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Neuer russischer Außenminister Sergej Lawrow über den Irak, Georgien, Tschetschenien und das Konzept der russischen Außenpolitik

25. Mai 2004
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Moskau, 18.5.2004, WREMJA NOWOSTEJ, russ., Katerina Labezkaja

(...) Das Gespräch zwischen der Sonderkorrespondentin der Zeitung "Wremja nowostej" und dem russischen Außenminister, Sergej Lawrow, begann mit dem Thema Irak, genauer gesagt mit dem Vorschlag Moskaus, dringend eine internationale Irak-Konferenz einzuberufen.

Sergej Lawrow:

Indem wir eine Irak-Konferenz vorschlagen – die kann als "Runder Tisch", "Sitzung", "internationales Treffen" bezeichnet werden – sind wir überzeugt, dass jetzt, in der Schlüsseletappe der Vorbereitung zur Wiederherstellung der Souveränität des Irak, alles getan werden muss, damit eine Regierung die Macht übernimmt, die von den Irakern selbst anerkannt wird und in den Augen der Weltgemeinschaft legitim ist. Sollte die provisorische Regierung im stillen, geheim gebildet werden, sollten ihr lediglich einige Vertreter der irakischen Gesellschaft angehören, so wird sie nicht einmal in den Augen der Iraker selbst legitim sein. Ganz zu schweigen von den Nachbarn des Irak und der Weltgemeinschaft. Wollen wir einen stabilen und einheitlichen Irak, so müssen auch die Kräfte teilnehmen, die im provisorischen irakischen Regierungsrat vertreten sind, sowie diejenigen, die ihm nicht angehören, wie auch die Oppositionskräfte. Ausgenommen natürlich die Terroristen, die nach der Okkupation in den Irak geeilt sind.

Da die inneren Zwistigkeiten unter den Irakern intensiv sind, so ist es äußerst wichtig, einen, wenn sie so wollen, äußeren Kreis zur Unterstützung dieses Prozesses zu bilden. Dem müssen die Nachbarn des Irak, die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die Liga der arabischen Staaten angehören. Es geht nicht darum, für die Iraker Machtstrukturen zu bilden, sondern darum, sie zum Dialog, zur Suche nach einem Kompromiss anzuspornen. (...) Vor der Konferenz müssen alle Schlüsselprobleme von Experten durchgearbeitet werden.

Frage:

Bedeutet das, dass es unwahrscheinlich ist, dass es zu einer Machtübergabe am 30. Juni kommen wird?

Lawrow:

Die Koalitionskräfte im Irak versuchen gleichzeitig den Widerstand mit Gewalt zu unterdrücken und eine politische Struktur zu bilden, die die Macht übernehmen wird. Ich glaube, dass am 30. Juni eine Zeremonie stattfinden wird, die im Grunde nichts ändern wird, die lediglich das Aushängeschild ändern wird, die in Bagdad eine Regierung bestätigen wird, die über keine reale Macht verfügt. Wir befürchten, dass sich die Ereignisse so entwickeln werden und wollen, dass sich die Situation im Irak möglichst bald beruhigt. Wir wollen nicht, dass der Irak eine blutende Narbe der ganzen internationalen Politik bleibt, wollen nicht, dass die Amerikaner im Irak eine Niederlage erleiden. Das ist nicht in unserem Interesse, weil es die ganze Region destabilisieren würde. Wir wollen allen, die derzeit im Irak präsent sind, aber in erster Linie den Irakern selbst als Partner helfen, diese Krise zu bewältigen. Wir sind überzeugt, dass alle Staaten der Welt, darunter auch die arabischen und Europa, bereit sind, dazu beizutragen. Dafür muss jedoch gemeinsame Sache gemacht werden, es müssen offen Prinzipien erarbeitet werden, auf deren Grundlage das unterstützt wird, was die Iraker selbst wollen. Vorläufig geschieht das leider nicht, aber es gibt noch Zeit. Wir werden weiterhin die Vorteile dieser Herangehensweise erläutern.

Frage:

Wie sehen die Perspektiven des russischen Business im Irak aus?

Lawrow:

Unsere Geschäftsleute sind dort wahrscheinlich die einzigen, die tatsächlich bestimmte Projekte umsetzen. Zu unserem großen Bedauern steht das jetzt wegen der ernsten Situation im Sicherheitsbereich in Frage. Die letzten Geiselnahmen und die Ermordung eines unserer Fachleute sind ein beunruhigendes Signal. Wir können die nicht zwingen, das Land zu verlassen, aber wir raten den russischen Bürgern, sich nicht im Irak aufzuhalten. Die Iraker selbst sind an der Fortsetzung der Zusammenarbeit mit uns interessiert und bitten unsere Fachleute, zu bleiben, da das Funktionieren der Objekte, in denen diese tätig sind, für die Energieproduktion von entscheidender Bedeutung ist. Das ist besonders wichtig, wenn man berücksichtigt, dass die heiße Sommerperiode beginnt. (...)

(...)

Südossetien und Abchasien sind bei weitem nicht Adscharien

Frage:

Wie schätzen Sie die Situation in Georgien im Lichte der adscharischen Ereignisse ein?

