Neuerliche Willkür in Turkmenistan
3. Juli 2003Köln, 3.7.2003, DW-radio, Vladimir Müller
Anfang des Jahres schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", Turkmenistan durchlebe die dunkelste Nacht seit dem Stalinschen NKWD-Terror. Diese Nacht scheint noch lange nicht zu Ende zu sein. In der mittelasiatischen Republik wurden nun Maßnahmen gegen ethnische Russen ergriffen. Sicherheitsbehörden haben damit begonnen, Angehörige der russischen Minderheit aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Betroffen von der Beschlagnahmungsaktion in der ehemals sowjetischen Republik sind Personen, die die russische und die turkmenische Staatsangehörigkeit besitzen und mehrere Tage nicht zu Hause waren. Vladimir Müller mit weiteren Einzelheiten:
(Der russische Journalist Arkadij Dubnow) "Wenn festgestellt wird, dass die Wohnungen einige Tage leer stehen, dringt man in sie ein; und es werden sogar Türen aufgebrochen. Mitarbeiter der turkmenischen Sicherheitsstrukturen (...) werfen die Sachen heraus und besetzen die Wohnungen."
Der russische Journalist, Arkadij Dubnow, Zentralasien-Experte der Carnegie-Stiftung, bestätigt das, was die Deutsche Welle bereits vor einer Woche herausfand: Gegen viele der etwa 100 000 Russen in Turkmenistan, die eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, wird hart vorgegangen. Denn bis zum vergangenen Wochenende (28./29.6.) hätten sie sich für einen der beiden Pässe entscheiden müssen. So schreibt es ein Erlass des Präsidenten Saparmurat Nijasow vor, des mit absoluter Macht regierenden "Turkmenbaschi" - des "Vaters aller Turkmenen". Der Berliner Politologe Alexander Rahr:
"Die ehemaligen Bürger der Sowjetunion, die ethnischen Russen, die in Turkmenistan leben, sind tatsächlich in eine Falle geraten, da sie jetzt Turkmenistan nicht einmal einfach verlassen können. Dass sie jetzt Schutz, der ihnen bis jetzt nicht gewährt wurde, seitens des russischen Staates und des Außenministeriums fordern, ist meiner Meinung nach völlig legitim. Die Duma beginnt jetzt, ihnen diesen Schutz zu gewähren. Es kann tatsächlich zu einem sehr ernsten Konflikt kommen."
Die von Russland inzwischen kritisierte Maßnahme ist dabei nur die Folge eines Abkommens zwischen Nijasow und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin vom Frühjahr diesen Jahres. Darin vereinbarten beide Seiten gleichzeitig die Aufhebung der doppelten Staatsangehörigkeit und ein milliardenschweres Gasabkommen. Alexander Rahr:
"Alles begann, nachdem Russland einen ernsten Gas-Vertrag mit Turkmenbaschi unterzeichnet hatte und übereingekommen war, dass das turkmenische Gas Turkmenistan lediglich über Russland verlassen wird. Auf diese Weise hat Russland in gewissem Sinne Turkmenistan 'gekauft', musste jedoch ernste Zugeständnisse bei der doppelten Staatsbürgerschaft machen. Ich glaube, Putin wird abwarten, wie die Situation sich entwickelt. Das Wichtigste für ihn ist, das Gas-Geschäft mit Turkmenistan nicht zu vermasseln."
Für die Russen in Turkmenistan ein bitteres Los: Ohne turkmenischen Pass dürfen viele Doppelstaatler in ihrer Heimat keine Immobilien mehr besitzen, als turkmenische Bürger aber das Land nur noch mit schwer erhältlichen Ausreisevisa verlassen. Deshalb haben sich zahlreiche Betroffene bereits dafür entschieden, das Land für immer zu verlassen. Nun müssen sie feststellen, dass ihr Besitz beschlagnahmt wird.
"Bei den turkmenischen Rechtsschutzorganen gibt es eine nicht öffentliche Regel, 50 Prozent des beschlagnahmten Eigentums für sich zu behalten. Da ist es kein Wunder, dass sie die Konfiszierung mit so viel Eifer betreiben", sagte Larissa Schichmuradowa im Gespräch mit der russischen Zeitung "Isvestija". Sie ist die Schwester des ehemaligen Premierministers der Republik und Oppositionsführers Boris Schichmuradow.
Das Protokoll über die Außerkraftsetzung des Abkommens über die doppelte Staatsbürgerschaft gelte nicht rückwirkend, erklärte inzwischen der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für internationale Angelegenheiten, Dmitrij Rogosin. Deshalb sei Turkmenbaschi nicht berechtigt, die russischen Bürger aufzufordern, auf die turkmenische oder die russische Staatsbürgerschaft zu verzichten. Rogosin ist der Ansicht, dass die Methoden, die Aschgabad gegenüber angewandt werden müssen, möglicherweise nicht diplomatischen, sondern härteren Charakter tragen müssen.
Das meint auch Johannes Friesen, Leiter der GUS-Abteilung der Internationalen Menschenrechtsgesellschaft in Frankfurt am Main:
"Die einzige Möglichkeit, die Situation zu ändern, sind nicht nur wirtschaftliche Sanktionen gegenüber Turkmenistan, sondern die internationale Isolierung Turkmenistans. Ich denke, dass die Exekutivmacht Russlands sich darauf lediglich einlassen kann, wenn die Duma mit der verfassungsmäßigen Mehrheit einen Beschluss diesbezüglich fasst. Ich glaube nicht, dass der Kreml sich selbständig auf einen endgültigen Abbruch der Beziehungen zu Turkmenbaschi einlassen wird." (TS)