Ohne Anklage bleibt Haradinaj Regierungschef im Kosovo
7. Dezember 2004Bonn, 6.12.2004, DW-RADIO, Andrej Smodiš
Der neu gewählte Regierungschef im Kosovo, Ramush Haradinaj, sei ein Kriegsverbrecher, heißt es in Belgrad. Die serbischen Zeitungen sind voll von Anschuldigungen, die Politiker berufen sich auf jahrelang zusammengetragene Beweise. Die Fortführung der Verhandlungen zwischen Belgrad und Pristina sei nicht mehr möglich. Auch der EU-Außenbeauftragte Javier Solana und der Sprecher der deutschen Grünen, Winfried Nachtwei, haben die Wahl Haradinajs als nicht glücklich bezeichnet. Reicht das, um den neuen Premier von UNO-Missionschef Sören Jessen-Petersen absetzen zu lassen? Andrej Smodiš kommentiert.
In Belgrad mögen Sie ihn nicht, den neuen Ministerpräsidenten des Kosovo, Ramush Haradinaj. Sowohl der serbische Premier Vojislav Koštunica als auch Präsident Boris Tadic halten die Wahl des Kosovo-Albaners für eine Provokation. Das ist ihr gutes Recht. Sie begründen diese politische Einschätzung jedoch mit dem Vorwurf von Kriegsverbrechen - und das ist problematisch.
Ramush Haradinaj ist ein ehemaliger Kommandant der aufständischen UÇK und wird von Belgrad seit Jahren beschuldigt, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Zuständig für Kriegsverbrechen im Kosovo ist allerdings das Internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Und das Tribunal hat zwar Haradinaj mehrfach befragt, aber mehr auch nicht.
Rechtlich gesehen kann man dem neuen kosovarischen Premier nichts vorwerfen: Er ist nicht verurteilt, ja noch nicht einmal offiziell angeklagt. Aber es ist eine Tatsache: Über Haradinaj schwebt eine mögliche Anklage und seine Position ist politisch sicher nicht die beste. Das könnte für die Politiker in Belgrad ein wichtiges Argument sein gegen Haradinaj, denn die Regierung des Kosovo soll schließlich nach dem Willen der UNO mit Belgrad über wichtige Aspekte der Zukunft des Landes verhandeln. Wie gesagt: könnte.
Denn in Wirklichkeit hat Belgrad weniger als nichts gegen Haradinaj in der Hand. Es fehlt an der eigenen Glaubwürdigkeit. Wenn Belgrad mit Den Haag zusammenarbeiten würde - ja, dann sähe das ganz anders aus. Aber die serbische Regierung kann nicht einerseits die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal verweigern und andererseits verlangen, dass im Kosovo jemand aufgrund von Gerüchten über Verbrechen zurücktritt. Die politisch-moralische Position Belgrads ist für eine solche Forderung einfach zu schwach.
Und so bleibt dem eigentlichen Gouverneur des Kosovo, dem UNMIK-Chef Sören Jessen-Petersen, gar keine andere Wahl, als den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Ramush Haradinaj seinen Job machen zu lassen. Der Weltsicherheitsrat hat dies akzeptiert. Sollte Haradinaj tatsächlich vom Tribunal noch angeklagt werden, wird er zurücktreten müssen - mit allen möglichen Folgen im Kosovo. Dann bekommt Jessen-Petersen vielleicht ein Problem - aber vorher nicht. (MK)