbrauch und Verbreitung von Fakenews vom Obersten Brasilianischen Wahlgericht verurteilt und darf deshalb bis 2030 nicht mehr für ein politisches Amt kandidieren.

Es existiert allerdings unter Experten die Befürchtung, dass die gesellschaftliche Polarisierung in Brasilien, Frankreich, Südkorea und Deutschland allein durch eine wehrhafte Justiz nicht aufzuhalten ist.

Marine Le Pen spricht bei Kundgebung des Rassemblement National
Fühlt sich von einer "politischen Justiz" verfolgt: Die französische Politikerin Marine Le Pen von der Partei "Rassemblement National" Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance

Das Urteil gegen Le Pen sei rechtlich nicht zu beanstanden, erklärt Nobert Lammert, Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im DW-Gespräch. Le Pen habe selbst vor einigen Jahren mit Nachdruck dafür geworben, dass Korruption in der französischen Verwaltung endlich beseitigt und mit einem Verlust der Wählbarkeit auf Lebenszeit geahndet werden sollte.

"Die Frage ist allerdings, ob es klug ist, eine solche Rechtslage zu haben, die den Wählern die Möglichkeit nimmt, ihr eigenes Urteil über Kandidaten zu treffen", sagt Lammert,  "und da bin ich zögerlich. Denn je größer der Kreis der Anhänger einer politischen Person ist, desto größer wird das Risiko, dass diese Menschen sich mitsanktioniert fühlen."