Palastrevolution in Turkmenistan gescheitert?
30. Januar 2003Köln, 25.1.2003, DW-radio/Russisch
Das tatsächliche oder inszenierte Attentat auf den turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nijasow vom 25. November hat in dem Land eine bislang beispiellose Repressionswelle zur Folge gehabt. Verhaftet wurden Dutzende von Personen. Die turkmenische Justiz brauchte nur vier Tage, um die Urteile gegen die Hauptangeklagten zu verkünden. In der internationalen Presse herrscht die Meinung vor, dass das Attentats-Spektakel eine Provokation des in Aschgabad herrschenden Regimes ist. Deren Ziel sei es, die Opposition unter Führung des ehemaligen Premierministers Boris Schichmuradow zu zerschlagen. Ist dies aber alles so einfach zu erklären? Welche Kräfte standen tatsächlich hinter den November-Ereignissen in Aschgabad? Diese und andere Fragen versucht der in München lebende Politologe Anwar Usmanow zu beantworten:
"Klar ist, dass in Turkmenistan eine Palastrevolution geplant wurde. Klar ist aber auch, dass Boris Schichmuradow einer der Anstifter und die Hauptfigur war. Ich glaube jedoch nicht, dass er einen Anschlag auf Nijasow organisiert hat. Boris Schichmuradow und seine Anhänger hatten genügend andere Möglichkeiten, einen Machtwechsel in Turkmenistan herbeizuführen. An der geplanten Palastrevolution waren viele Menschen beteiligt. Turkmenbaschi hatte natürlich entsprechende Informationen erhalten. Danach inszenierte er meiner Meinung nach den Anschlag, der ihm freie Hand gab. Er ging sogar soweit, dass er Usbekistan und Russland vorwarf, den Verschwörern geholfen zu haben. Mit einem Präventivschlag gelang es Turkmenbaschi die geplante Palastrevolution zu verhindern."
Ähnliche Fälle hatte es in der jüngsten Geschichte in Zentralasien bereits gegeben:
"Ich sehe hier Parallelen zu den Explosionen, die vor wenigen Jahren Taschkent erschütterten. Die Situation war ähnlich. Die islamische Bewegung Usbekistans hatte aber zweifellos einen Anschlag auf Präsident Karimow geplant. In dieser Organisation befanden sich jedoch auch Agenten des Sicherheitsdienstes des Landes, die dem ganzen zuvorkamen und die Explosionen missglücken ließen. Die Explosionen gaben jedoch Anlass dazu, in Usbekistan eine wahre ‚Hexenjagd‘ zu entfesseln. Es begann eine zügellose Kampagne gegen all diejenigen, die sich auf irgendeine Weise von der allgemeinen Masse unterschieden - beispielsweise Moscheen besuchten oder andere Meinungen äußerten. Jedenfalls drehte Karimow die Schrauben bis zum Anschlag zu. Das jüngste Attentat gegen Nijasow in Aschgabad ähnelt den Ereignissen in Taschkent sehr."
Nach Ansicht von Anwar Usmanow war Boris Schichmuradow an dem Beschuss der Wagenkolonne des Präsidenten in Aschgabad vom 25. November nicht beteiligt. Trotzdem wurde er schon bald von den turkmenischen Geheimdiensten festgenommen, und das auf dem Territorium des Landes. War dies Zufall?
"Erinnern Sie sich an die Beseitigung von Berija? Wahrscheinlich beabsichtigten Schichmuradow und seine Anhänger eine ähnliche Palastrevolution zu organisieren. Dabei haben sie sich der stillen Zustimmung anderer Personen versichert. Schichmuradow begab sich wahrscheinlich nach Aschgabad, um im Zentrum der Ereignisse zu sein, um dort die Planungen zu unterstützen und sie zu führen. Aber Turkmenbaschi gelang ein Präventivschlag."
