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UN-Plastikgipfel: Mehr Plastikproduktion trotz mehr Müll?

8. August 2025

Jedes Jahr wird so viel Kunststoff produziert, dass es unmöglich ist, diese Menge zu verwalten oder zu recyceln. Das schadet dem Klima, der Umwelt und unserer Gesundheit. Aber warum gibt es so viel neues Plastik?

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Ein Mann steht vor einem gigantischen Berg aus PET-Flaschen und schüttet weitere Flaschen aus einem Sack
Nur neun Prozent unseres Plastiks werden recycelt, das meiste lässt sich gar nicht wiederverwertenBild: FRED DUFOUR/AFP

Fest steht: Ohne einige Plastikprodukte, etwa im medizinischen Bereich, kommen wir einfach nicht aus. Fest steht aber auch: Es wird jede Menge Einwegplastik produziert. Und das führt nicht nur zu sichtbarem Plastikmüll allerorts sondern hat auch enorme und langfristige Auswirkungen auf das Klima und unsere Ökosysteme.

Etwa 99 Prozent aller produzierten Kunststoffe werden aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Sie sind bekanntermaßen für die Erderwärmung verantwortlich. Und während die Welt bei der Stromproduktion allmählich auf saubere Energien umstellt, verlängert die Öl- und Gasindustrie ihr Geschäftsmodell durch die Produktion von Plastik.

Bei der Raffinierung und Verarbeitung von fossilen Brennstoffen zu Kunststoffprodukten wie Verpackungen, Textilien, Elektronik und Baumaterialien werden Milliarden Tonnen Treibhausgase freigesetzt. Im Jahr 2019 machte die Plastikproduktion mehr als fünf Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen aus.

Luftbild einer petrochemischen Gazprom-Anlage in der Republik Baschkortostan
Die Plastikproduktion verlängert das Geschäftsmodell der Öl- und GasindustrieBild: Evgeny Romanov/Pond5 Images/IMAGO

Plastikproduktion: Verdopplung bis Verdreifachung bis 2050

Trotzdem hat die Produktion von neuem Plastik in den letzten zwei Jahrzehnten rapide zugenommen. Laut Prognosen wird sie sich bis 2050 voraussichtlich verdoppeln oder sogar verdreifachen – und damit auch die mit ihr verbundenen weltweiten Treibhausgasemissionen.

Eine Verdreifachung der Plastikproduktion würde etwa ein Viertel des verbleibenden CO2-Budgets verbrauchen, das der Welt noch zur Verfügung steht - und bei dessen Überschreitung laut Wissenschaft eine unkontrollierbare Erderhitzung droht. Dennoch gibt es laut Expertinnen und Experten kaum Anzeichen für eine Trendwende bei der Plastikproduktion.

Es sei "absolut richtig", dass die Kunststoffproduktion rapide zunehme, sagt Ambrogio Miserocchi von der Ellen MacArthur Foundation, einer britischen Wohltätigkeitsorganisation, die sich für die Förderung der Kreislaufwirtschaft einsetzt. "Wenn man sich die geplanten Investitionen ansieht, wenn man sich die Kapazitäten ansieht, die installiert werden, wächst sie tatsächlich sehr schnell."

Und das trotz der Tatsache, dass in immer mehr Ländern Einschränkungen für Produkte aus Einwegplastik gelten und mindestens 140 Nationen Verbote oder Beschränkungen für bestimmte Arten von Kunststoffprodukten eingeführt haben.

Europa produziert weniger Plastik, kauft aber es anderswo 

"Der einzige Ort, an dem die Kapazitäten leicht zurückgehen, ist die Europäische Union", berichtet Joan Marc Simon, Gründer von Zero Waste Europe, einem Netzwerk, das sich für die Reduzierung von Kunststoffabfällen einsetzt. "Der Rest der Welt verzeichnet einen Anstieg."

Was Europa angeht, hätten vor allem die hohe Produktionskosten dazu geführt, dass Hersteller entweder außerhalb des Kontinents produzierten oder Kunststoff aus anderen Ländern importierten, fügt Simon hinzu.

"Wir wissen mit Sicherheit, dass alle großen Hersteller ihre Kapazitäten ausbauen: die USA, China, Südafrika, Brasilien, Iran und Saudi-Arabien", so Simon. Auch in Ländern wie Malaysia, Vietnam, Thailand und Indonesien werde mehr Neu-Plastik hergestellt – sehr oft von chinesischen Unternehmen. China ist der weltweit größte Kunststoffhersteller und produziert etwa ein Drittel des weltweiten Neu-Plastiks.

Plastik-Recycling ist nicht die Lösung

Klima- und Umweltorganisationen weisen seit langem drauf hin: Das einzige Mittel, um der weltweiten Plastikflut Einhalt zu gebieten, ist eine Drosselung der Produktion von neuem Plastik. Doch stattdessen geht es in der öffentlichen Debatte und in internationalen Verhandlungen immer wieder darum, den Plastikmüll durch Recycling oder Maßnahmen wie Gewässer- und Strandreinigungen zu bekämpfen.

Dabei werden gerade einmal neun Prozent aller Kunststoffe recycelt, viele Plastikarten lassen sich gar nicht in neue Produkte umwandeln – sie sind nicht recycelbar. So landet der Großteil des weltweiten Plastikmülls auf Deponien oder wird verbrannt.

Vieles davon gelangt in Form von Mikroplastik in die Umwelt, selbst in die entlegensten Teilen der Erde. Mikroplastik ist in der Luft, die wir atmen, im Wasser, das wir trinken – kein Wunder also, dass es mittlerweile auch in unseren Körpern gefunden wurde.

