Medwedew in Polen
7. Dezember 2010"Smolensk, wir wollen die Wahrheit!" – steht auf den Transparenten der Demonstranten vor dem Warschauer Präsidentenpalast. Höchstens 40 Menschen sind gekommen, um ihren Unmut über die schleppende Aufarbeitung der Flugzeugkatastrophe zum Ausdruck zum bringen. Sie wittern hinter dem Absturz, bei dem im April dieses Jahres Polens Präsident Lech Kaczynski und 95 weitere Menschen ums Leben gekommen waren, ein Attentat, für das der Kreml verantwortlich sein soll.
Der russische Präsident Dmitri Medwedew machte deutlich, dass auch ihm und seinen Landsleuten an der Aufklärung des Unglücks gelegen sei. "Das ist ein tragisches Kapitel in der polnischen Geschichte. Smolensk ist aber auch ein tragisches Kapitel in der Geschichte Russlands. Deshalb werden wir alles tun, um objektiv zu ermitteln und die Ergebnisse allen zugänglich zu machen."
Medwedew betonte auch, dass es nicht darum gehe, die Untersuchungen zu beschleunigen, sondern darum, dass man professionell arbeite. "Ich bin der Meinung, dass die Zusammenarbeit zwischen unseren Staaten gut funktioniert," sagte er.
Einladung zum Dialog und zur besseren Zusammenarbeit
Medwedew ist der erste russische Präsident seit mehr als acht Jahren, der Polen besucht. Mit ausgestreckter Hand begegnete er seinem Amtskollegen Bronislaw Komorowski. Und der nahm die Einladung zum Dialog und zur besseren Zusammenarbeit dankend an: "Die Dürrezeit im polnisch-russischen Verhältnis geht zu Ende. Nach einer langen Funkstille in den Beziehungen auf höchster Ebene möchte ich den Herrn Präsidenten noch einmal herzlich willkommen heißen."
Medwedew kündigte an, dass sein Besuch neue Dynamik in die bilateralen Beziehungen bringen werde. Wie erwartet, sagte er nicht nur eine lückenlose Aufklärung der Tragödie von Smolensk zu, er versprach auch die Übergabe weiterer Dokumente zum Massaker von Katyn. In der Nähe dieses westrussischen Ortes ermordeten die Sowjets 1940 mehr als 20.000 polnische Soldaten und Zivilisten, was Moskau jahrzehntelang geleugnet hatte.
Zuletzt verurteile aber selbst die russische Staatsduma den Massenmord als Verbrechen Stalins. "Wir haben in der letzten Zeit beispiellose Schritte gemacht, die Vergangenheit aufzuarbeiten – inklusive der Übergabe entsprechender Archivdokumente an Polen. Diese Linie wird fortgesetzt. Wir werden diesen Weg nicht verlassen, denn wir brauchen die Wahrheit." So Medwedw.
Sicherheitspolitische Fragen auf der Agenda
Beide Präsidenten werden im kommenden Jahr die Schirmherrschaft über mehrere polnisch-russische Jugendaustauschprojekte übernehmen. Auch die Zusammenarbeit auf wirtschaftlicher Ebene soll vertieft werden. Russische Unternehmen seien bereit, in Polen zu investieren, erklärte Medwedew, der zugleich das Interesse einiger Firmen an polnischem Energiekonzern Lotos bestätigte.
Die beiden Präsidenten hätten auch sicherheitspolitische Fragen erörtert, sagte Bronislaw Komorowski. Das ursprünglich in Polen geplante Raketenabwehrsystem der USA hatte das Verhältnis zwischen Polen und Russland lange belastet. Nun möchte die NATO ein umfassendes Abwehrsystem schaffen, in das auch Russland eingebunden wird.
Damit wachse die Chance zur Zusammenarbeit zwischen der NATO, Europa und Russland, so Bronislaw Komorowski. "Wir suchen nach einer Möglichkeit, nicht nur den Luftraum der NATO, sondern auch den russischen Luftraum vor eventuellen Bedrohungen zu schützen. Heutzutage ist es durchaus möglich, zwei aufeinander abgestimmte Systeme zu bauen – ein russisches und ein NATO-System."
Autor: Ludger Kazmierczak
Redaktion: Tamas Szabo/Fabian Schmidt