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PolitikPolen

Prozess in Polen: Angeklagt für humanitäre Hilfe

Monika Sieradzka (aus Bialystok)
17. April 2025

Fünf Aktivisten haben Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze im Auto versteckt und ihnen Lebensmittel und Kleidung gegeben. Jetzt stehen sie deswegen vor Gericht. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen.

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Drei Frauen und ein Mann sitzen auf einer grünen Bank hinter einem grünen Tisch, auf dem ein Mikrofon steht
Vier der fünf Angeklagten Flüchtlingshelfer vor dem Gericht in Bialystok am 15.04.2025 (v.l.n.r): Joanna Agnieszka Humka, Mariusz Chyzynski, Kamila Jagoda Mikolajek, Ewa Moroz-KaczynskBild: Monika Sieradzka/DW

Vor dem Gerichtsgebäude im nordpolnischen Bialystok haben sich an diesem Vormittag im April 2025 ungefähr hundert Demonstranten versammelt. Sie wollen ihre Solidarität mit den fünf Flüchtlingshelfern ausdrücken, gegen die an diesem Tag verhandelt wird. Vier von ihnen sitzen auf der Anklagebank, eine weitere Person war nicht zur Verhandlung erschienen. 

Auf den Transparenten der Demonstranten ist zu lesen: "Freiheit für die Fünf", "Solidarische Hilfe ist kein Verbrechen", "Mit Paragrafen lässt sich die Wahrheit nicht totschlagen". Eine Gruppe junger Menschen ist mit Trommeln aufgezogen. Andere rufen den Angeklagten ermutigend zu: "Ihr werdet nie allein gehen müssen." Als die Angeklagten vor dem Gericht auftauchen, werden sie von der Menge bejubelt.

 Demonstranten halten Transparenten hoch, auf denen Freisprüche für die Angeklagten gefordert werden. Ein Demonstrant hat sein Gesicht mit einem Tuch verhüllt
Demonstranten vor dem Regionalgericht in Bialystok fordern Freispruch für die angeklagten FlüchtlingshelferBild: Monika Sieradzka/DW

Im März 2022 haben die fünf Aktivistinnen und Aktivisten einer irakischen Familie mit sieben Kindern und einem Mann aus Ägypten, die in Not waren, Wasser, Nahrung und Kleidung gegeben. Die Flüchtlinge hatten zuvor die polnisch-belarussische Grenze illegal überschritten und mehrere Tage im Wald verbracht. Die Helfer wollten sie auch die 13 Kilometer in die nächste Stadt fahren, doch dann wurden sie von einer Grenzschutz-Patrouille gestoppt.

Am Dienstag (15.04.2025) wurden vor Gericht unter anderem Grenzschützer befragt, die bei der Kontrolle der Autos die Flüchtlinge entdeckt hatten. "Plötzlich sah ich, dass sich der Hintersitz bewegte. Unter den dort gestapelten Decken waren Menschen versteckt", berichtete einer von ihnen.

Flüchtlingshelfer vor Gericht

Die Staatsanwaltschaft in der Kreisstadt Hajnowka wollte die Helfer, die inzwischen als "Hajnowka Fünf" (#H5) bekannt sind, sofort inhaftieren. Das Gericht lehnte dies jedoch ab. Nach monatelangen Verhören und Zeugenaussagen wurde Anklage erhoben.

Den Helfern wird vorgeworfen, den Geflüchteten "rechtswidrig den Aufenthalt auf dem Territorium der Republik Polen erleichtert zu haben", indem sie sie "während ihres Aufenthalts im Wald mit Lebensmitteln und Kleidung versorgt, ihnen Unterkunft und Ruhe geboten und sie am 22. März 2022 ins Landesinnere transportiert haben".

Die Krise an der polnisch-belarussischen Grenze

Eine der Angeklagten ist Ewa Moroz-Keczynska, Ethnologin und Leiterin der Bildungsabteilung im Nationalpark von Bialowieza nahe der Grenze. "Wir Einheimische sind viel im Wald, es ist unser Arbeits- oder Erholungsort. Im Jahr 2021 geschah dort etwas Schreckliches. Unser Wald begann sich zu bewegen, wegen der Menschen, die dort auf einmal waren. Wir trafen auf Menschen, die an Hunger, Durst oder Schmerzen litten, oder sogar irgendwo im Versteck im Sterben lagen." Mit diesem Bewusstsein sei es schwierig, weiter ein normales Leben zu führen, sagt Moroz-Keczynska der DW.

Eine Frau mit runder Brille und roten Haaren lächelt in die Kamera
Ewa Moroz-Keczynska bedauert es nicht, den Flüchtlingen in der Not geholfen zu habenBild: Monika Sieradzka/DW

"Ich bin mit Rucksack in den Wald gegangen und habe den Menschen geholfen. Es ist nicht so, dass man so etwas wirklich tun möchte. Für solche Sachen müsste es eigentlich Institutionen und Organisationen geben", fügt sie hinzu. "Es wird auf dem Rücken von meist jungen Aktivisten ausgetragen, die extra dafür hierher umziehen und dann unter einem Trauma leiden", sagt sie. „Und ich als Einheimische hatte keine Wahl. Ich musste das tun, was ich selbst meinen Schülern und meinen eigenen Kindern beigebracht habe."

Im Herbst 2021 war die Anzahl versuchter Grenzübertritte an der 418 Kilometer langen polnisch-belarussischen Grenze in rasantem Tempo gestiegen. Menschen aus dem Nahen Osten, Asien und Afrika kamen mit Touristenvisa nach Belarus und wurden - oft durch belarussische Soldaten - direkt an die polnische Grenze gebracht. Inzwischen ist das eine wichtige, aber gefährliche Fluchtroute nach Europa.

Ein Prozess der Schande

Die Juristin Hanna Machinska von der Helsinki-Foundation for Human Rights, die neben vielen anderen Rechtsexperten und Menschenrechtlern die Gerichtsverhandlung beobachtete, sprach von einem "Prozess der Schande" und von einer Belästigung der Helfer.

Laut Machinska sollte man die Flüchtlingshelfer eher als Unterstützung für staatliche Institutionen wie etwa den Grenzschutz einsetzen, anstatt sie für ihre Hilfsleistungen zu bestrafen. "Die Helfer haben Erfahrung, sie wissen, wie man Menschen helfen soll. Wenn es sie nicht gäbe, hätte es in der Grenzregion vielmehr als die bislang festgestellten 58 Todesfälle gegeben", sagt sie der DW.

Eine Gruppe von Frauen und Männern sitzen auf dem Boden in einem Wald. Im Bildhintergrund ist ein metallener Grenzzaun zu sehen, hinter dem Menschen stehen
Flüchtlingshelfer an der Grenze zwischen Polen und Belarus versuchen einer Gruppe von Flüchtlingen zu helfen, die auf der anderen Seite des Grenzzauns festsitztBild: Agnieszka Sadowska/AP/picture alliance

Außerdem hält sie die Anklage für eine absurde Verzerrung der Rechtsvorschriften. Der entsprechende Paragraf des Gesetzbuches (264.1), auf dem die Anklage basiert, richtet sich gegen diejenigen, die den Aufenthalt in Polen für "einen finanziellen oder persönlichen Vorteil" erleichtern. Dafür droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

Diese Vorschrift richtet sich in erster Linie gegen Menschenschmuggler. Die Staatsanwaltschaft dreht den Wortlaut des Gesetzes aber um und spricht von einem "Vorteil für die Geflüchteten".

Machinska weist dies zurück. "Hier haben wir es doch nicht mit Menschenhandel zu tun. Wir sprechen über humanitäre Hilfe. Es ist eher die Verweigerung humanitärer Hilfe, die ein Verstoß gegen das Recht ist."

Die harte Migrationspolitik einer liberalen Regierung

Der nächste Gerichtstermin wurde für den 14. Mai festgesetzt, genau vier Tage vor der Präsidentschaftswahl in Polen, bei der zwei Kandidaten aus dem rechten und rechtsextremen Lager antreten. Mit dem Prozess rückt die restriktive Migrationspolitik der Regierung von Donald Tusk wieder in den Fokus. Viele Menschen, die seine Koalition gewählt haben, sind tief enttäuscht, dass deren Maßnahmen sogar härter sind als die der national-konservativen Vorgängerregierung der rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Porträtaufnahme eines Mannes (Donald Tusk) mit einer Anstecknadel in Form eines weiß-roten Herzens am Revers
Der polnische Regierungschef Donald Tusk bei einer Pressekonferenz im Februar 2025Bild: SERGEI GAPON/AFP/Getty Images

Zum Beispiel hat Polen Anfang März 2025 das Asylrecht an der polnisch-belarussischen Grenze ausgesetzt, weil Tusk die Migranten als Instrument einer hybriden Kriegsführung durch Russland und Belarus sieht. Dem polnischen Grenzschutz wurde mehrmals vorgeworfen, Menschen abzuweisen, ohne dass sie einen Antrag auf internationalen Schutz stellen durften. Menschenrechtler sehen die Aussetzung des Asylrechts als eine Legalisierung dieser Push-Back-Praxis.

Anti-Migrationsstimmungen in Polen

Für Aufregung sorgt auch die Tatsache, dass Justizminister Adam Bodnar, der auch Generalstaatsanwalt ist, trotz vieler Appelle die Ermittlungen gegen die Flüchtlingshelfer nicht einstellen ließ. Als die Ermittlungen eingeleitet wurden, war noch die migrationsfeindliche PiS an der Macht.

Im jetzigen Präsidentschaftswahlkampf hört man Parolen gegen Migranten in fast allen politischen Lagern. Es trifft auch die dominierende Stimmung in der polnischen Gesellschaft. In einer Umfrage vom Februar 2025 beantworten 75 Prozent der Polinnen und Polen die Frage, ob ihr Land Migranten aufnehmen soll, mit Nein - und nur 20 Prozent mit Ja.

Bei den Anhängern der PiS und der rechtsradikalen Konfederacja äußerten sich über 90 Prozent der Befragten negativ über die Aufnahme von Migranten. Unter den linken und liberalen Wählern betrug die Anzahl der positiven und der negativen Antworten jeweils zwischen 40 und 50 Prozent.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau