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PolitikNordkorea

Nordkorea: Kim Jong Un baut Tochter als Nachfolgerin auf

5. September 2025

Der Machthaber Nordkoreas hat seine Tochter mit auf seine diplomatische Reise nach Peking mitgenommen. Dies unterstreicht ihren Aufstieg im Regime. Doch ist das konfuzianisch geprägte Land bereit für eine Herrscherin?

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Kim Jong-un und seine Tochter Kim Ju Ae bei einer Zeremonie in Pjöngjang, Mai 2024
Kim Jong Un und seine Tochter Kim Ju Ae bei einer Zeremonie in Pjöngjang, Mai 2024Bild: Yonhap/picture alliance

Knapp drei Jahre ist es her, dass der nordkoreanische Machthaber Kim Jong Un den Medien des Landes erstmals erlaubte, ein Bild seiner Tochter zu veröffentlichen. Damals, im November 2022, ging man davon aus, dass das Foto vor allem dazu dienen sollte, den "Obersten Führer" als stolzen Vater und Familienoberhaupt darzustellen. 

Offiziell ist der Name der Tochter zwar nicht bestätigt. Außerhalb Nordkoreas wird sie aber Kim Ju Ae genannt. Dieser Name gilt als der wahrscheinlichste.  

Als Kim Ju Ae in jenem November 2022 beim Teststart einer Interkontinentalrakete zuschaute, deutete nichts auf ihre mögliche Rolle in der Zukunft hin. Heute scheint es, als könnte sie an ihren beiden Brüdern vorbei dazu aufgebaut werden, die Führung des Landes zu übernehmen. Dann stünde sie an der Spitze jenes Clans, der mit eiserner Faust den Staat regiert, den ihr Urgroßvater Kim Il Sung im Jahr 1948 gegründet hatte.

In den vergangenen Tagen begleitete die heute vermutlich 12 oder 13 Jahre alte Kim Ju Ae ihren Vater nach Peking. Der nahm dort an einer Militärparade zum Ende des Zweiten Weltkriegs teil und traf den chinesischen Präsidenten Xi Jinping wie auch den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

"Stärkste Kandidatin" für die Nachfolge ihres Vaters

Bis vor kurzem meinten zahlreiche Analysten noch, es sei unmöglich, dass als Nächstes eine Frau die Führung in Nordkorea übernehmen könnte. Nun aber schließen sie nicht mehr aus, dass das Mädchen auf dieser diplomatisch bedeutsamen Reise als Erbin der einzigen kommunistischen Dynastie der Welt vorgestellt werden sollte. Ihr junges Alter spielt dabei offenbar keine Rolle.

"Dies ist ein bedeutendes internationales Ereignis und der erste bekannte Besuch von Kim Ju Ae im Ausland", sagt Ahn Yinhay, Professorin für Internationale Beziehungen an der Korea University in Seoul, im DW-Interview. "Wir müssen diesen Besuch darum als Hinweis werten, dass sie eine der aussichtsreichsten Kandidatinnen für die Nachfolge ihres Vaters ist - auch wenn das noch nicht endgültig entschieden ist."

Kim Ju Ae besucht mit ihrem Vater Kim Jong Un den neuen Zerstörer Choe Hyon, April 2025
Kim Ju Ae besucht mit ihrem Vater Kim Jong Un den neuen Zerstörer Choe Hyon, April 2025 Bild: YONHAPNEWS AGENCY/picture alliance

Sie habe sich zunächst nicht vorstellen können, dass es für eine Frau jemals möglich wäre, die Führung eines Landes zu übernehmen, das nach wie vor eine traditionelle Lebensweise pflegt, sagt Ahn. "Ich erinnere mich an Gespräche, die ich zu jener Zeit mit einigen Überläufern aus dem Norden führte. Die sagten damals, sie könnten sich eine Frau als Nachfolgerin Kims nicht vorstellen."

Zwar ist Nordkorea seiner Verfassung nach ein sozialistischer Staat. Trotzdem ist die Gesellschaft weiterhin stark konfuzianistisch geprägt. Ihre sozialen und politischen Strukturen gründen sich auf strenge Hierarchien. Diesem Modell zufolge steht der Mann über der Frau.

