Nüchtern und wachsam
15. Februar 2025Normalerweise gelingt es mir ziemlich gut, mit negativen Ereignissen und Eindrücken umzugehen. Seit einiger Zeit stelle ich aber fest, dass sich die Nachrichten manchmal wie ein negativer Sog auf meine Stimmung auswirken. Vermutlich kennen Sie es auch: dieses bedrückende Gefühl, dass die Krisen immer zahlreicher werden und sich stetig zuspitzen. Zu gerne möchte man dem etwas entgegenhalten, ein Plädoyer für die Stärke des Glaubens und die Kraft der Zuversicht im Alltag: positiv bleiben, sich nicht von der Übermacht schlechter Nachrichten übermannen lassen … Doch klingt nicht jedes Argument in diese Richtung wie eine billige Vertröstung?
Denn die Herausforderungen und Bedrohungen sind in der Tat mannigfaltig: Da ist der seit drei Jahren andauernde Krieg in der Ukraine mit all dem Leid und den Toten vor Ort und mit seinen wirtschaftlichen Auswirkungen bis ins sichere Deutschland. Da ist Donald Trump, der nach seiner Wiederwahl zum US-Präsidenten noch unerbittlicher gegen Minderheiten, politische Gegner und die Institutionen des Rechtsstaats vorgeht. Indes überbieten sich auch im deutschen Bundestagswahlkampf die Parteien in immer radikaleren Abschiebeforderungen, während essentielle Zukunftsthemen größtenteils außenvor bleiben. Populismus und Rechtsextremismus gewinnen in den Umfragen wie im Alltagserleben an Raum, während die globale Klimaerwärmung voranschreitet und täglich spürbarere Ausmaße annimmt.
Läuft unsere Gesellschaft, läuft die ganze Welt aufs Chaos zu, kommt irgendwann der große Knall? Apokalyptische Vorstellungen dieser Art haben sich nicht nur im Christentum großer Beliebtheit erfreut. Doch kam man im Laufe der Zeit zur Einsicht, dass Vernichtungsfantasien nicht recht zum Glauben an einen gütigen Gott passen. Die Hände in den Schoß zu legen und auf Gott oder andere zu hoffen, kann nicht die Lösung sein. Was bleibt also im Umgang mit all den Krisen?
Neuen Halt – oder besser: eine neue Haltung – hat mir eine Stelle aus dem Ersten Petrusbrief gegeben, die wöchentlich in der Komplet, dem Nachtgebet der Kirche, rezitiert wird: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe umher und sucht, wen er verschlingen kann. Leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glaubens“ (5,8–9).
Das Wortpaar „nüchtern und wachsam“ hat mich auf eine eigenartige Weise elektrisiert. Da steht nicht: Beruhigt euch! Aber auch nicht: Brecht in Panik aus! Wer wachsam ist, nimmt wahr, was ringsum geschieht. Es ist wichtig, dass wir die Nachrichten ernst nehmen. Ja, viele Dinge sind beängstigend und dürfen nicht so weiterlaufen. Entwicklungen nüchtern zu bewerten, bedeutet aber auch zu sehen, dass sie keine Automatismen sind. Veränderung ist möglich! Etwa wenn der Ausbau erneuerbarer Energien messbare Erfolge zeigt oder wenn Hunderttausende für den demokratischen Zusammenhalt in unserem Land demonstrieren.
Für solche Wenden braucht es oft nicht viel, es genügen die kleinen Schritte vieler Einzelner. Hier liefert die Stelle aus dem Ersten Petrusbrief einen weiteren Impuls: Ich erlaube mir, den „Widersacher“ gegen die ursprüngliche Intention des Verfassers zum „inneren Schweinehund“ umzudeuten. Der brüllt zwar nicht und verschlingt niemanden. Doch er lullt uns ein und gibt uns das Gefühl von Ohnmacht. Ihm Widerstand zu leisten, bedeutet, Initiative zu ergreifen. Und Möglichkeiten, sich einzubringen, gibt es genug: ob mit unserer Zeit oder einem Teil unseres Wohlstands, ob im Kirchenchor, einem Flüchtlingsverein oder einer Partei, ob im Gespräch mit der Familie oder wenn wir verächtlichem Reden in der Öffentlichkeit widersprechen.
Natürlich verändert das nicht alles auf einmal. Vieles verpufft vielleicht wieder. Aber wer sich für andere einsetzt, tut nicht nur ihnen etwas Gutes, sondern nimmt sich selbst das Gefühl von Machtlosigkeit. Das will ich mir jetzt neu vor Augen halten und entsprechend handeln – aus der Kraft des Glaubens, dass das Schreckliche in der Welt nicht bleiben muss.
(aktualisierte Fassung eines Beitrags aus der Zeitschrift „Christ in der Gegenwart“)
Zum Autor:
Moritz Findeisen, Jahrgang 1988, hat in Freiburg Theologie und Geschichte studiert. Er absolvierte die journalistische Ausbildung der katholischen Journalistenschule ifp und ist seit 2022 Redakteur der Wochenzeitschrift „Christ in der Gegenwart“. Sein besonderes Interesse gilt der Rolle und Veränderung religiöser Weltdeutungen in der pluralen Gesellschaft.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.