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PolitikGeorgien

Parlament ohne Opposition: Wohin steuert Georgien?

Bashir Kitachayev
6. März 2025

Seit Monaten gibt es Demonstrationen gegen Wahlbetrug und für einen pro-europäischen Kurs in Georgien. Während die Opposition das Parlament boykottiert, werden umstrittene Gesetze erlassen. Und das hat Folgen.

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Fahnen Georgiens und der Europäischen Union während der Massenproteste in Tiflis
Fahnen Georgiens und der Europäischen Union während der Massenproteste in TiflisBild: Mirian Meladze/Anadolu/picture alliance

Mehr als drei Monate sind seit den Parlamentswahlen in Georgien vergangen. Offizieller Wahlsieger ist die seit 2012 regierende Partei "Georgischer Traum" mit 89 von 150 Parlamentssitzen. Allerdings gab es bei den Wahlen Verstöße, wie einige internationale Organisationen, darunter die OSZE, feststellten.

Die Oppositionsparteien erkennen das Wahlergebnis daher nicht an, sie sprechen von Betrug und boykottieren das neue Parlament. 49 Abgeordnete verloren ihre Mandate, die sie selbst abgelehnt hatten.

Was soll der Boykott bezwecken?

Das Wahlergebnis wollen auch viele Menschen in Georgien nicht akzeptieren und gehen auf die Straßen. Unterstützt werden sie dabei von den Anführern der Opposition, die sich an den Demonstrationen beteiligen. Die waren ausgebrochen, nachdem Premierminister Irakli Kobachidse im November 2024 angekündigt hatte, er werde die europäische Integration Georgiens bis 2028 aussetzen. Die Opposition verlangt Neuwahlen, die Fortsetzung der europäischen Integration, aber auch die Freilassung inhaftierter Demonstranten.

Blick auf das Parlamentsgebäude in Tiflis
Parlamentsgebäude in TiflisBild: IMAGO/Pond5

"Das strategische Ziel des Boykotts ist es, der Regierung ihre Legitimation abzusprechen. Wenn sie die Wahlen manipuliert hat, dann darf sie keine Staatsmacht ausüben. Das meint auch die überwältigende Mehrheit des georgischen Volkes, und das sieht man auf den Straßen, wo seit Monaten Massen protestieren", sagt Elene Choschtaria, Vorsitzende der Partei "Droa", aus der "Koalition für den Wandel". Sie ist überzeugt, dass die Regierung keine Unterstützung beim Volk genießt.

Auch Petre Ziskarischwili, Generalsekretär der Partei "Vereinte Nationale Bewegung", die laut Wahlergebnis ins Parlament hätte einziehen können, verzichtete auf sein Abgeordnetenmandat. "Die Partei 'Georgischer Traum' hat die Wahlen manipuliert sowie mit Straßenbanden und der Polizei die Zivilgesellschaft eingeschüchtert. Alle im Land wissen, dass diese Wahlen weder frei noch fair waren. Es ist weder moralisch noch politisch vertretbar, mit diesen Leuten in einem Plenarsaal zu sitzen, nur weil wir 10 Prozent der Stimmen bekommen haben", sagt Ziskarischwili. Er weist noch darauf hin, dass Parteien, die nicht ins Parlament einziehen, keine staatliche Finanzierung mehr erhalten. "Die einzige Plattform, die noch bleibt, sind Proteste, Treffen mit Wählern in Städten und Regionen sowie unabhängige Medien und soziale Netzwerke, die noch funktionieren. Aber auch sie werden von den Behörden unter Druck gesetzt", berichtet Ziskarischwili.

Faktisch ein Einparteien-Parlament

Mittlerweile hat der "Georgische Traum" wegen des Boykotts durch die Oppositionskräfte faktisch die volle Kontrolle über das Parlament erlangt und mit der Umsetzung seiner Agenda begonnen. In den letzten Monaten wurden zahlreiche Gesetze verabschiedet, von denen einige im In- und Ausland auf Kritik stoßen.

