Pakistan: Zensur hat Tradition
8. November 2011In Südasien stehen nur Sri Lanka und Myanmar (Birma) schlechter da. Pakistan rangiert weit hinter Indien, Bangladesch, Nepal und Bhutan. Sogar in Afghanistan wird die Medienfreiheit höher eingestuft.
Bereits bei der Staatsgründung 1947 verstand sich Pakistan als Zufluchtsort für Millionen von Muslimen, die der kommunalen Gewalt in den mehrheitlich von Hindus bewohnten Gebieten im heutigen Indien entronnen waren. Und – psychologisch entscheidend – das Land sah sich als Opfer der Teilung, das Indien in allen Belangen unterlegen sei.
Als Konsequenz wurde den pakistanischen Medien von den staatstragenden Kräften der Nation – den Militärs, der religiösen Führung und dem Regierungsapparat – von Anfang an die Rolle zugewiesen, ein unabhängiges und islamisches Pakistan zu fördern und das Land propagandistisch vor einer indischen Hegemonie zu schützen. Diese Kräfte, deren Einfluss bis heute weitgehend intakt geblieben ist, stufen die Sicherheit des Landes höher ein als die Medienfreiheit. Die Zensur – basierend auf entsprechenden Presse-Gesetzen – hat deshalb in Pakistan Tradition.
Alte Tabus
Die staatstragenden Kräfte mischen sich wie selbstverständlich in die Berichterstattung dann ein, wenn Journalisten sich kritisch mit sensiblen Themen beschäftigen: mit der nuklearen Bewaffnung des Landes etwa oder mit der Haltung Islamabads in der Afghanistan-Frage oder mit den Beziehungen der Geheimdienste zu den afghanischen Taliban. Auch ein mutiger Journalist, der sich des Themas Korruption annimmt, muss mit Schikanen und möglicherweise mit einer juristischen Verfolgung rechnen.
Nach wie vor ist es so gut wie unmöglich, objektiv über das Geschehen entlang der Grenze im Nordwesten Pakistans zu berichten. Keine Information kann unabhängig verifiziert werden. Nach wie vor sterben pakistanische Journalisten beim Versuch, über den Krieg an der Grenze zu Afghanistan zu berichten.
Und doch haben die pakistanischen Medien in den vergangenen Jahren mehr Spielraum errungen. General Musharraf beendete das staatliche Monopol im Bereich der elektronischen Medien, verkaufte TV- und UKW-Lizenzen an Privatunternehmen. Die Zensurgesetze blieben aber intakt. Innerhalb weniger Jahre entstanden um die 40 TV-Sender und inzwischen weit über 100 private UKW-Sender neben den traditionellen Zeitungen des Landes.
Neue Freiheit
Die Proteste der Zivilgesellschaft gegen Musharraf funktionierten schließlich wie ein Katalysator. Die Medien leiteten das Ende der Militärdiktatur und eine Rückkehr zur Demokratie ein. Allerdings blieb diese Entwicklung auf halber Strecke stehen. Die wichtigen Themen der inneren und äußeren Sicherheit sind weiter tabu. Und während die Regierung unter Asif Zardari die traditionelle Medienpolitik fortsetzt, haben die Medien ihrerseits den Reflex des vorauseilenden Gehorsams nicht abgelegt: Als im Frühjahr 2009 die Cricket-Mannschaft von Sri Lanka von islamistischen Terroristen in Lahore angegriffen wurde, berichteten viele Medien sofort und ohne Beweise, dass der indische Geheimdienst dahinter stecke.
Eine positive Entwicklung ist gleichwohl zu erkennen: Die neu gestaltete Medienlandschaft hat durch den Sturz Musharrafs an Selbstbewusstsein gewonnen, Vielfalt und Konkurrenz haben auch die Tür für investigativen Journalismus geöffnet. Sehr zum Ärger der Regierung. So führte der Druck der Medien dazu, dass diverse Ermittlungen wegen Korruption gegen den Staatspräsidenten nicht eingestellt wurden. Die Jahrhundertflut vom August 2010 entfachte massiv Kritik an der Zivilregierung, die bei der Verteilung von Hilfsgütern kläglich versagte. Auch 2011 als eine Flut das Land noch mal überschwemmte, berichteten die Medien pausenlos über Korruption und Fehler bei der Verteilung von Hilfsgütern.
Die Medien in Pakistan haben zwar ihre Stimme entdeckt. Doch es fehlt an qualifiziertem Nachwuchs, anerkannten journalistischen Standards und am politischen Willen, die Pressefreiheit durchzusetzen.
Grahame Lucas
Oktober 2011