Ost-Alltag im Museum
19. Dezember 2013Als Gerhard Müller kurz nach dem Krieg einige Jahre in Frankreich lebte, sah er etwas, das ihn sein ganzes Leben nicht mehr loslassen sollte: Ein Zelt, das auf ein Autodach montiert worden war. Müller ging später zurück in die DDR und arbeitete dort als Busfahrer. Nebenbei tüftelte er an der Ost-Version dieses französischen Autodachzelts, das auf den Trabant montiert werden kann - das meistgekaufte Auto in der DDR. Seine Konstruktion fand schnell Bewunderer und Müller begann, dieses Zelt in Serie zu produzieren. Bis zu vier Zelte pro Woche produzierten er und seine Frau schließlich – die Geschichte eines Unternehmers in einem System, in dem es keine Privatwirtschaft geben sollte.
Kontrolle und individuelle Lebensgestaltung
Ein Exemplar dieses Zeltes kann man in der neuen Ausstellung des Hauses der Geschichte in Berlin betrachten. "Alltag in der DDR" ist das Thema der Schau in der Kulturbrauerei in Berlin Prenzlauer Berg und die Kuratoren haben vor allem Geschichten von Menschen gesucht, die die Spannung zwischen dem Anspruch des Staates auf Kontrolle und Erziehung der Menschen und dem Wunsch nach individueller Lebensgestaltung illustrieren.
In zwei Räumen kann man in den Briefen des Wehrpflichtigen Eckhard Ulrich blättern, der den stumpfen Alltag in der Nationalen Volksarmee schildert und dadurch seinen bereits zugesagten Studienplatz verliert. Der Dissident Eckehard Maaß hat die Einrichtung seines Wohnzimmers zur Verfügung gestellt, in dem er regelmäßig zu Lesungen kritischer Literatur einlud. Man kann die Gerichtsakte eines Ehepaares einsehen, das wegen Republikflucht zu Gefängnis verurteilt wurde. Aber auch eine überzeugte Aktivistin der sozialistischen Jugendorganisation "Freie Deutsche Jugend" kommt zu Wort, ebenso Mitglieder von Betriebssportgruppen, die das Angebot des Staates, sich im Kollektiv zu organisieren, gerne annehmen. "Wir wollen über das Individuelle etwas Universelles andeuten", sagt Annika Michalski, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Hauses der Geschichte. Eine Frage zieht sich durch alle Exponate: Wie schaffen es Menschen, in einer Diktatur Individualität zu leben?
Plagiatsvorwurf
Das Haus der Geschichte ist eine staatliche Stiftung mit Hauptsitz in Bonn. Mit dem neuen Standort greift das Haus ein Thema auf, das in Deutschland schon einige Jahre so populär wie umstritten ist. Filme wie "Good Bye, Lenin" oder "Sonnenallee" haben um die Jahrtausendwende das Leben in der DDR ironisch in Szene gesetzt. Cafés im ehemaligen Ostberlin stellen Erinnerungsstücke an den untergegangenen Staat in ihren Räumen aus, Agenturen bieten Touren durch die Stadt im legendären Trabant an. Und ein eigenes Museum, das sich dem DDR-Alltag widmet, gibt es auch bereits in Berlin. Das DDR-Museum am Alexanderplatz bietet Besuchern bereits seit 2006 den ostdeutschen Alltag zum Anfassen – von der Küche über den Arbeitsplatz des Stasi-Mitarbeiters bis zur Volvo-Limousine der Parteigrößen. Der Direktor der privat geführten Ausstellung kritisiert die neue Dauerausstellung als Kopie seines Museums. Er wirft der staatlichen Stiftung außerdem Wettbewerbsverzerrung vor. Denn während sich das private Museum über Eintrittsgelder finanziert, kann die Stiftung den Besuch kostenlos anbieten.
"Keine Ostalgie bedienen"
Gegen den Plagiatsvorwurf wehren sich die Ausstellungsmacher vom Haus der Geschichte. Auftrag der Stiftung sei es, "eine kritische Auseinandersetzung mit dem gegenständlichen Erbe der DDR [zu] führen", sagt Annika Michalski. Deshalb habe man die Alltagsgegenstände immer in den Kontext von historischen Dokumenten und offizieller Propaganda gestellt. So weise man immer wieder auf den Zusammenhang zwischen staatlicher Repression und individuellem Alltag hin. "Wir wollen hier keine Ostalgie bedienen und keine Wertungen vornehmen", sagt Michalski.
Ob das gelungen ist, ist – wie alles, was mit der DDR zu tun hat – umstritten. Wer jedenfalls in die Kritiken der Zeitungen nach der Eröffnung des Museums schaut, findet sich mitten in einer emotionalen Debatte über die richtige Deutung der DDR-Vergangenheit wieder, die in Deutschland immer wieder aufflammt. Während die konservative Zeitung Die Welt eine "erfrischend andere Haltung" erkennt in einer Stadt, die ihr wie ein "bunter Ostalgie Themenpark" vorkommt, kritisiert die eher linksorientierte Berliner Zeitung die "Bonner Museums-Macher" für ihre "einseitige Diktatur-Ausrichtung". Andere loben die ausführliche Dokumentation des politischen Kontexts und freuen sich darüber, dass "so viele Dinge zu entdecken sind, die mit Gewinn genauer anzusehen sind". Weitere Rezensenten widersprechen, es komme ihnen wie in einer "vollgestellten Requisitenkammer" vor, die "das Subversive individueller Lebensgestaltung allenfalls andeutet." Fast 25 nach dem Ende der DDR zeigt die Ausstellung damit auch: Der untergegangene Staat hat immer noch jede Menge Stoff für Debatten übrig gelassen.