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PolitikPolen

Polens neuer Präsident: Senkrechtstarter Karol Nawrocki

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
8. August 2025

Der neue polnische Präsident hat schnell deutlich gemacht, wie seine politische Agenda aussieht: Er will der Regierung Donald Tusk das Leben schwer machen und der PiS wieder an die Macht verhelfen.

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Ein Mann in einem dunklen Anzug mit roter Krawatte spricht an einem Rednerpult und gestikuliert dabei mit beiden Händen
In seiner Antrittsrede als frisch vereidigter Präsident zeigte sich Nawrocki am 6.08.2025 kämpferischBild: Czarek Sokolowski/AP Photo/picture alliance

Karol Nawrocki hat einen blitzschnellen, steilen Aufstieg geschafft. Als der Historiker aus Danzig im vergangenen November von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) zum Kandidaten für das Präsidentenamt ausgerufen wurde, waren sogar die rechtskonservativen Wähler verblüfft. "Wer ist Nawrocki?", fragten die Medien. Bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als Kandidat las er seine Rede noch mit unsicherer Stimme vom Blatt ab.

Neun Monate später ist der 42-jährige Polit-Neuling das neue Staatsoberhaupt Polens. Bei der Stichwahl am 1. Juni 2025 bekam er 10,6 Millionen Stimmen - ein Rekordergebnis. Nach der Vereidigung am Mittwoch (6.08.2025) sprach Nawrocki vor der Nationalversammlung in Warschau frei, selbstsicher und rhetorisch perfekt. Laut Medien könnte der junge, dynamische Präsident in Zukunft zum Anführer des ganzen rechten Lagers aufsteigen und dem 76-jährigen PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski seine Führungsrolle streitig machen.

Trump als Vorbild: Polen zuerst

Mit dem Spruch "Polen zuerst" kopiert Nawrocki sein politisches Vorbild, US-Präsident Donald Trump. Wie der präsentiert er sich als "Stimme der Nation" und will die einfachen Menschen gegen die bösen Eliten, vor allem die liberalkonservative Regierung von Donald Tusk, schützen. "Ich lebe wie ihr, ich bin einer von euch", wiederholte er auf den Wahlkundgebungen immer wieder und wandte sich vor allem an die Menschen auf dem Land und in den Kleinstädten.

Ein Mann (Nawrocki) inmitten von Menschen, die ihn mit ihren Handys fotografieren. Hinter ihm ist ein Bodyguard mit kahlem Kopf und Ohrhörer zu sehen
Nawrocki gab sich im Wahlkampf volksnah - und konnte damit offenbar punktenBild: Beata Zawrzel/Anadolu/picture alliance

Als volksnaher Selfmademan punktete Nawrocki vor allem bei Menschen, die vom rasanten Boom in den letzten Jahrzehnten nicht oder nicht genug profitiert haben. Denn er stammt aus kleinen Verhältnissen. Er wuchs in einer armen Arbeitersiedlung in Danzig auf, studierte nach dem Abitur Geschichte und jobbte unter anderem als Türsteher, um sich sein Studium zu finanzieren. Er trainierte in einem Boxclub und erzielte als Juniorboxer einige Erfolge.

Harter "Rocky" aus Danziger Arbeitersiedlung

Im Wahlkampf präsentierte sich Nawrocki als harter Kerl, machte öffentlich Krafttraining und lief in einem T-Shirt mit der Aufschrift "Neuer Rocky" herum - in Anspielung an den Filmhelden Rocky, gespielt von Silvester Stallone, einen Boxer aus bescheidenen Verhältnissen, der seine Gegner bezwingt und Karriere macht. Dazu passt, dass er sich zur Teilnahme an gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Hooligans konkurrierender Fußballvereine bekannte. 

Nach dem Studium arbeitete der Historiker am Institut des Nationalen Gedenkens (IPN), dessen Aufgaben mit der deutschen Stasi-Unterlagenbehörde vergleichbar sind. Seine Doktorarbeit widmete er der antikommunistischen Opposition im Nordosten Polens.