CRINK - die Achse der Autokraten

Diesen Hierarchievorstellungen folgte bislang auch die Kim-Dynastie bei den internen Machtübergaben. Anders als traditionell üblich, übernahm aber nicht zwangsläufig der älteste Sohn die Führung. Entsprechend kam es zu hart ausgefochtenen Rivalitäten, die teils sogar in Morden endeten. Es stand jedoch nie im Zweifel, dass immer ein männliches Familienmitglied die Führung des Landes übernahm.

Kim Ju Ae könnte diese Tradition bald auf den Kopf stellen. Zu Beginn des Jahres gab es erste Anzeichen, dass ihr Aufstieg bevorstehen könnte. Als staatliche Medien im März darüber berichteten, wie Kim Ju Ae einen landwirtschaftlichen Betrieb besuchte, bezeichneten sie diese als "große Führungspersönlichkeit" - ein Ehrentitel, der normalerweise den ranghöchsten Führern des Regimes vorbehalten ist.

"Respektierte Tochter"

Bereits zuvor hatten sie Kim Ju Ae als "respektierte Tochter" von Kim Jong Un bezeichnet. Auf Bildern ist zu sehen, wie sie und ihr Vater Industrieanlagen, Militärstützpunkte und Übungen der Streitkräfte besuchten. 

Bislang hat das Regime so gut wie keine Informationen über Kim Ju Ae veröffentlicht. Das wenige, was man weiß, stammt vom südkoreanischen Geheimdienst (NIS). Dieser vermutet, dass Kim Ju Ae gerne reitet, Ski fährt und schwimmt.

In einem Bericht aus dem Januar letzten Jahres schrieb der NIS zum ersten Mal, dass Kim Ju Ae als "wahrscheinlichste" Nachfolgerin ihres Vaters in Frage käme. Allerdings gebe es auch "zahlreiche Variablen", schränkte der Geheimdienst seine Vermutung ein.

Spannungen zwischen Süd- und Nordkorea

Ob Kim Ju Ae tatsächlich an die Staatsspitze rückt, lässt sich derzeit kaum sagen. "Es gibt viele Gründe, warum Kim seine Tochter in seiner Nähe sehen möchte", sagt Toshimitsu Shigemura, Professor an der Waseda-Universität in Tokio und Autor mehrerer Bücher über die Kim-Dynastie. Kim habe bekanntermaßen Angst vor einem Attentat, sagt Shigemura. "Eine Theorie besagt, dass er seine Tochter in seiner Nähe behält, weil er glaubt, die USA wären nicht bereit, sie ebenfalls zu töten", sagte er.

Ein anderer Grund könnte aber sein, "dass er den einfachen Nordkoreanern seine Familie präsentieren möchte. So will er zeigen, dass er ein stolzer Vater ist, der etwas mit seiner Tochter unternehmen möchte."

Widerstand aus dem Militär?

Aus Sicht einiger Beobachter würde eine "oberste Führerin" die nordkoreanische Gesellschaft überfordern; und zwar auch dann, wenn dies dem Willen des Diktators entspräche.

Die Grundsätze des Konfuzianismus, die die Moralvorstellungen im Land prägen, machten es einer Frau deutlich schwerer, eine nationale Führungspersönlichkeit zu werden. Und ältere, ranghohe Befehlshaber im nordkoreanischen Militär könnten sich gegen die Vorstellung sträuben, Anordnungen von einer Frau entgegenzunehmen.

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Toshimitsu schließt dennoch nicht aus, dass Kim Ju Ae bei den Führungskadern Nordkoreas an Macht gewinnen könnte. Sie könne die Führung wohl aber nur dann übernehmen, wenn ihr Vater gestorben ist. "Mit seinem Tod hätte sie aber auch ihren mächtigsten Fürsprecher verloren."

Bei einem Machtwechsel könnte es durchaus zu internen Rivalitäten kommen, vermutet Toshimitsu. "Zudem dürfte es Widerstand von hochrangigen politischen und militärischen Führern geben. Sie hat viele Herausforderungen vor sich."

Trotz dieser Herausforderungen sei es nicht ausgeschlossen, dass Kim Ju Ae in die Fußstapfen ihres Vaters trete, sagt Ahn Yinhay. Auch sei es möglich, dass sie das Land mit weniger harter Hand führe als ihr Vater. "Kim bildet sie zwar zu einer starken Führerin aus.  Aber es ist auch denkbar, dass sie sich zu einer entspannteren und freundlicheren Herrscherin entwickelt."

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

DW-Porträt | Korrespondent Julian Ryall
Julian Ryall Korrespondent und Reporter in Tokio