Einen Putsch in einem autoritären Staat zu organisieren ist keine leichte Aufgabe. Eine kleine Gruppe von Verschwörern ist wohl kaum dazu in der Lage. Benötigt wird die Unterstützung starker Machtstrukturen. Dazu Anwar Usmanow:
"Gewisse politische Gruppen in Russland und Usbekistan haben meiner Ansicht nach Schichmuradow ganz klar geholfen. Man kann sogar auf gewisse Weise von einem russisch-usbekischen Szenarium sprechen. Natürlich hat sich Schichmuradow der Unterstützung jener Kreise versichert und sich auf sie gestützt. Zugleich hat er jedoch seine Möglichkeiten überschätzt, aber auch die seiner Anhänger und jener Kreise. Ich glaube nicht, dass Schichmuradow in Russland oder Usbekistan Unterstützung auf höchster Ebene fand. In diesen Ländern fanden sich aber Kräfte, die Schichmuradow zu dem Vorgehen ermunterten. Später zogen sich diejenigen, die ihn gedeckt hatten, einfach zurück und überließen ihn seinem Schicksal."
Anwar Usmanow ist der Meinung, dass Nijasow die möglichen Verschwörer genau identifiziert hatte. Diese Ansicht vertritt auch der bekannte Oppositionelle, der ehemalige Außenminister Turkmenistans, Awdy Kulijew, der im Exil lebt. Er meint jedoch, dass die größten Gefahren auf Turkmenbaschi noch lauern:
"Ich habe mit Schichmuradow und seinen Anhängern Mitleid, die in Nijasows Falle gerieten, da sie die Kräfte ihrer Gegner unterschätzt und die eigenen überschätzt haben. Man muss die Ereignisse vom 25. November als Zeichen für eine tiefe Krise der turkmenischen Staatsmacht bewerten. Nijasow wird aus den Ereignissen Schlüsse ziehen. Die von ihm geschaffene Nomenklatura hat sich gegen ihn aufgelehnt. Anfangs war die Nomenklatura mit ihm sehr zufrieden, da er ihr erlaubte, sich ungestraft mit Diebstahl und Korruption zu befassen. In letzter Zeit machen sich hochrangige Beamte jedoch zunehmend Sorgen über seine Brutalität und Unberechenbarkeit. Der Staatsstreich ist misslungen, aber er wird schon bald erneut versucht werden. Eine Palastrevolution wird dem müden Volk aber kaum helfen. Das Land befindet sich in einer tiefen und allumfassenden Systemkrise. Dem Land droht der Zerfall und Kollaps. Das Volk hasst die regierende Oberschicht. Die weitsichtigen Vertreter der herrschenden Nomenklatura, wie Schichmuradow, verstehen dies und versuchen eine soziale Explosion großen Ausmaßes zu verhindern. Nijasow versucht hingegen, die Situation mit gewohnten Maßnahmen unter Kontrolle zu halten: mit Verhaftungen, Folter und Verbannungen."
In der Presse wurde berichtet, dass Turkmenbaschis Erzfeind Boris Schichmuradow möglicherweise bereits tot ist. Anwar Usmanow weist diese Behauptung jedoch kategorisch zurück:
"Boris Schichmuradow wird nicht länger als zwei Jahre im Gefängnis verbringen. Turkmenbaschi wird ihn nicht physisch beseitigen. Boris Schichmuradow ist eine gute Geisel. Im Austausch gegen ihn kann man doch irgendetwas erreichen. Mit ihm kann man sogar mit gewissen Staaten handeln. Seinem Wesen nach ist Turkmenbaschi ein Spieler. Er setzt gerne viel ein. Wäre er nicht ein Parteimann, sondern ein Unternehmer, dann würde er all sein Geld auf dem Rouletttisch in Baden-Baden oder Monte Carlo lassen. Saparmurat Nijasow wird die Karte Boris Schichmuradow bestimmt noch einsetzen." (...) (MO)