Lawrow:

Wir wollen in Georgien ein mit uns befreundetes und stabiles Land sehen, das den Russen und den Georgiern ermöglichen wird, die Beziehungen fortzuführen und zu festigen, die uns seit Jahrhunderten verbinden. Das ist ein Georgien, das zusammen mit uns die Sicherheit in dieser vorläufig sehr instabilen Region gewährleisten wird. Wir betrachten die letzten Änderungen als innere Angelegenheit Georgiens, machen gleichzeitig jedoch keinen Hehl daraus, dass wir daran interessiert sind, dass diese Änderungen friedlich sind, nicht zur Spaltung des Landes und Blutvergießen führen.

Was Abchasien und Südossetien betrifft, so haben wir unsere Linie seit langem festgelegt. Wir nehmen auf die eine oder andere Art und Weise an der Beilegung dieser Konflikte teil. Erstens als Land, das zur Beilegung dieses Konfliktes beiträgt – was sowohl von der georgischen Führung als auch der Führung Abchasiens anerkannt wird. Das gleiche betrifft auch die Situation in Südossetien. Zweitens nimmt Russland als Mitglied der "Gruppe der Freunde des UN-Generalsekretärs zu Georgien" an der Beilegung des abchasisch-georgischen Konfliktes teil. Drittens ist Russland durch die kollektiven Kräfte zur Unterstützung des Friedens, die auf Beschluss der Oberhäupter der GUS-Staaten gebildet wurden, mit der Beilegung des abchasischen Konfliktes beschäftigt. Diese Kräfte bestehen zu 100 Prozent aus russischen Friedenssoldaten, obwohl wir daran interessiert sind, dass sich auch andere GUS-Staaten daran beteiligen. (...)

An der Beilegung des Konfliktes in Südossetien ist Russland als Mitglied der OSZE beteiligt, unter deren Ägide der politische Prozess stattfindet. Ferner gehört Russland der Kommission zur Ausbildung von Kräften an, die den Frieden in Südossetien unterstützen sollen. (...)

In diesen zwei Konfliktregionen gibt es im Unterschied zu Adscharien klare internationale und rechtliche Mechanismen zu deren Beilegung. Im Rahmen dieser Mechanismen und nur in deren Rahmen kann nach der Lösung dieser Probleme gesucht werden.

(...)

Frage:

Wie bewerten Sie das Herangehen des Westens an die Lösung des tschetschenischen Problems? Vor dem Hintergrund der "Biegsamkeit" des US-Außenministeriums sieht die Position der Europäer, besonders der Außenminister Dänemarks und Schwedens, Per Stig Möller und Leila Freivalds, hart aus.

Lawrow:

Ich kann natürlich weder den Standpunkt des schwedischen noch des dänischen Außenministeriums ändern, aber ich kann garantieren, dass unsere europäischen Partner ausgezeichnet über unsere Position informiert sind. Wir haben die Bemühungen der russischen Führung zur Festigung des politischen Prozesses in Tschetschenien mehrmals erläutert. Das haben sowohl Igor Sergejewitsch Iwanow als auch ich mehrmals bei Treffen mit der EU-"Troika" getan. Ich gehe nicht davon aus, dass unsere Kollegen aus der EU vorläufig einfach mechanisch die alten, ein bis zwei Jahre alten Rohlinge wiederholen. (...) Die Realität sieht jedoch so aus, dass der politische Prozess stattfindet. Und dieser Prozess wird fortgesetzt ungeachtet des gemeinen Attentats, bei dem der Präsident Tschetscheniens Achmad Kadyrow getötet wurde. Einen anderen Weg gibt es nicht.

Das tschetschenische Volk hat sich mehrmals bei Referenden und Wahlen für den politischen Prozess ausgesprochen, der zur echten Integration Tschetscheniens in die Russische Föderation führen soll. Und wenn die Europäische Union ungeachtet der, ich wiederhole, mehrmals präsentierten Fakten, ungeachtet der zahlreichen Besuche, die Vertreter vieler internationaler Strukturen Tschetschenien abgestattet haben, weiterhin dazu aufrufen, endlich den politischen Prozess einzuleiten, so bleibt uns nichts anderes übrig, als die Arme vor Verwunderung auszubreiten. Und wenn versucht wird, den Appell, den politischen Dialog aufzunehmen, in der Form einer Resolution der Menschenrechtskommission zu präsentieren, wird allen klar, dass das ein rein politisierter Versuch ist, etwas zu beweisen, was unbeweisbar ist. Deshalb scheitert dieser Versuch seit drei Jahren hintereinander. Ich hoffe, dass die EU endlich auf den Boden der Realität zurückkehrt und den sinnlosen Versuch aufgibt, uns zum politischen Prozess aufzurufen, was unter den jetzigen Bedingungen lediglich eines bedeuten könnte – Verhandlungen mit Maschadow aufzunehmen. (...)

(...)

Braucht Russland ein Konzept der Außenpolitik?

Frage:

In Russland gibt es eine Konzeption der Außenpolitik. Wird denn solch ein Dokument tatsächlich benötigt? Darüber wird gestritten...

Lawrow:

(...) Nur wenn wir unsere Ziele dokumentieren, können wir aus einer Losung eine konkrete Strategie, Politik entwickeln. Wir sagen z. B., dass wir in sicherer Umgebung leben möchten, gute Beziehungen zu unseren Partnern aus der GUS herstellen möchten. Um diese Losung jedoch umzusetzen, brauchen wir eine gut durchdachte Strategie in allen Richtungen, ob das die Wirtschaft, die Kooperation bei der Verteidigung, die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Terrorismus ist. Das kann nicht alles im Kopf gemacht werden, dafür werden Pläne, mit unseren Partnern abgestimmte Programme, Verträge u. ä. m. benötigt. (...)

(...) (lr)