Portrait von Micheil Kawelaschwili, im Hintergrund Flaggenschmuck
Präsident Micheil Kawelaschwili - nach einer Verfassungsänderung erstmals durch eine Wahlversammlung und nicht direkt gewähltBild: IRAKLI GEDENIDZE/AFP

Zunächst wählte das georgische Parlament einen neuen Präsidenten - den Posten übernahm der ehemalige Fußballspieler Micheil Kawelaschwili, der als "bequeme Personalie" gilt. Die vorherige Präsidentin Salome Surabischwili geriet immer wieder mit dem "Georgischen Traum" aneinander und legte gegen Gesetze ihr Veto ein.

Beispielsweise war sie gegen das Gesetz zum "ausländischen Einfluss", mit dem im Sommer 2024 die Rechenschaftspflicht von Nichtregierungsorganisationen, die mehr als 20 Prozent Geld aus dem Ausland erhalten, verschärft wurde. Gegner des Gesetzes fürchten, dass damit, wie mit einem entsprechenden Gesetz in Russland, kritische Organisationen mundtot gemacht werden sollen. Am 4. März wurde diese Rechenschaftspflicht durch noch ein Gesetz, das eine Übersetzung des amerikanischen Foreign Agents Registration Act aus dem Jahr 1938 darstellt, weiter verschärft. Der Unterschied zum bisherigen Gesetz sei, dass nun nicht nur NGOs, sondern auch normale Bürger darunter fallen, erläuterte Archil Gorduladse, Abgeordneter der Regierungspartei und Vorsitzender des Rechtsausschusses.

"Repressive" Beschlüsse

Auch weitere Beschlüsse des georgischen Parlaments bezeichnet die Opposition als repressiv. So ist die Beteiligung von NGOs und gesellschaftlichen Organisationen an Regierungsentscheidungen nicht länger verpflichtend. Änderungen weiterer Gesetze sehen Beschränkungen für Medien vor, die Finanzmittel aus dem Ausland erhalten. Zudem wurde der Begriff "Gender" aus dem Gleichstellungsgesetz entfernt.

Davor wurde - nach Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten bei pro-europäischen Protesten - das Tragen von Masken, der Einsatz von Feuerwerkskörpern und Lasern bei Protesten verboten. Darüber hinaus wurden im Februar 2025 die Strafen für "geringfügiges Rowdytum" und "Ungehorsam gegenüber der Polizei" verschärft. Und der Fraktionsvorsitzende und Exekutivsekretär des "Georgischen Traums", Mamuka Mdinaradse, kündigte an, dass Hochverrat als Tatbestand wieder ins Strafgesetzbuch des Landes aufgenommen wird. Er wurde 2007 während der Präsidentschaft von Micheil Saakaschwili gestrichen.

"Boykott berechtigt, aber unwirksame Strategie"

Der Politologe Gela Wasadse bezeichnet im DW-Gespräch das georgische Parlament als "wahnsinnige Druckpresse". Es werde ein Gesetz nach dem anderen erlassen, um ein autoritäres Regime im Land zu errichten. "Das Parlament ist zu einem Instrument der Legalisierung repressiver Maßnahmen geworden, die der 'Georgische Traum' schon in der vorherigen Legislaturperiode begonnen hat anzuwenden. Offenbar glaubt die Staatsmacht, einem weltweiten Trend zu folgen, nach dem Motto: 'So ist das heute üblich'", so Wasadse.

Der Experte hält den Boykott der Parlamentsarbeit durch die Oppositionskräfte "für eine berechtigte, aber nicht wirksame Strategie". "Ein Boykott ändert nichts an dem, was passiert. Die Regierung entwickelt sich weiter zu einem autoritären Regime und ignoriert die Opposition völlig", sagt Wasadse und meint, dass sich die Vertreter der Regierung ohne eine Opposition im Parlament noch wohler fühlen würden.

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk