Imamoglu vor Gericht: Erdogans Rivale im Fadenkreuz
8. September 2025Seit rund einem Jahr geht die türkische Justiz massiv gegen die größte Oppositionspartei CHP vor. 16 Bürgermeister wurden bisher verhaftet, Hunderte ihrer Angestellten und Parteifunktionäre festgenommen. Auch Ekrem Imamoglu, der ehemalige Oberbürgermeister Istanbuls und aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat der Opposition, sitzt seit März im Hochsicherheitsgefängnis Silivri. Gegen den 54-jährigen Rivalen des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan laufen diverse Prozesse und Ermittlungen, die von angeblicher Beleidigung von Amtsträgern bis hin zu Korruption reichen. Am 11. September wird er wegen Urkundenfälschung vor Gericht stehen. Obwohl der Vorwurf zunächst banal klingt, könnte eine Verurteilung weitreichende Folgen haben. Wer ist Ekrem Imamoglu und warum geriet er ins Visier der Justiz?
Warum ist dieser Prozess so wichtig?
Dieses Mal lautet der Vorwurf auf mehrfache Fälschung offizieller Dokumente, konkret geht es um seinen Universitätsabschluss. Kurz vor seiner Verhaftung annullierte die Universität Istanbul sein Diplom. Bei einer Verurteilung droht ihm eine Haftstrafe von bis zu acht Jahren und neun Monaten. Die gravierendste Folge wäre jedoch der Ausschluss von jeglicher politischen Aktivität, insbesondere von einer Kandidatur bei den nächsten Präsidentschaftswahlen. Gemäß der türkischen Verfassung ist ein Hochschulabschluss eine zwingende Voraussetzung für das Amt des Staatsoberhaupts.
Imamoglu und seine Partei CHP bezeichnen die Entscheidung der Universitätsverwaltung und die Anklage als politisch motiviert. Der bisherige Verlauf des Falles untermauert diesen Verdacht, denn die Debatte um Imamoglus Diplom begann kurz nach seiner erfolgreichen Wahl zum Istanbuler Oberbürgermeister 2019.
Nachdem Imamoglu das Rathaus übernommen hatte, kam ans Licht, dass die AKP die Stadt als Finanzierungsquelle für ihre ideologischen Ziele genutzt hatte. Über Jahre flossen Gelder in regierungsnahe Medienunternehmen, islamistische Organisationen und Bruderschaften.
Kritiker sehen das Gerichtsverfahren gegen Imamoglu als einen Racheakt der Regierung. Seit Jahren verbreitet Imamoglus Partei Zweifel an Erdogans eigenem Diplom. Seiner Biografie zufolge schloss Erdogan 1981 ein Studium an der Marmara-Universität ab, die offiziell jedoch erst 1982 gegründet wurde.
Weitere Prozesse und Ermittlungen
Seit seinem Amtsantritt geriet der populäre Politiker Imamoglu immer wieder ins Visier der türkischen Justiz, die in den letzten Jahren zunehmend als politisiert gilt. Gegen ihn wurden mehrere Ermittlungen und Gerichtsverfahren eingeleitet, in einigen Fällen wurde er bereits verurteilt.
Seit März sitzt er im Gefängnis. Offiziell wird ihm Korruption und Einmischung in Ausschreibungsverfahren der Istanbuler Stadtverwaltung vorgeworfen. Auch Terrorunterstützung wird ihm zur Last gelegt. Dabei ging es um die Kooperation seiner Partei CHP mit der pro-kurdischen Partei DEM bei den letzten Kommunalwahlen. Beide Oppositionsparteien hatten sich in einigen Gemeinden Istanbuls mit einem hohen Anteil kurdischer Bevölkerung auf gemeinsame Kandidaten geeinigt und die Kandidaten der Regierungspartei besiegt. Obwohl die türkische Regierung mit der PKK und der DEM einen Friedensprozess im Kurdenkonflikt führt, wird eine auch entfernte Verbindung zur pro-kurdischen Partei DEM von der Justiz als "Terrorunterstützung" ausgelegt.
In einem weiteren Verfahren ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Vorwurfs, öffentliche Gelder bei Kulturveranstaltungen veruntreut zu haben. Mit diesem Vorwurf ist Imamoglu nicht allein; die AKP-Regierung wirft auch anderen Bürgermeistern der Opposition vor, bei Festivals und Konzerten verschwenderisch mit öffentlichen Geldern umzugehen. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die Regierungspartei selbst in vielen Städten Großveranstaltungen organisiert, ohne dass deswegen ermittelt wird.
Wer ist Ekrem Imamoglu?
Imamoglu wurde am 4. Juni 1970 in Akcaabat, westlich von Trabzon an der Schwarzmeerküste, geboren. Er stammt aus bescheidenen Verhältnissen. Seine Familie betrieb ein Geschäft für Handwerksbedarf und zog 1987 nach Istanbul, wo sie ein Bauunternehmen gründete. Wie Erdogan spielte auch Imamoglu leidenschaftlich Fußball und besuchte eine Koranschule. Eigenen Angaben zufolge begann er sein Studium an der Amerikanischen Universität in Nordzypern, wechselte später an die Universität Istanbul, wo er 1994 einen Bachelor in Betriebswirtschaft und einen Master in Personalwesen abschloss.
2008 trat er der Republikanischen Volkspartei CHP bei. Mit ihrer Mischung aus sozialdemokratischer und nationalistischer Programmatik wurde sie zur Hauptoppositionspartei gegen die regierende AKP. Ihre politische Basis findet die CHP vor allem bei der urbanen, säkularen Mittelschicht.
Imamoglus politische Karriere begann im Istanbuler Stadtteil Beylikdüzü, einer AKP-Hochburg, wo er 2014 als Kandidat der CHP siegte. Vier Jahre später trat er für das Oberbürgermeisteramt von Istanbul an. Gegen Erdogans rechte Hand, den ehemaligen Premierminister Binali Yildirim, gelang ihm ein Überraschungssieg. Nach der Annullierung der Wahlen konnte er sich im erneuten Rennen mit deutlichem Abstand durchsetzen. Sein Erdrutschsieg beendete die 25-jährige Herrschaft der AKP in der Bosporus-Metropole.
Nach seinem Amtsantritt stoppte Imamoglu Zahlungen in Höhe von 55 Millionen Euro an AKP-nahe Stiftungen und strich städtische Zahlungen an regierungsnahe Medien. Die Regierung blockierte daraufhin seine Projekte und genehmigte der Stadtverwaltung keine Kredite für ihre Vorhaben.
Bei den Kommunalwahlen 2024 trat Imamoglu erneut als Kandidat der Opposition in Istanbul an und konnte sich ein weiteres Mal durchsetzen. Er gilt als volksnah und redegewandt und spricht unterschiedliche Gesellschaftsgruppen an. Seine Rhetorik ist konstruktiv: Er wolle nicht spalten, sondern alle einbinden. Mit seinem Slogan "Alles wird schön" mobilisierte er Millionen. Durch seine Popularität gelang es ihm, seine Partei zu Reformen zu drängen.
Mit der jetzigen Parteiführung vom Reformflügel schlug er einen erfolgreichen Kurs ein. Gegen diese läuft allerdings auch ein Verfahren. Der gesamten Parteispitze droht die Amtsenthebung. Die nächste Anhörung ist am 15. September. Sollte der jetzige Vorstand entfernt und Zwangsverwalter an die Spitze der CHP gesetzt werden, könnte Imamoglu ins Vergessen geraten.