Der parteilose Wissenschaftler machte keinen Hehl aus seinen rechtskonservativen bis nationalistischen Ansichten. Wahrscheinlich deshalb bekam er 2017 von der PiS das Angebot, das Museum des Zweiten Weltkrieges in Danzig auf Parteilinie zu bringen. Die Rechtskonservativen von Kaczynski, die 2015 an die Macht gekommen waren, kritisierten die Ausstellung, die das Leid der Zivilbevölkerung in allen Staaten Europas in den Vordergrund stellte.

Historiker mit Sonderaufgaben

Nawrocki erfüllte den Auftrag: Er entließ ungehorsame Mitarbeiter und verschob die Akzente im Ausstellungskonzept zugunsten des polnischen Heldentums. Nach dieser bestandenen Bewährungsprobe kam vier Jahre später ein neuer Schritt auf der Karriereleiter: Nawrocki wurde zum Direktor des IPN gewählt und verwandelte die wissenschaftliche Einrichtung in ein Instrument der Geschichtspolitik der rechts-konservativen Regierung. 

Menschen mit polnischen Fahnen stehen dicht gedrängt auf einem Platz. Auf zwei überdimensionierten Fahnen, die geschwenkt werden, sind Jesus-Darstellungen zu sehen
Mit einem "Marsch für Polen" warben Nawrocki-Anhänger im Wahlkampf für den rechtskonservativen HistorikerBild: Albert Zawada/PAP/dpa/picture alliance

Im Wahlkampf holte Nawrocki dann seine zwielichtige Vergangenheit ein. Journalisten fanden heraus, dass er eine kommunale Wohnung von einem alten, alkoholkranken Mann erschlichen hatte. Er soll Kontakte zu Personen aus der Danziger Unterwelt und der Neonazi-Szene gepflegt haben. Als Türsteher in einem noblen Hotel im Ostseekurort Sopot soll er mit dem Rotlichtmilieu zusammengearbeitet haben. 

Nawrocki stritt alle Anschuldigungen ab und klagte gegen die Medien. Die Vorwürfe haben ihm allerdings nicht geschadet. Bis jetzt gibt es keine Urteile. Zivilprozesse können in Polen lange dauern.

Nawrocki setzt auf Konfrontation

Wie andere Rechtspopulisten in Europa griff Nawrocki im Wahlkampf auf euroskeptische und nationalistische Parolen zurück. Er lehnt vehement den Green Deal und den EU-Migrationspakt sowie den Euro ab und ist strikt gegen eine Ausweitung der EU-Kompetenzen. Im Wahlkampf kündigte er die Fortsetzung der Bemühungen um Kriegsreparationen aus Deutschland an.

Eine Mann (rechts) und eine Frau (links neben ihm) werfen Stimmzettel in eine nicht sichtbare Wahlurne und lächeln dabei in die Kamera. Im Bildhintergrund sind unscharf Menschen zu sehen, die die Szene beobachten und Fotos machen
Nawrocki mit Ehefrau Marta bei der Stimmabgabe am 1.06.2025 in WarschauBild: Czarek Sokolowski/AP/picture alliance

Der Vater von zwei Kindern, dessen Frau, eine Steuerfahndungsbeamtin, ihren ältesten Sohn als drittes Kind mit in die Ehe brachte, will ein "normales Polen". Dazu passen weder Homo-Ehe oder Sexualkundeunterricht an den Schulen noch die Liberalisierung des Abtreibungsrechts.

Die Medien verweisen auf den konfrontativen Charakter der Antrittsrede des neuen Präsidenten und sagen einen baldigen Zusammenstoß mit der Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk voraus. "Nawrocki hat schnell aufgehört, die Rolle des gutmütigen Vaters der Nation zu spielen", kommentierte der Chefredakteur der Zeitung Rzeczpospolita, Boguslaw Chrabota, am Tag nach der Vereidigung des neuen Staatsoberhaupts.

Als einen "rechtsextremen Radikalen" bezeichnet die linksliberale Wochenzeitschrift Polityka den neuen Präsidenten. Der Politologe und Historiker Antoni Dudek nannte Nawrocki bereits nach seiner Nominierung im November "einen der gefährlichsten Menschen" in der polnischen Politik. Nawrocki erinnere ihn an eine "Planierraupe", die alle Hindernisse aus dem Weg räumt. Dudek weiß, wovon er redet: Als Mitglied des IPN-Rates hat er Nawrocki jahrelang beobachten können.

Porträt eines Mannes mit grauem Haar vor einem Regal mit Büchern
Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.