Kleine Plastikstückchen auf Fingern als Symbol für Umweltverschmutzung
Mikroplastik ist noch viel kleiner als diese Plastikstückchen - es wurde bereits in menschlichem Blut, in der Plazenta und im Gehirn gefundenBild: deeangelo/Depositphotos/IMAGO

Lässt sich die Kunststoffproduktion überhaupt regulieren?

Die Reduzierung der Plastikproduktion war der Hauptstreitpunkt beim Plastikgipfel der Vereinten Nationen (UN) im vergangenen Dezember in Südkorea. Und das wird sie wahrscheinlich auch bei den wieder aufgenommenen, aktuell laufenden UN-Verhandlungen in Genf sein.

Eine Begrenzung werfe viele Fragen auf, etwa ob keine neuen Anlagen mehr in Betrieb genommen werden dürfen, sagt Giulia Carlini, leitende Anwältin für Umweltgesundheit am Center for International Environmental Law (CIEL). Die größte Hürde bestehe jedoch darin, überhaupt einen Konsens über eine Reduzierung zu erzielen. "Was wirklich fehlt, ist eine Einigung darüber, wie das umgesetzt werden soll." Ein großes Hindernis sei der starke Einfluss, den mächtige Unternehmensakteure bei internationalen Verhandlungen aufgebaut hätten, so Carlini.

Menschen gehen am  01.12.2024 im südkoreanischen Busan unter einer elektronischen Anzeigetafel entlang, die zur Verringerung der Plastikproduktion aufruft
Die Reduzierung der Kunststoffproduktion war ein zentraler Streitpunkt bei den UN-Verhandlungen in Busan im vergangenen JahrBild: Ahn Young-joon/AP/dpa/picture alliance

Zwar unterstützten im vergangenen Jahr mehr als 100 Nationen eine Begrenzung der Plastiproduktion, doch eine Handvoll Länder – darunter Russland, Saudi-Arabien, Iran und China – blockierten die Maßnahme, berichtet Christina Dixon, Leiterin der Meereskampagne bei der britischen Wohltätigkeitsorganisation Environmental Investigations Agency. "Diese sehr kleine Gruppe von Ländern, bei denen es sich aus meiner Sicht überwiegend um Ölstaaten handelt, sagt einfach: 'Nein, das ist eine rote Linie'."

Laut einer Analyse von CIEL stellten Lobbyisten der fossilen Brennstoff- und Chemieindustrie die größte Delegation beim UN-Plastikgipfel in Südkorea – größer als die der gesamten EU und ihrer Mitgliedstaaten. Einige Unternehmenslobbyisten seien sogar als Teil der nationalen Delegationen registriert gewesen, berichtet Anwältin Carlini – und damit quasi "auf Regierungsebene verankert."

Weniger Nachfrage nach Plastik könnte die Produktion drosseln

Doch die Begrenzung des Angebots ist nicht die einzige Möglichkeit, die Kunststoffproduktion zu senken – auch die Senkung der Nachfrage ist wichtig. Es würde viel ausmachen, wenn die Länder, die Plastik importieren, "entweder Kunststoffprodukte gar nicht erst annehmen oder ihre Abnahmemengen reduzieren würden", sagt Carlini.

So könnten beispielsweise die Nicht-Produzenten-Staaten ein Abkommen schließen, insbesondere Länder in Afrika oder Asien, die am stärksten von der Plastikverschmutzung betroffen sind, schlägt Joan Marc Simon von Zero Waste Europe vor. Ihre Entscheidung, die Verwendung von Plastik einzuschränken, "könnte einen erheblichen Einfluss auf die Produktion haben, da es die Nachfrage senken würde."

Simbabwe: Plastikmüll überschwemmt die Victoriafälle

Laut Ambrogio Miserocchi von der Ellen MacArthur Foundation könnten Schritte zur Senkung der Plastikproduktion auch außerhalb des UN-Rahmens möglich sein. So gebe es eine globale Verpflichtung zur Reduzierung des Kunststoffverbrauchs, die durch die Gründung von über 1000 Organisationen ermöglicht worden sei. Diese behaupten, seit 2018 insgesamt 9,6 Millionen Tonnen Neuplastik vermieden zu haben.

Nicht nur NGOs, auch einige Unternehmen fordern laut Miserocchi eine Reduzierung der Kunststoffproduktion. Ein Beispiel dafür sei die Business Coalition for a Global Plastics Treaty, eine Vereinigung, der Unternehmen aus der gesamten Kunststofflieferkette angehören. 

Neues Produktdesign statt Plastik-Ersatz

Obwohl konkrete Vorschläge gemacht wurden – so schlagen beispielsweise Ruanda und Peru vor, die weltweite Plastikproduktion bis 2040 um 40 Prozent zu reduzieren –,  ist es laut Miserocchi schwierig, eine konkrete Zahl festzulegen, unter anderem, weil es an transparenten Daten zur Kunststoffproduktion mangelt.  

Eine Reduzierung der Neuproduktion sei zwar wichtig ist, reiche aber alleine nicht aus, betont Miserocchi. Es brauche ein größeres Umdenken, das zu einer Veränderungen der bisherigen Geschäftsmodelle und des Produktdesigns führen müsse. "Wir müssen die Art und Weise ändern, wie wir Produkte verwenden." Andernfalls drohe die Gefahr, dass Plastik lediglich durch andere Materialien ersetzt werde. 

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

Holly Young Holly Young ist Klimareporterin bei der DW Umweltredaktion in Berlin.@holly_young88